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# taz.de -- Christopher Street Day in Warschau: Die Totgeschwiegenen
> Heute findet in Warschau die Gleichheitsparade von Schwulen und Lesben
> statt. Sie werden in Polen immer noch offen diskriminiert. Besonders
> Staatspräsident Lech Kaczynski schürt den Hass.
Bild: Schwieriger Alltag: Besucherinnen der Gleichheitsparade in Warschau.
WARSCHAU taz Die Diskriminierung von Schwulen und Lesben ist in Polen noch
immer an der Tagesordnung. "Das wissen die Vereinten Nationen, die EU,
amnesty international und wir natürlich", sagt Robert Biedron, der
Vorsitzende der Kampagne gegen Homophobie (KPH). "Nur die polnischen
Politiker streiten das immer noch ab."
Letztens habe ein Freund in einem Preisausschreiben eine Reise zu zweit auf
die Kanaren gewonnen. "Als er mit seinem Partner zum Fototermin kam, hieß
es plötzlich: ,Wo ist denn ihre Freundin? Ah, sie haben einen Freund. Es
tut uns leid, aber für Sie haben wir keine Reise.' " Das sei offene
Diskriminierung, aber nicht einmal seine Organisation könne dagegen
rechtlich vorgehen. "In Polen gibt es kein Antidiskriminierungsgesetz für
Schwule und Lesben." Geschützt seien nur nationale, ethnische und religiöse
Minderheiten.
Wenn heute wieder tausende Polen und Polinnen durch Warschaus Straßen
ziehen, um auf der Gleichheitsparade für die rechtliche und
gesellschaftliche Gleichstellung von Homos und Heteros zu demonstrieren,
ist wieder mit gewalttätigen Protesten zu rechnen. "Wir beantragen zwar die
Trasse erst im allerletzten Moment", sagt Biedron, der eng mit den
Organisatoren von der Fundacja Równosci, der Gleichheitsstiftung,
zusammenarbeitet. "Doch die Rechtsradikalen haben seit Jahren und ,ganz
zufällig' immer eine ähnliche Trasse wie wir."
Seit Lech Kaczynski, der frühere Oberbürgermeister Warschaus und heutige
Staatspräsident Polens, zwei Paraden hintereinander verboten hatte, säßen
im Amt offensichtlich Sympathisanten der Allpolnischen Jugend, einer
rechtsradikalen Jugendorganisation. "Wir müssen darauf bauen, dass uns die
Polizei schützt und wie in den letzten Jahren mit einem Schutzcordon
umgibt." Erst vor ein paar Wochen hatte Polens Staatspräsident wieder
seinem Hass auf Schwule und Lesben freien Lauf gelassen. Polen dürfe auf
keinen Fall die Grundrechtecharta der EU annehmen, schäumte er. Denn die
Charta würde die Polen zur Einführung der Homoehe zwingen und Deutschen das
Recht auf Eigentumsforderungen gegen Polen zubilligen.
Als "Perverse" wurden im Begleitfilm zur Rede dann aber zwei Amerikaner
gezeigt, die von einem Pfarrer getraut wurden und nach dem feierlichen
Jawort glücklich in die Kamera strahlten. "Bilder einer europäischen
Homoehe hat Kaczynski wohl nicht gefunden", schüttelt sich Biedron, wenn er
daran denkt, wie die beiden vorgeführt wurden. "Das war einfach
geschmacklos. Aber das haben wohl auch die meisten Polen so empfunden."
Tatsächlich war noch kein Präsident Polens so unpopulär im eigenen Land wie
Lech Kaczynski. Mit seinen Hassattacken wird er die nächsten Wahlen wohl
nicht gewinnen. Die diesjährige Parole "Lebe, liebe, sei!" solle in der
polnischen Gesellschaft dafür werben, auch Schwulen und Lesben das Recht
zuzugestehen, so zu leben und zu lieben, wie es ihnen richtig erscheine.
Eine umfassende soziologische Studie der Homosexuellenorganisation Lambda
und der Kampagne gegen Homophobie hatte im letzten Jahr ergeben, dass 85
Prozent aller polnischen Lesben und Schwulen Angst haben, sich öffentlich
zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen.
Die meisten Eltern würden ihr "ungeratenes Kind" nach dem Coming-out aus
ihrem Leben streichen oder die Lebensgefährten ignorieren. Beleidigungen
auf der Straße seien an der Tagesordnung, viele Priester würden die "Sünde
vor Gott" nicht vergeben und "die Perversen" gar aus der Kirche jagen.
"Eigentlich hatten wir gehofft, dass mit der neuen Regierung alles besser
würde", erklärt Biedron. "Aber die Liberalen unter Donald Tusk schweigen
uns einfach tot. Sie tun so, als gäbe es uns und unsere Probleme gar
nicht."
## Die Engagierte
Es gibt sie längst auch in Polen, die Homofamilien mit Kindern. Meist sind
es Lesben, die die biologischen Kinder einer der beiden gemeinsam
aufziehen. Das gesellschaftliche Tabu brach vor kurzem das linksliberale
Nachrichtenmagazin Polityka und berichtete über "lesmamy", lesbische Mütter
in Polen. Auf dem Titelblatt waren zwei sympathische junge Frauen zu sehen,
die eine davon schwanger.
Auch Patrycia Kulka, Koordinatorin von Fortbildungsseminaren der Kampagne
gegen Homophobie, möchte gerne eine Familie gründen. "Ich würde die Kinder
bekommen. Auch der Samenspender steht schon fest. Jetzt überlegen meine
Partnerin und ich nur noch, wann der beste Zeitpunkt für das erste Kind
wäre." Die zierliche junge Frau mit den rotblonden Locken lächelt verhalten
und zieht das Glas Orangensaft näher zu sich heran.
Im Warschauer Internetcafé Chlodna 52 kennt man die 31-Jährige. Sie kommt
oft hierher. "Für meine Mutter würde das sicher auch eine Menge ändern. Sie
wünscht sich so sehr Enkelkinder. Als ihr klar wurde, dass ich lesbisch
bin, war das für sie wie ein Weltuntergang."
Schon in der Schule habe Patrycia gemerkt, dass sie sich mehr für Mädchen
als für Jungen interessierte. "Nach der achten Klasse hätte ich offen sagen
können: ,Ja, ich bin lesbisch.' Aber Anfang der 90er-Jahre war das in Polen
noch ein absolutes Tabu. Man konnte darüber mit niemandem reden." Sicher
habe es in den größeren Städten Polens immer schon Clubs gegeben, aber nur
für Schwule und erst ab 18 Jahren. Organisationen wie Lambda oder die
Kampagne gegen Homophobie entstanden erst Mitte der 90er-Jahre. Auch der
Zugang zum Internet war noch nicht so verbreitet wie heute. "Ich habe mich
als Jugendliche unglaublich einsam gefühlt", erzählt Patrycia.
"Alle Mädchen, die mir gefielen, schienen sich nur für Jungs zu
interessieren. Für mich schien es überhaupt keine Zukunft zu geben. Es war
entsetzlich! Ich war so allein."
Heute sei das völlig anders. "Ich lebe seit einem Jahr mit meiner großen
Liebe zusammen", lächelt die junge Frau. Zwar sei die polnische
Gesellschaft noch immer sehr katholisch-traditionalistisch geprägt, aber in
den großen Städten des Landes könne man als Lesbe oder Schwuler schon
relativ normal seine Leben führen.
Noch während des Psychologie- und Slawistikstudiums habe sie sich in der
Kampagne gegen Homophobie (KPH) engagiert. Heute koordiniert sie die
KPH-Fortbildungsseminare und Veranstaltungen gegen Diskriminierung. "Wir
versuchen zu zeigen, das Schwule und Lesben ganz normale Menschen sind,
dass jeder Zehnte, dem wir in Polen auf der Straße begegnen, ein
Homosexueller ist."
Magda habe sie auf einer dieser Veranstaltungen kennengelernt. "Sie hat bei
,Big Brother' mitgemacht und dort ganz offen bekannt, dass sie lesbisch
ist. Dadurch wurde sie zu einem Star in der Warschauer
Schwulen-und-Lesben-Szene. Als die Staffel zu Ende war, unterstützte sie
uns öffentlich. Das war großartig."
In Polen gibt es derzeit weder Homoehen noch eingetragene Partnerschaften.
"Das ist nicht nur für uns ein Problem, sondern wird es auch für unsere
Kinder sein", sagt Kulka. "Denn vor dem Gesetz werde nur ich, die leibliche
Mutter, das Sorgerecht haben." Aber in Polen habe sich in den letzten
Jahren so viel verändert, dass sie optimistisch in die Zukunft sehe. Sie
lächelt: "Jakos to bedzie." Es wird schon irgendwie werden.
"Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen", sagt Robert Konieczny.
"Wenn erst mal alle wissen, dass du ein Gay bist, ist es gut." Dann müsse
man nicht so tun, als würde man sich für Mädchen interessieren. "Wenn man
so jung ist wie ich, gerade mal 16, denken viele, dass sich das noch
auswächst. Aber das ist Unsinn." Das Schwierigste sei, es den Eltern und
Geschwistern so schonend beizubringen, dass sie einen nicht verstoßen.
Roberts Mutter ist schwer krank. Sie bereitet sich gerade auf eine
Transplantation vor. "Für sie wird es ein Schock sein. Wenn alles gut geht
und sie die neue Leber annimmt, sage ich es ihr. Mein Vater lebt schon
nicht mehr. Meine beiden Schwestern haben es vor ein paar Monaten erfahren.
Sie haben schrecklich geweint. Aber inzwischen ist alles okay."
Der schlaksige Junge mit dem braunen Pony wirkt auf den ersten Blick wie
ein ganz normaler Zehntklässler. "So unschuldig, wie ich aussehe, bin ich
nicht mehr". Im Gegenteil. Sein "erstes Mal" erlebte er schon mit 13
Jahren. Ein Schulfreund kam zu ihm nach Hause. Die beiden wollten zusammen
Hausaufgaben machen und ein bisschen lernen. "Als wir fertig waren, saßen
wir zusammen auf dem Sofa, zappten uns durch die Programme und blieben bei
einem Sexfilm hängen. Ob das der Auslöser war? Jedenfalls begannen wir
plötzlich beide, uns ganz intensiv für den anderen zu interessieren. Und so
passierte es dann."
Das Problem begann danach. Weder Robert noch sein Schulfreund konnten über
ihre Gefühle oder gar über Sex reden. "Das war ein absolutes Tabu in
unseren Familien. Ich kannte damals noch nicht einmal das Wort Gay. Ein
Schuldgefühl hatte ich aber auch nicht. Es war einfach nur verwirrend." Er
begann nach Literatur zu suchen, nach Zeitschriften, Broschüren. "Dann
hatte ich eine Krise, fast schon eine Persönlichkeitsspaltung. Bin ich ein
Schwuler, oder bin ich keiner? Die eine Stimme sagte, dass ich zum Arzt
oder Psychologen gehen soll, um normal zu werden, die andere Stimme sagte,
dass es doch nichts Schlimmes sein kann, einen Jungen zu lieben."
Nach zwei Jahren hatte die Quälerei ein Ende. An der Schule gingen Gerüchte
um, dass Robert ein Schwuler sei, Beleidigungen wie Tunte und Arschficker
waren an der Tagesordnung. "Als ich dann ganz klar sagte: ,Ja, ich bin ein
Gay', hörten das Getuschel und die Beleidigungen sofort auf. Seitdem bin
ich ein anderer Mensch. Ich habe mich so akzeptiert. Das war eine große
Erleichterung. Es ist gut so, wie ich bin."
Seit ein paar Monaten ist er liiert und glücklich. Sein Freund, 20,
studiert in Warschau und führte ihn in eine Homo-Hetero-Jugendgruppe ein.
"Das war toll. Plötzlich lernte ich lauter Jugendliche kennen, die ähnlich
dachten und fühlten wie ich."
7 Jun 2008
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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