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# taz.de -- Regisseur Einar Schleef als Maler: Als hätte die DDR nicht stattge…
> Einar Schleef war nicht nur Regisseur, er hat auch gemalt. Eine Schau in
> einem alten Kaufhaus in Halle gewährt Einblicke in den unbekannten
> Nachlass.
Eine riesige dunkle Grotte. Fensterlose rohe Betonwände, die die Kälte von
Felsen atmen. Im Dämmerlicht ahnt man Gestalten. Wie die schlafenden
Kohorten des Kaisers Barbarossa im bunten Ornat scheinen sie darauf zu
warten, sich wiederzubeleben und auf die Weltbühne zurückzustürmen - diese
Bühne, die ihr Schöpfer Einar Schleef 2001 verließ. Schleef war den meisten
als Theaterregisseur ein Begriff. Tatsächlich aber war er als Maler und
Bühnenbildner ausgebildet worden. Jetzt hat die Stiftung Moritzburg, das
Landesmuseum von Sachsen-Anhalt, eine leerstehende Karstadt-Filiale in
Halle umfunktioniert, um dem Universalkünstler die erste umfassende Hommage
zu erweisen.
Das Ambiente, halb alte Gruft, halb nächtliche Industrieruine, ruft
Schleefs Identifikation mit der Romantik wach, seine fortgesetzte
Auseinandersetzung mit Faust und Parzival, aber auch mit der Moderne, seine
Geistesverwandtschaft mit Heiner Müller und Jörg Immendorff. 156 Gemälde
und 6.000 Zeichnungen vermachte Schleef seiner Lebensgefährtin Gabriele
Gerecke und seinem Lektor Hans-Ulrich Müller-Schwefe. Diese gaben sie als
Dauerleihgabe an das Landesmuseum, das Schleef von Jugend auf kannte. Er
stammte aus dem nahen Harzstädtchen Sangerhausen. 90 Gemälde und 250
Grafiken sind jetzt in Halle zu sehen.
Blaugrün uniformierte Polizisten, Verfassungsrichter in schmutzigroten
Talaren: Man sieht dem "Deutschlandzyklus" aus den späten 80er-Jahren an,
das er von den Straßenkämpfen und politischen Diskussionen in Frankfurt am
Main inspiriert ist. Die formale Betonung des Rhythmus sticht ins Auge, wie
sie auch Schleefs Theaterarbeit charakterisierte: Die Reihen der Polizisten
sind stakkatohaft eng und schnell gesetzt, die Gruppierung der Richter ist
ruhiger, eher ein Fermaten-Akkord. Wie eine Grundtonart bestimmt jeweils
eine Grundfarbe die Atmosphäre. Häufig überwuchert Schrift die Szenen wie
in den "Tagebuchbildern", hohe comicartige Tafeln, in denen sich Skizzen
und Notizen vermischen, selbst Telefonnummern sind notiert. Wie in den
Texten das Grundgefühl von Fragmentierung und Isolation hervortritt, so
wirken in den Bildern die Gesichter meist anonym verwischt oder stilisiert.
Konturlinien sind stets betont. Vielleicht lag in der starken Hemmung, sich
seinen Gegenständen zu nähern, eine Grenze, die Schleef für sich als Maler
spürte und deretwegen er bald dem Theater den Vorzug gab. Hier konnte er
intensiv werden, auch wenn er formal arbeitete. Denn ihm standen die realen
Körper und Stimmen der Schauspieler zur Verfügung.
Ein Bühnenbildentwurf zu "Vor Sonnenaufgang" von 1987 gibt eine Ahnung
davon. Angedeutet ist ein drastischer Kreislauf des Werdens und Vergehens
auf offener Szene. Eine Gebärende liegt neben einem schemenhaften Wesen im
offenen Sarg. Eine Gruppe Mädchen tanzt mit entblößten Brüsten. Ihre
Unbekümmertheit und Fülle kontrastieren mit Chiffren des Schwindens und
Verschwendens: Aus Milchkannen, die sie in den Händen tragen, schwappt die
Milch unachtsam heraus. Der Anführer des Reigens ist der Schnitter Tod.
Schleef, 1944 geboren, gehört zu der Generation von Jörg Immendorff
(1945-2007) und Markus Lüpertz (1941). Letztere wurden in der
Bundesrepublik in den 80er-Jahren als "Neue Wilde" bekannt. Als Maler
bediente sich Schleef ähnlicher Stilmittel - er nutzte grell-expressive
Farben und grobe, schnell hingeworfene Striche. Doch der Kurator Michael
Freitag weist in seinem Katalogbeitrag darauf hin, wie erstaunlich diese
stilistische Nähe in Wahrheit ist: Schleef durchlief im Osten eine ganz
andere Schule. Von ihm wurde die Gestaltung der "schönen
Menschengemeinschaft" im Sozialismus erwartet. Doch weder die von der
DDR-Kulturpolitik geforderte Propaganda noch ein Antijargon finden sich.
Wie in seinen Aufzeichnungen und Texten habe die DDR in Schleefs Bildern
ganz einfach nicht stattgefunden, beobachtet Freitag. Darin liege eine
große innere Freiheit.
Die grandios inszenierte Reihe "Klage" bildet den Schluss der Ausstellung:
18 hochformatige Gemälde von menschlichen Schemen in Telefonzellen, jedes
hinten auf ein schwarzes Gestell montiert, so dass es im Raum zu schweben
scheint. Aus dem Dunkel lassen einzelne Scheinwerfer die Palette zwischen
Blauschwarz und Gelbweiß grell schlierig hervortreten. Im Handyzeitalter
vergessene Stimmungen werden lebendig: der Geruch nach kalter Asche in der
Zelle, der kalte Hörer am Ohr, die knackende, plötzlich abreißende
Verbindung. Wieder ist es der Gestus, der das Bild macht, das rhythmische
Insistieren und Beschwören, die Gänsehaut bewirken, auch wenn man schon
lange wieder draußen in der Sonne ist.
15 Jun 2008
## AUTOREN
Henrike Thomsen
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