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# taz.de -- Pop-Sirene Celine Dion in Berlin: Der Gipfel der Traurigkeit
> Am Donnerstagabend trat Celine Dion in der Berliner Waldbühne auf - und
> verwandelte prompt 16.000 erwachsene Menschen in quietschende Teenager.
Bild: Mühsal des irakischen Volkes in ihren Songs: Celine Dion in Berlin.
Als Celine Dion am Donnerstagabend um 20.33 Uhr die Bühne betritt, ist die
Stimmung prächtig. Die 16.000 Zuschauer in der fast ausverkauften Berliner
Waldbühne wissen, dass die deutsche Nationalmannschaft soeben gegen
Kroatien verloren hat, und es ist ihnen herzlich egal. Seit vor einer
dreiviertel Stunde der Support Act unter respektablem Applaus die Bühne
verlassen hat, rollt alle paar Minuten La Ola, dazwischen wird rhythmisch
geklatscht. Es ist surreal. 8.000 Paare im Alter von 35 Jahren an aufwärts
springen von ihren Sitzen hoch und schreien, kreischen und quietschen, als
seien sie Teenager
Dies ist das erste von sechs Konzerten, die Celine Dion während ihrer
Welttournee "Taking Chances" in Deutschland gibt. Der erste Song ist ein
Cover - "I drove all Night", ursprünglich stammt er von Roy Orbison. Eine
Menge weiterer Songs werden Coverversionen sein: von Queen, Tina Turner,
James Brown, Jennifer Rush. Diese Songs waren schon Hits, bevor sie mit
Celine Dion erneut welche wurden.
Das erklärt noch nicht, warum sie eine der erfolgreichsten internationalen
Künstlerinnen ist. Ihr Album "Falling Into You" aus dem Jahr 1996 ist eines
der zehn meistverkauften Alben aller Zeiten, gleich nach "Sgt. Peppers
Lonely Hearts Club Band" von den Beatles. Sie hat mehr Alben verkauft als
Madonna, mit der sie durch einen Vorfahren namens Zacharie Cloutier
verwandt sein soll. Drei Jahre lang trat Celine Dion viermal die Woche in
Las Vegas auf, in einem Theater, das extra für diese Show gebaut worden
war. Sie hat neben etlichen Branchenpreisen den Respekt der Visionäre des
US-Musikestablishments gewonnen, von Phil Spector, Rick Rubin, Timbaland
oder Prince, der ihre Show gleich dreimal besuchte. Obwohl die Dion also
überaus erfolgreich ist, wird sie vielerorts als eine Art Anti-These zur
Popmusik wahrgenommen, so, als stehe sie irgendwie außerhalb dieses
Bereichs.
Dabei war es doch immer auch heilige Pflicht des Pop gewesen, den
verborgenen Genius des Unterschätzten zu artikulieren. Ein US-Kritiker
formulierte es so: Dion mache zu "lausige Musik, um darüber ein
ästhetisches Urteil abgeben zu können". Celine Dione zu hassen, sei mehr
als eine ästhetische Wahl, nämlich eine ethische. Es bedeute, sich über
ihre Fans zu erheben, die zu Dions Musik "ihren ersten Kuss hatten, ihre
Oma beerdigten oder aus Liebeskummer unter Tränen zusammenbrachen".
Mit dem fast übermenschlichen Schalldruck ihrer fünf Oktaven umfassenden
Stimme macht Celine Dion Weltmusik - in einem ganz anderen Sinn, als es
dieses Wort nahelegt. In Ghana, wo die "öffentliche Zurschaustellung von
Zuneigung zwischen nichtverheirateten Paaren" ein traditionelles Tabu ist,
spielen die Autoradios der Taxifahrer Celine Dion als Musik eines
permanenten Valentinstages. Als der kanadische Kulturminister 1998 China
besuchte, um über Diversität im Angesicht der Globalisierung zu sprechen,
verlangte die chinesische Regierung offiziell eine Chinatour mit Celine
Dion.
In Jamaica avancierte ihre Musik voll aufgedreht zur "Soundtapete in üblen
Nachbarschaften", wie ein US-jamaikanischer Kritiker berichtet: "Einmal
spielte ein DJ einen Celine-Dion-Song, und die Menge drehte total durch.
Einige Leute fingen an, in die Luft zu schießen." Und ein irakischer
Künstler sagte einer amerikanischen Tageszeitung: "Alle lieben Celine Dion.
Sie sehen in ihr den Gipfel der Traurigkeit. Ihre Lieder sprechen von der
Mühsal des irakischen Volkes." Keine Überraschung, dass auch die
amerikanischen Sender im Irak Celine Dion spielen, "um die sanftere Seite
des Westens zu zeigen".
Übrigens: Am 22. Mai 2008 wurde Celine Dion vom französischen Präsidenten
Nicolas Sarkozy zur Ritterin des Ordens der Ehrenlegion ernannt.
14 Jun 2008
## AUTOREN
Heinrich Dubel
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