# taz.de -- Antikriegsorganisation in der Army: Sterbefeld Deutschland | |
> Irak-Veteranin Selena Coppa kämpft offen innerhalb der US-Armee für den | |
> Rückzug der Truppen und fordert Hilfe für traumatisierte GIs. Was | |
> kritisiert sie an Deutschland? | |
Bild: Offiziell sind 4.100 GIs im Irak gefallen, tatsächlich dürften es 25.00… | |
In Südostasien lagen einst die "Killing Fields", doch glaubt man Sergeant | |
Selena Coppa, dann gibt es heute in Deutschland "Dying Fields", | |
Sterbefelder. "Offiziell sind bisher etwa 4.100 GIs im Irak gefallen", sagt | |
die US-Soldatin. "In Wirklichkeit dürften es ungefähr 25.000 sein." Die | |
Statistiken würden manipuliert, unter anderem indem kriegsbedingte | |
Selbstmorde nicht hinzugezählt und Schwerverletzte in Kliniken auf | |
deutschem Boden geflogen würden: "Wenn die Leute in der Luft sterben oder | |
beispielsweise in Landstuhl, dann zählen sie als Todesfälle innerhalb | |
Deutschlands." Sie meint das Landstuhl Regional Medical Center, in das seit | |
Beginn des "War on Terror" mehr als 12.000 US-SoldatInnen eingeliefert | |
wurden. Die Pressestelle des Center war für eine Stellungnahme nicht zu | |
erreichen. | |
Die junge Soldatin, eine indianisch wirkende Schönheit, sitzt mit ihrer | |
fünfjährigen Tochter auf dem Sofa ihrer kleinen Wohnung in der US-Basis von | |
Wiesbaden. Seit sieben Jahren in der Armee, wurde sie mehrfach für ihre | |
Leistungen ausgezeichnet. Und in der Tat hat sie immer wieder Mut und | |
Tapferkeit bewiesen, allerdings in einem Sinne, der ihren Chefs schließlich | |
gar nicht mehr gefiel: Als Mitglied der "Iraq Veterans Against the War" | |
(siehe Kasten) kämpft sie gegen den Krieg, wissend, dass sie Repressalien | |
riskiert. "Ich muss es einfach tun", sagt sie. Sie lächelt, aber ihre Augen | |
blicken traurig. Diese Augen sagen alles: Sie haben Entsetzliches gesehen. | |
Wenn man sie direkt danach fragt, verweigert sie die Antwort. Es ist ihr | |
gesetzlich verwehrt, darüber Auskunft zu geben, zumal sie einer Abteilung | |
des Militärischen Abwehrdienstes angehört. Im Übrigen, betont sie, vertrete | |
sie nur ihre private Meinung und rede nicht im Namen der Armee. Sie nennt | |
keine Details, keine Einheiten, keine Namen, um keine Vorwände zu liefern, | |
sie zu verhaften oder zu feuern. Sie hält sich betont an die Gesetze, und | |
die besagen, dass sie sich als Privatperson politisch äußern darf, auch | |
gegenüber Medien, solange das in ihrer Freizeit passiert und nicht auf | |
Demonstrationen. "Viele GIs wissen das nicht, kennen ihre Rechte nicht. | |
Aber wenn du aufstehst und offen sprichst, dann machst du anderen Leuten | |
Mut, dasselbe zu tun. Du zeigst ihnen: Sie sind nicht allein." | |
Aus ihrem Fenster sieht man auf die Basis. Schmucklose Mehrfamilienhäuser, | |
davor ein paar Grillplätze. Die Shopping Mall bietet alles, damit | |
Soldatenfamilien sich wie zu Hause fühlen: Fähnchenschmuck zum | |
Unabhängigkeitstag. American Food. Daddelhallen. Im Restaurant ein riesiges | |
Bild, das glücklich grinsende Soldaten vor glücklichen Bergen zeigt. | |
Draußen verkauft ein Mann T-Shirts mit dem Aufdruck "I survived Germany". | |
Der Spruch klingt angesichts der hier sterbenden GIs makaber. Zudem, | |
berichtet Selena Coppa, bemühe sich die Militärführung, Deutsche als | |
feindselig darzustellen. Schon in den ersten Tagen in Wiesbaden habe man | |
ihr gesagt, Außenkontakte seien gefährlich, weil die Deutschen die | |
Amerikaner nicht mögen würden. "Sie warnten uns auch vor Fußballfans und | |
öffentlichen Ereignissen: Vorsicht, die Leute sind gewalttätig, sie könnten | |
euch verletzen." Das aber hält Coppa nicht davon ab, Beziehungen zu | |
knüpfen: "Inzwischen gibt es weltweit keinen Ort mehr, wo die | |
Friedensbewegung nicht ist." Wenn ihre Chefs sie erneut in den Irak | |
schicken würden, was möglich sei, dann täten sie ihr sogar einen Gefallen, | |
denn dort gebe es unzählige Mitglieder ihrer Organisation, "und wir könnten | |
Treffen organisieren." | |
Die deutsche Regierung unterstütze den Krieg indirekt, sagt Coppa. "Sie | |
verhält sich wie Pontius Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht." | |
Deutschland mit all seinen US-Basen und Hospitälern sei das strategisch | |
unverzichtbare Hinterland für den "War on Terror". Sie habe auch von | |
deutschen Attachés in US-Uniformen gehört, die im Irak seien. Ein Soldat | |
habe deutsch gesprochen und gesagt: "Ich trainiere mit der amerikanischen | |
Armee." Ein anderer Militärexperte, der seinen Namen nicht in der Zeitung | |
lesen will, bestätigt die Anwesenheit von Bundeswehrangehörigen im Irak. | |
Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums aber dementiert: "Wir | |
haben keine Deutschen im Irak." | |
Warum ist trotz der enormen Kriegsmüdigkeit in den USA die Protestbewegung | |
heute weniger breit als während des Vietnamkriegs? Damals habe noch die | |
Wehrpflicht existiert, viele Eltern fürchteten um das Leben ihrer Kinder, | |
erklärt die Soldatin. Inzwischen aber sei das Militär eine Berufsarmee, | |
sodass es viel weniger betroffene Familien gebe. Die BerufssoldatInnen aber | |
werden anscheinend als recycelbares Menschenmaterial benutzt. Die GIs, sagt | |
Selena Coppa, würden drei-, vier-, fünfmal nacheinander zu durchschnittlich | |
elf Monate dauernden Einsätzen in die Kriegsgebiete geschickt, egal wie | |
verrottet ihre Ausrüstung sei, egal wie traumatisiert sie seien: "Die | |
Regierung unterstützt unsere Truppen nicht, im Gegenteil." Diejenigen, die | |
die Army verlassen wollten, würden mit trickreichen Vertragsverlängerungen | |
daran gehindert. | |
Traumatisierung sei ein riesiges Thema. "30 Prozent der Irak-Veteranen | |
sollen unter PTSD leiden", sagt sie. Das Posttraumatische Belastungsyndrom | |
umschließt Panikattacken, Schlaflosigkeit, Herzrasen, Depressionen und | |
mehr. "Wer PTSD hat, darf nicht dienen", erläutert Selena Coppa. Deshalb | |
werde es den SoldatInnen sehr schwer gemacht, einen Termin bei einem Arzt | |
zu bekommen, geschweige denn eine Diagnose oder gar Behandlung. Eine der | |
Folgen sei die extrem hohe Zahl von Selbstmorden: "Ungefähr 120 Leute pro | |
Woche begehen Suizid." Tatsächlich haben sich nach einer Umfrage des | |
US-Senders CBS allein 2005 mehr als 6.200 KriegsveteranInnen umgebracht - | |
damit übersteigt die Suizidrate die der offiziell Gefallenen. | |
Was bedeutet es für die Zukunft der USA, wenn etwa ein Drittel der rund 1,6 | |
Millionen GIs traumatisiert aus Irak und Afghanistan zurückkehrt, also | |
ungefähr eine halbe Million Menschen? Selena Coppa schaut mit traurigen | |
Augen. "Die Leute bekommen keine Hilfe. Manche begehen Verbrechen, töten | |
ihre Frauen, es gab sogar einen Fall in Deutschland." | |
Und was ist mit den weiblichen GIs? Nach einer Studie der US-Professorin | |
Helen Benedict wurden seit Beginn des "War on Terror" von den rund 200.000 | |
Soldatinnen im Kampfgebiet fast drei Viertel sexuell belästigt und beinahe | |
ein Drittel vergewaltigt. "Auch ich kenne viele Fälle", bestätigt Coppa. | |
Eine Soldatin im Irak sei an Flüssigkeitsmangel gestorben, weil sie sich | |
aus Angst vor einer Vergewaltigung nachts nicht zum Wassertrinken in die | |
Sanitärabteilung getraut habe. Eine andere sei von einer Gruppe Männer | |
vergewaltigt, aber wegen eines angeblichen Alkoholmissbrauchs selbst | |
verurteilt worden. All das werde verheimlicht. Viele Soldaten glaubten, | |
"sie könnten machen, was sie wollen, sie würden eh nicht verurteilt". Auch | |
das sei "eine Form der Entmenschlichung" durch den Krieg. | |
Und was, wenn noch vor den US-Wahlen ein neues Horrorszenario wahr wird? | |
Wenn Israel die iranischen Nuklearanlagen bombardiert, von Iran mit Raketen | |
beschossen wird und die USA daraufhin den Iran attackieren? "Entsetzlich! | |
Nicht auszudenken, was dann passiert! Manche reden ja schon vom Beginn des | |
Dritten Weltkriegs." | |
7 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Ute Scheub | |
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