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# taz.de -- Als Zuschauer im TV-Studio: Klatscht gefällig(st)!
> Im Fernsehprofi-Jargon nennt man sie hinter vorgehaltener Hand
> Schwenkfutter: die Zuschauer im Talk-Studio. Dabei sind sie längst zu
> Mitspielern geworden.
Bild: Bei Maybritt Illners "Berlin Mitte" geht es in der Regel gesittet zu
"Ihr seid die wahren Stars der Show. Ohne euch läuft nichts", sagt der
Aufnahmeleiter im Studio der "Trisha Show" - einer englischen
Vormittagstalkshow - dreißig Minuten vor Beginn der Sendung. Er steht auf
der Bühne, das Publikum sitzt schon an seinem Platz. "Jetzt zeigt mir mal,
was ihr macht, wenn ihr an euren letzten Strafzettel denkt", fordert er das
Publikum auf. Es bricht in kollektives Buhen aus. "Und wie begrüßt ihr
Trisha, wenn sie gleich auf die Bühne kommt?" Das Publikum bricht in
euphorischen Applaus aus. "Ohne eure Fragen und Kommentare ist die Show
nichts. Trisha braucht euch! Die Show braucht euch! Mischt euch ein, sagt,
was euch nicht passt. Jetzt habt ihr die Chance dazu." Dann erklärt er den
Vorgang, wie man zu Wort kommt, im Detail: "Erstens, meldet euch, damit
Trisha weiß, dass ihr was sagen wollt. Zweitens, nehmt euren Arm wieder
runter, damit die Zuschauer zu Hause nicht eure Schweißflecken sehen, und
steht auf, wenn Trisha bei euch angelangt ist, und drittens, sprecht ins
Mikrofon."
Profis hinter der Kamera nennen sie Schwenkfutter: die Zuschauer im
Fernsehstudio. Die Publikumsmasse, über die die Kameras schwenken, um den
Leuten zu Hause einen Eindruck zu geben vom Ausmaß und der Atmosphäre einer
Fernsehshow. Schwenkfutter. Bei "Deutschland sucht den Superstar", zum
Beispiel: die zu Tränen gerührten Mütter, Väter, Onkel und Tanten, die
ihrem Nachwuchs zujubeln und Plakate hochhalten mit aufmunternden Sprüchen
wie bei einem Wahlkampf. Bei "Anne Will" ist es ein gelangweilt oder
nachdenklich dreinblickendes Publikum. Es klatscht am Anfang und am Ende
der Show und kommentiert gelegentlich durch zustimmenden Applaus. Das
seriöse, passive Publikum, wie man es auch aus dem Theater kennt.
Eine andere Variante ist das junge und lebendige Publikum bei Stefan Raab.
Es ist zu einem bestimmten Grad an der Show beteiligt. Während der Sendung
wird gelacht, gejohlt und gelegentlich auch gebuht. Ein wirklich aktiv
teilnehmendes Publikum sitzt in der Show von Oliver Geissen, und seit
Anfang Mai lässt auch Natasha Zuraw täglich ihr Publikum zu Wort kommen.
Dies ist schon gespickt mit potenziellen nächsten Talkshowgästen, die
lautstark, auch während der Show - stellvertretend für die Zuschauer zu
Hause - ihre Meinung sagen sollen zu Themen wie "Lieber nackt als pleite"
oder "Fremdgepoppt - wer ist der Vater meines Kindes?"
Und Johannes B. Kerner sucht nicht nur häufig den direkten Kontakt zu
seinem Studiopublikum, sondern füttert es auch noch mit kulinarischen
Häppchen. Sowohl die kochenden Gäste als auch er selber verbringen viel
Zeit damit, Streifzüge durch das Studiopublikum zu unternehmen. Hier wird
das Publikum zum sichtbaren Schauplatz, und die Gäste sind kauende
Nebendarsteller.
So unterschiedlich die Zuschauer im Studio auch sein mögen und egal wie
spontan sie wirken, sie sind genauestens vorbereitet auf ihre Rolle - die
sie im Gegensatz zu den rein passiven Zuschauern zu Hause auf dem Sofa
sicht- und hörbar spielen.
Zu diesem Zweck gibt es vor den meisten Shows "Warm-up Sessions" um das
Publikum vorzubereiten. Solche Warm-ups sind dort am ausgefeiltesten, wo
die aktive Rolle des Talkshowpublikums am meisten gefragt ist, nämlich bei
den "Daily Talks", die überall auf der Welt zwischen neun und siebzehn Uhr
gesendet werden. Bei diesem Format soll der Zuschauer mittels spontan
erscheinenden Reaktionen, Kommentaren und Fragen partizipieren können. Was
in der Fernsehlogik bedeutet: Je mehr Spontanität, desto sorgfältiger die
Inszenierung. Schließlich kann bei der Spontanität am meisten schiefgehen.
Der Studiozuschauer ist ein unkalkulierbares Risiko, und um den
potenziellen Schaden so gering wie möglich zu halten, wird das Publikum vor
der Aufnahme ausgiebig trainiert. Und wer seine Sache richtig macht, wird
mit Fernsehpräsenz belohnt, wer nicht, wird weggeschnitten.
Das Publikum im Studio ist nämlich nicht zufällig platziert. Es gibt immer
tote Winkel, in die Studiozuschauer gesetzt werden, die die falsche
Kleidung tragen oder nicht in das Publikumsbild der Show passen. Auch der
Applaus, die einfachste Form der Publikumstätigkeit, wird meist von der
Aufnahmeleitung hinter den Kameras "angeklatscht."
Angeblich wurde das Konzept des teilnehmenden Studiopublikums versehentlich
von dem amerikanischen Talkmaster Phil Donahue entdeckt: In den
Sechzigerjahren hatte er während seiner TV-Talkshow in einer Werbepause mit
einigen Zuschauern geredet und fand ihre Fragen so viel interessanter als
die seiner Gäste, dass er von da an das Studiopublikum zum zentralen
Bestandteil seiner Show machte. Weil sein Studiopublikum zu 99 Prozent aus
Frauen bestand, kamen diese nun plötzlich auch mal zu Wort. Normale
Menschen hatten auf einmal die Möglichkeit, ebenfalls an die Mikrofone zu
treten und zu sagen, was sie dachten - ein Quantensprung.
Der Boom der Talkshows in den Neunzigerjahren, speziell in den USA, brachte
dann ein neues, wilderes Studiopublikum hervor. Die Zuschauerreaktionen
wirkten unvorhersehbar, provokativ und verspielt. Man kann in ihnen eine
Parodie der ernsten, sich selbst sehr wichtig nehmenden,
pseudotherapeutisch angehauchten Shows sehen, wie der von Oprah Winfrey
oder der seinerzeit recht populären Nachmittagssendung von Jürgen Fliege.
Auch die Sprache des Publikums ist auf einmal anders, gespickt mit
Beschimpfungen und Flüchen, die durch einen lauten Piepton ausgeblendet
werden.
Diese Shows wie "Ricki Lake" und "Jerry Springer" sind generell viel
stärker auf Konfrontation hin inszeniert als ihre Vorgänger. Das Publikum
ist hier zum aktiven Showteilnehmer geworden, denn seine Reaktionen sind
ein zentraler Bestandteil der Show. Die Zuschauer äußern lautstark ihre
Begeisterung oder ihr Missfallen. Das Publikum agiert als Gegenspieler zu
den Gästen mit ihren Geschichten und Bekenntnissen. In Shows wie der von
Jerry Springer stürmen einzelne Zuschauer sogar manchmal auf die Bühne, um
sich als bis dahin noch unbekannter und gehörnter Liebhaber zu outen.
Und am Rand der Bühne stehen Sicherheitsleute, die die Gäste vor Angriffen
aus dem Publikum schützen sollen. Geraldo Rivera, einem amerikanischen
Talkshowmoderator aus den Neunzigern, wurde während einer seiner Shows auf
der Bühne sogar die Nase gebrochen - von einem Zuschauer. Manchmal liefert
das Studiopublikum eine bessere Show als die Gäste auf der Bühne.
Inzwischen bedarf es jedoch keiner großen Vorbereitung mehr, behauptet
zumindest eine Warm-up-Spezialistin der Jerry Springer Show. Viele der
eingeladenen Gäste und das Publikum benehmen sich schon gleich entsprechend
dem Format der Show. Wenn sie dann auftreten, sind sie quasi Parodien ihrer
selbst. Gäste und Publikum spielen übertriebene Versionen ihrer selbst,
nicht unecht, aber auch nicht wirklich echt. Sie spielen, in einer Talkshow
zu sein.
Moderne Medienkompetenz? Beschreibungen des englischen Theaterpublikums im
sechzehnten Jahrhundert klingen ähnlich: Dort hat das Publikum angeblich
oft bekannte Textpassagen mitgesprochen. Es hat applaudiert, hat lautstark
seine Zustimmung bekannt, das Stück unterbrochen, um eine Zugabe zu
verlangen, oder sogar Essen auf die Bühne geworfen. Bis zum Ende des
neunzehnten Jahrhunderts hatte sich diese teilnehmende Publikumskultur dann
allerdings in ein nach Klassen getrenntes Vergnügen verwandelt. Die urbane
Mittelklasse wollte sich nun von den lauten "Massen" absondern. Und auch
die urbane Mittelklasse von heute würde sich nicht bei Oliver Geissen oder
Jerry Springer blicken lassen, bei "Kerner" oder "Anne Will" jedoch schon
eher.
Diese Form des Studiopublikums mag das extreme Ende der Bandbreite des
teilnehmenden Publikums verkörpern, dennoch spielt das "Schwenkfutter" in
deutschen Fernsehshows auch noch eine andere Rolle als die des Zuschauers.
Es wird mehr und mehr zum aktiven Mitspieler, zum Nebendarsteller, solange
es sich an die Regeln hält. Immer öfter verschwimmt die Grenze zwischen
Publikum und Bühne, zwischen Moderator und Gast und Studiopublikum. In
Megashows wie "DSDS", "The next Uri Geller" und "Wetten, dass . . ?" ist
das Studiopublikum ein bedeutender Bestandteil der Show, sozusagen ihre
Realitätsgarantie. Es ist leichter für die Zuschauer zu Hause vor den
Fernsehern, an das Übersinnliche zu glauben, wenn es die anscheinend
unvoreingenommen Menschen aus dem Studiopublikum gibt, die als Augenzeugen
fungieren: Das ist echt, was da passiert! Stellvertretend für das Publikum
zu Hause verleihen sie der Show einen Anschein von Authentizität und
Unmittelbarkeit. Sogar die passiven Zuschauer bei "Anne Will", deren
Hauptrolle es eigentlich ist, die Zuschauer zu Hause zu repräsentieren,
leisten mehr, als zuzuschauen. Sie lachen und applaudieren bis zu einem
gewissen Grad freiwillig, aber auch hier wird die Publikumszusammenstellung
manipuliert. Parteien liegt viel daran, einige ihrer Claqueure im Publikum
sitzen zu haben, die an den relevanten Stellen klatschen. Um bei "Anne
Will" im Studiopublikum zu sitzen, muss man zwölf Euro zahlen - für dieses
Jahr ist die Show bereits komplett ausverkauft.
Auch bei Stefan Raab verschwimmt die Grenze zwischen Zuschauer und
Mitspieler. Raab sucht die Nähe zum Publikum, und schon zu Beginn jeder
Show hat ein Zuschauer die Aufgabe, Raab anzukündigen. Er wird für einen
kurzen Moment Teil der Darstellung vor der Kamera. Er wird zum Moderator,
während dieser bei anderen Shows wie "Schlag den Raab" zum Mitspieler wird.
So wie das Publikum, wenn auch nur per Anruf oder SMS.
Auch die Zuschauer sind also längst Stars, auch wenn sie, einzeln
betrachtet, eher selten Warhols fünfzehn Minuten erreichen. Stars im engen
Korsett. Wie sagt doch so schön der Aufnahmeleiter der "Trisha Show", bevor
er die Bühne räumt: "Wenn ihr redet, ohne den Anweisungen zu folgen, werdet
ihr später rausgeschnitten."
MAREIKE BARMEYER, Jahrgang 1973, ist taz.mag-Praktikantin und lebt als
freie Autorin in Berlin. Sie promovierte zum Thema "Fernsehpublikum" an der
Manchester Metropolitan University. Ihre nächste "Rakete 2000"-Lesung
findet am 19. Juni in der Gaststätte "Äh" (Weserstraße, 21 Uhr) in Berlin
statt
31 May 2008
## AUTOREN
Mareike Barmeyer
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