# taz.de -- Den Dackel ausführen: Trinken in Helsinki | |
> Wenig trinken lohnt sich nicht, dafür sind Bier und Drinks viel zu teuer. | |
> Gebrauchsanweisung für einen alkoholisierten Streifzug durch die Nacht | |
Bild: Café im Lasipalasti | |
Trinken Sie wie die Finnen! Diese Vorstellung macht Ihnen Angst? Sie haben | |
die Filme von Aki Kaurismäki gesehen. Und nun haben Sie alles andere als | |
eine heitere Bierrunde vor Augen, sondern grauenvoll gekleidete Sonderlinge | |
und schwermütig verkrampften Alkoholmissbrauch? Es kommt auf einen Versuch | |
an, machen Sie sich ein Bild - und einen Pubcrawl in Helsinki. Immerhin | |
lebt und vergnügt sich jeder zehnte Finne in der Hauptstadt. Fangen Sie | |
behutsam an. | |
Der Finne Jorma Railonkoski macht den Start einfach. Der kräftige | |
Mittfünfziger hat vor Kurzem einen Pub eröffnet, der das Hofbräuhaus von | |
Helsinki werden will. Der Name: Rymy-Eetu, auf Deutsch: der lärmende Ewald. | |
In Helsinki ist er derzeit das Stadtgespräch. Sie können sich dort auf eine | |
dunkle Holzbank pflanzen, für 6 Euro ein deutsches Weißbier bei der | |
Bedienung im Dirndl bestellen und den Schuhplattler hören. Sehen Sie über | |
zwei Fehler hinweg. | |
Fehler Nummer eins: Es gibt neben Brathendeln und Haxen auch Currywurst. | |
Natürlich hat die Berliner Wurstkreation im Hofbräuhaus nichts zu suchen. | |
Railonkoski aber erzählt, dass er noch nie in Deutschland war und dass er | |
das nicht wissen konnte. Er meint: "Die Gäste wollten Currywurst, also | |
haben wir sie." | |
Fehler Nummer zwei: Es geht nicht bierselig gemütlich zu. Fast jeder Platz | |
kann besetzt sein. Doch mancher finnische Gast sitzt nur dort, nimmt ab und | |
an einen Schluck vom Getränk und starrt vor sich hin. "Wir reden nur, wenn | |
es etwas Wichtiges gibt - und wichtig ist selten", sagt Railonkoski. | |
Zugegeben, das Rymy-Eetu bedient das finnische Klischee perfekt, der Besuch | |
lohnt aber trotzdem, vor allem wegen der Toilette. | |
Dort zeigt sich: Wenn Finnland ein Imageproblem hat, dann hat Deutschland | |
erst recht eins. Wer sich in Railonkoskis Pub aufs Klo setzt, hört einen | |
finnisch-deutschen Sprachkurs mit Sätzen wie "Vielen Danke!" - "Haben Sie | |
sich nicht verrechnet?" oder: "Salaten haben wir nicht!" Die Grammatik ist | |
herrlich unzureichend. Vielsagender allerdings ist der aggressive Ton. Eine | |
tiefe Männerstimme rollt das "R" stark, betont jeden Buchstaben einzeln. | |
Finnen verbinden Deutschland mit Stechschritt und Verbissenheit. | |
Auch die billige Variante des Alkoholkonsums kann schön sein. Allein: Sie | |
sollten vor neun Uhr abends einen Laden betreten, die Alkoholvorräte sind | |
sonst hinter Gitter weggeschlossen. Alkohol ist in Finnland Todesursache | |
Nummer eins. Fast jeder fünfte Mann, gut jede zehnte Frau sterben daran. | |
Die Regierung versucht das zu ändern. Harten Alkohol verkaufen Ihnen darum | |
auch nur besondere staatliche Geschäfte, die "Alkos". | |
Finnen kaufen dort zum Beispiel ihren "Kossu". Zu dem 38-prozentigen | |
Branntwein, der eigentlich Koskenkorva heißt, pflegen sie ein inniges | |
Verhältnis. Als die Staatliche Branntweinfabrik Anfang 2000 an einen | |
ausländischen Konzern verkauft werden sollte, gab es einen Volksaufstand - | |
mit Erfolg. Jedermanns Geschmack ist der Kossu jedoch nicht. | |
Sie können sich genauso gut mit einem Zwölferpack Bier versorgen, den | |
Finnen einen "märäkoira" nennen, was "Dackel" heißt. Ihre Massenbiere, das | |
sind Lapin-Kulta, Koff oder Karhu, ähneln den deutschen Lagerbieren. Zu | |
langweilig? Dann greifen Sie zum finnischen Kultgetränk in silbrig-blauer | |
Dose - dem "Lonkero". Dieser "Tentakel" ist eine Mischung aus Gin und | |
Grapefruit. Der Büchsen-Longdrink kam 1952 auf den Markt, als die | |
Olympischen Spiele in Helsinki stattfanden und es für die vielen Gäste | |
einfach noch viel zu wenig Kneipen gab. | |
Finnen finden, dass es sich nicht lohnt, nur ein bisschen zu trinken. Bier | |
und Drinks sind teuer - warum sollte man es bezahlen, wenn man keinen | |
Rausch bekommt? Als Alkoholiker gelten diejenigen, die jeden Abend ein Glas | |
Wein zum Essen trinken oder das Feierabendbier vor dem Fernseher. So gehört | |
zum ordentlichen finnischen Pubcrawl auch der Hang-over am nächsten Morgen. | |
Also laufen Sie weiter! Etwa in Aki Kaursmäkis Bar Corona und seiner | |
Moskova Bar nahe dem Design-Viertel der Stadt. Die Typen, die dort an der | |
Bar abhängen, haben mit seinen Filmen allerdings gar nichts zu tun: Es sind | |
nicht die Loser, sondern die Schauspieler und Stars der Stadt. | |
Einen Dresscode gibt es nicht. Etepetete zu sein, das passt nicht zur | |
finnischen Gesellschaft, in der das Siezen weitgehend abgeschafft ist und | |
jeder die Schuhe auszieht, wenn er ein Haus betrifft. Die hippen Clubs, die | |
denen in Berlin oder München ähneln, gibt es zuhauf. Wer es finnischer mag, | |
geht allerdings in St. Urhos Pub, ganz in der Nähe des Parlaments. | |
Dort soll der legendäre finnische Staatspräsident Urho Kalevo Kekkonen in | |
seiner Zeit als Jurastudent getrunken haben. Die Kneipe heiligt ihn mit | |
ihrem Namen. Der Personenkult ist fast unangenehm. Doch Finnland ist klein. | |
Und als Kekkonen 1956 bis 1981 amtierte, war die Sowjetunion übermächtig. | |
Er lavierte zwischen den Blöcken Ost und West. Westeuropäer haben das zwar | |
oft nicht verstanden, die meisten seiner Landsleute aber haben Kekkonen | |
dafür bewundert. Fragen Sie nach! | |
In der finnischen Kneipe kommt man erstaunlich leicht ins Gespräch. Fast | |
jeder spricht Englisch. Wer ihre Sprache lernen will, den halten die Finnen | |
für verrückt. Tatsächlich hat sie mit Deutsch oder Englisch nichts zu tun, | |
weil sie zu den finno-ugrischen Sprachen gehört. Man braucht Jahre, um sie | |
zu verstehen. Nur selten ist es so einfach wie bei der Bar: "Baari" oder | |
bei Prost: "Kippis". Schon, wenn Sie die "nächste Runde" bestellen wollen, | |
wird es schwieriger: "Yhdet vielä!" | |
Ihnen ist nicht mehr nach Bier? Dann trinken Sie einen Kaffee. Kaffee ist | |
ohnehin das wahre Nationalgetränk. Jeder Finne trinkt am Tag rund vier | |
Becher - Weltrekord. Kaffee steht in den Bars in großen gläsernen Kannen | |
für Stunden auf Wärmeplatten. Ungenießbar? Munter macht er auf jeden Fall, | |
und Sie haben noch einiges vor. | |
Selbst werktags haben viele Bars bis morgens um vier auf. Wenn Sie in eine | |
der landesweit 2.000 Karaokebars gehen, werden Sie mit besonders gelösten | |
Menschen zusammenkommen. Für Sie kommt "Yes Sir, I Can Boogie" von Baccara | |
in Frage. Oder: "Take me home, Country road" von John Denver. Überspringen | |
Sie die finnischen Schlager, wenn Sie ihr Lied aus der Songliste wählen. | |
Ihr Liedtext taucht prompt auf dem großen Bildschirm an der Wand auf, | |
unterlegt mit kitschigen Naturbildern: Wasser, Schären, Wald. Nehmen Sie | |
das Mikro nah ran an den Mund, wiegen Sie sich hin und her. Singen Sie, als | |
wären Sie bei "Finnland sucht den Superstar". Keine Sorge: Die anderen | |
treffen den Ton auch nicht. | |
Dabei haben sie sicher mehr geübt als Sie. Denn die Finnen tragen nicht nur | |
die Weltmeisterschaft im Handy-Weitwurf und Frauen-Weittragen aus, sondern | |
auch im Karaoke-Singen. In der Stadt fahren Taxen mit Disko-Ausstattung | |
rum: Die Fahrt im silbernen Kleinbus, bestückt mit Mischpult und CD-Kisten, | |
kann man im Internet vorbestellen. Es gilt der normale Taxipreis. Fahren | |
Sie damit - nach Hause! | |
25 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
## TAGS | |
Reiseland Finnland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |