# taz.de -- Interview - ein Politologe über die EM: "Der alte Nationalismus ni… | |
> Der Politologe Andrei S. Markovits über die Rolle des guten alten | |
> Nationalismus im globalisierten Fußball, der während einer EM ordentlich | |
> hochkocht. | |
Bild: Fans. | |
taz: Herr Markovits, überall in Europa werden nun die Flaggen geschwenkt, | |
vor allem auch türkische und deutsche. Nimmt der Nationalismus durch die | |
Fußball-EM zu? | |
Andrei S. Markovits: Ich bin während der ganzen EM in Wien, und mich hat | |
hier ein befreundeter amerikanischer Soziologe besucht. Er kennt sich sehr | |
gut aus mit Europa, hat aber keine Ahnung von Fußball. Seine erste Frage am | |
Flughafen war: "Wo ist Europa?" Er glaubte, dass ein Sportfest, das Europa | |
im Namen trägt, doch auch durch europäische Symbole begleitet werden | |
sollte. Aber er sah lauter deutsche, kroatische, polnische, österreichische | |
Flaggen. Der alte Nationalismus nimmt während eines solchen Turniers sehr | |
stark zu. Gleichwohl wird es auch als europäisches Event wahrgenommen: Hier | |
wird die beste europäische Fußballnation ermittelt. Als europäischer Sport | |
verbindet der Fußball die europäischen Gesellschaften. Andererseits sorgt | |
die Kultur der Fußballanhänger, des Fantums, für Entzweiung und ruft | |
atavistische Gefühle des Nationalismus hervor. | |
Das klingt nach dem "gemeinsamen Haus Europa" von Gorbatschow? | |
In etwa so. Man streitet sich unter einem Dach darüber, wer den besten | |
Fußball spielt. Und wenn das die europäischen Nationen tun, hat das ja auch | |
für den Weltfußball große Bedeutung. | |
Kann denn der fußballerische Wettstreit der Nationalstaaten qualitativ mit | |
dem der kapitalistisch organisierten Klubs mithalten? | |
Auf keinen Fall. Das Champions-League-Finale zwischen Manchester United und | |
Chelsea FC war fußballerisch besser als jedes Spiel, das wir während der | |
Euro gesehen haben oder noch sehen werden. | |
Aber dennoch binden Länderspiele mehr Gefühle als ein | |
Champions-League-Spiel. | |
Nein, das bezweifle ich. Ein ManU-Fan investiert viel mehr Emotionen in | |
einen Champions-League-Auftritt seines Teams als in ein Länderspiel | |
Englands. Auch ein echter Bayern-München-Fan wird ein Spiel beispielsweise | |
gegen AC Milan wichtiger oder zumindest genauso wichtig finden wie eine | |
Partie zwischen Deutschland und Italien. Das Besondere ist lediglich, dass | |
das emotionale Mitfiebern breiter ist. Für Deutschland fiebern nicht nur | |
die Bayern-Anhänger, sondern auch die aus Dortmund, aus Schalke et cetera. | |
Daher erscheint der Zuspruch zu Nationalteams größer. | |
In vielen Nationalteams finden sich Spieler mit zwei Staatsangehörigkeiten, | |
die sich bewusst für eine Mannschaft entschieden haben. Und es gibt immer | |
mehr naturalisierte Spieler, vor allem aus Brasilien. Wird der | |
globalisierte Fußballmarkt eine Gefahr für die Nationalmannschaften? | |
Nein, das ist doch jeweils gerade mal ein Brasilianer. Der Weltmarkt würde | |
die Nationalteams nur dann aufheben, wenn es ganze Teams oder zumindest | |
Mannschaftsteile gäbe, die eingekauft werden könnten. | |
Aber könnte das nicht ein grundlegender Trend sein, der sich ankündigt? | |
Nein, Fifa-Präsident Sepp Blatter hat ja schon angekündigt, dagegen | |
vorgehen zu wollen. Nebenbei bemerkt ist es ja schon sehr lustig, dass die | |
Fifa glaubt, den Nationalstaaten Vorschriften machen zu können, was deren | |
ureigenstes Recht ist; nämlich über Staatsbürgerschaften zu entscheiden. | |
Sind das nicht alles Vorboten von einem Ende des alten Nationalismus? | |
Der alte Nationalismus ist viel zu stark, als dass er so leicht auszuhebeln | |
wäre. Ein komplett ausländisches Team zu verpflichten, das kann sich | |
vermutlich nicht mal eine europäische Klubmannschaft leisten, zumindest | |
keine mit einem großen Fananhang, der ja auch immer einen Machtfaktor | |
darstellt. | |
INTERVIEW: MARTIN KRAUSS | |
23 Jun 2008 | |
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Frauen-WM 2019 | |
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