# taz.de -- Besuch bei der Ex-Grünen Halo Saibold: Glückliche Kassandra | |
> Teures Benzin, weniger Flugreisen - mit diese Schlagworten kann man heute | |
> jede Klimakonferenz bestehen. Vor zehn Jahren haben sie die | |
> Grünen-Abgeordnete Halo Saibold die Karriere gekostet. | |
Bild: Halo Saibold (r) könne "auch mal die Klappe halten", fand Joschka Fische… | |
ALDERSBACH taz Seltsam sind Bonsai-Züchter: Einerseits verkrüppeln sie | |
Großes, um es klein zu halten. Andererseits erschaffen sie im Kleinen das | |
Große. Sie öffnen die Augen für die Schönheit des Großen im Kleinen. Halo | |
Saibold ist eine leidenschaftliche Bonsai-Züchterin. | |
Halo Saibold, ist das nicht die Grünen-Politikerin, die den Deutschen | |
Flugreisen verbieten wollte? Hatte sie nicht einen Benzinpreis von fünf | |
Mark pro Liter gefordert? Und votierte sie im Bundestag nicht gegen die | |
NATO-Osterweitung und trat aus Protest gegen den Kosovo-Krieg aus ihrer | |
Partei aus? | |
Vieles von dem stimmt nur so halb, wie manches, was über Halo Saibold zu | |
hören ist. Dabei lag sie bei vielem richtig: Der Benzinpreis liegt schon | |
jetzt bei mehr als 1,50 Euro - und wird sicherlich noch weiter steigen. | |
Erste Airlines stellen ihre Flüge ein, da der Ölpreis zu hoch liegt. Die | |
Diskussion um klimafreundliche Ferienreisen ist voll entbrannt, gerade | |
gestern gab es neue Vorschläge dafür. Überhaupt: Energie wird immer knapper | |
und teurer, der Klimawandel ist da. War Saibold also die Prophetin im | |
eigenen Land, der niemand glaubt? Gleicht sie der trojanischen | |
Königstochter Kassandra, deren Gabe der Vorsehung mit dem Fluch bedeckt | |
war, dass niemand ihr glauben würde? | |
Man muss sich Kassandra als einen unglücklichen Menschen vorstellen - Halo | |
Saibold ist es, zumindest auf dem ersten Blick, nicht. Mit ihrem | |
59-jährigen Lebensgefährten Heinz Menzel muss sie einen vom Bahnhof | |
Osterhofen in Niederbayern abholen. Die Kleidung sommerlich leicht, die | |
Haare weiß, die Sprachfärbung bayerisch: Saibold ginge gut als ökologisch | |
angehauchte Dorf-Oma durch. Ihr Auto ist ein Diesel schluckender | |
Familienwagen, den ihr Sohn ausgemustert hat. | |
Saibold wohnt am Rande des nahen Dorfes Aldersbach, am Käserberg. Es ist | |
das Dorf, in dem sie aufwuchs. Niederbayern ist hier meist flach, wenig | |
aufregend. Aber natürlich ist für sie die Heimat voller Geschichte, was | |
sich auf der Fahrt zu ihrem Haus zeigt: Menzel weist am Horizont Richtung | |
Pleinting, wo die beiden damals gegen ein geplantes Atomkraftwerk gekämpft | |
haben. | |
"Zu Besuch bei Körner-Fressern", wirft Menzel selbstironisch ein - und | |
tatsächlich, ihr Zuhause ist eine umgebaute Scheune, in der Küche steht die | |
kleine, aber laute Getreidemühle für die Produktion des eigenen Brotes. Im | |
Wintergarten treibt Sonnenenergie ein kleines Windrad-Spielzeug an. Am Ende | |
des Grundstücks steht eine Klimastation, die Menzel mit der Ernsthaftigkeit | |
eines Hobby-Meteorologen betreibt. Saibold führt im Hof des Anbaus Dutzende | |
Bonsaibäume vor. Gerade hat sie sich noch einen Granatapfel gekauft - | |
"dabei habe ich doch schon drei", sagt sie, Kopf schüttelnd, und lacht. | |
Vor allem aber ist da dieser unglaubliche, 3.300 Quadratmeter große Garten, | |
groß wie ein Tagwerk, wie man früher sagte. Es ist ein kleines Paradies mit | |
ein paar Rasenflächen, vielen Bäumen, exotischen Pflanzen, prächtigen | |
Blumen, mehreren Sitzecken, einem kleinen Hühnerstall und einem großen | |
Teich, in dem Saibold von März bis November morgens eintaucht - eintauchte, | |
denn seit neuestem hat eine arge Algenvermehrung den Badefreuden ein Ende | |
gesetzt, die Selbstreinigung des Tümpels hat versagt. "Das hat bisher | |
ausgezeichnet hingehauen", sagt Saibold, "heuer ist es etwas | |
problematisch." | |
Problematisch, um es vorsichtig zu sagen, war auch Saibolds größter | |
publizistischer Coup vor zehn Jahren. Im Wendejahr zu Rot-Grün war es, am | |
22. März - Saibold weiß es fast auf den Tag genau. Denn er markierte auch | |
ihren Absturz als Politikerin: An diesem Tag titelte die Bild am Sonntag | |
auf Seite 1: "Grüne: Urlaubs-Flüge müssen teurer werden!" Darunter | |
plädierte Saibold, klar nach Parteilinie, dass "der Flugtourismus | |
eingeschränkt wird": "Welchen Sinn macht es", wurde Saibold korrekt | |
zitiert, "zum Beispiel, für ein verlängertes Wochenende nach Mallorca ... | |
zu düsen. Besser wäre es, wenn die Urlauber nach dem Motto handelten: ,Wir | |
verreisen seltener, bleiben aber dafür länger am Urlaubsort.' Es reicht | |
vollkommen aus, wenn die Deutschen nicht jedes Jahr, sondern nur alle fünf | |
Jahre eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug machen." | |
Solche Thesen verbreiten heute Chefredakteure in erfolgreichen Büchern - | |
was damals folgte, war ein Sturm der Entrüstung. Denn raffiniert spitzte | |
der Springer-Verlag die Aussage Saibolds zu, in: Die Grünen wollen uns | |
unseren verdienten Urlaub in den Süden verbieten! Und das Ganze vor der | |
Folie des "Fünf-Mark-pro-Liter-Benzin"-Beschlusses der grünen Partei in | |
Magdeburg und der grünen "Tempo-100"-Forderung. Die Süddeutsche Zeitung | |
kommentierte damals ätzend: "Wenn der Öko-Partei demnächst noch was zum | |
Fussball einfällt, dann hat sie endgültig alle Chancen im Herbst | |
verspielt." | |
Dass in dieser Endzeit des ewigen Kanzlers Helmut Kohl (CDU) nicht nur die | |
Konservativen auf Saibold schießen würden, war klar. Dass sich aber in der | |
eigenen Partei viele auf ihre Kosten profilierten, schockte sie: Der grüne | |
Übervater Joschka Fischer höhnte im Spiegel: "Also wirklich, Mallorca auf | |
Bezugsschein finden Sie nun in keinem Parteiprogramm. Die Kollegin Halo | |
Saibold - und sie trägt schwer daran - ist der individuellen Überzeugung, | |
es wäre sinnvoll, Flugreisen seltener zu unternehmen. Aber das ist | |
jedermanns persönliche Entscheidung." Joschka wurde mit dem Satz zitiert: | |
"Bundestagsabgeordnete bekommen auch deshalb 18.000 Mark, damit sie mal die | |
Klappe halten." | |
Der spätere Umweltminister Jürgen Trittin nannte Saibolds Anregung einen | |
"großen Schwachsinn": "Ich mach' schon kein Wochenende. Da will ich | |
wenigstens zweimal im Jahr in Urlaub." Ihre Fraktionssprecherin Kerstin | |
Müller beschimpfte Saibolds Ideen: "Furchtbar. Ein solcher | |
ökodiktatorischer Ton ist sehr kontraproduktiv." Der Spiegel gab Saibold | |
kurz und fies den publizistisch-politischen Gnadenschuss: "Als Vorsitzende | |
des Bonner Tourismus-Ausschusses kann sich die fromme Halo leider nicht | |
selbst an ihre Gebote fürs Volk halten. In dieser Legislaturperiode jettete | |
sie unter anderem auf die Malediven, nach Japan, London, Brasilien, Prag | |
und Lanzarote - vermutlich im festen Willen, das Ozonloch endgültig zu | |
schließen." | |
Saibold sitzt in ihrem Garten unter einem Trompetenbaum - und erinnert sich | |
mit Schaudern an diese Zeit, ab und zu stinkt es vom Teich rüber: Sie bat | |
Joschka Fischer um eine Richtigstellung - "Joschka, ,Mallorca auf | |
Bezugsschein', weißt du, was du da gesagt hast?" Er habe ihr zugesichert, | |
das richtig zu stellen. Passiert ist "natürlich", wie sie sagt, nichts. | |
Saibold faxte verzweifelt seitenlang Erläuterungen ihres Zitats an | |
Redaktionen - es half alles nichts. Man kann sagen: Saibold wurde geopfert | |
auf dem Altar der Regierungsfähigkeit der Grünen. Der | |
"Mallorca-auf-Bezugsschein"-Dreck hing fortan an ihren Schuhen, wohin sie | |
auch ging. Noch heute findet sich etwa bei Wikipedia, sie habe angeregt, | |
"Langstreckenflüge für Urlaubsreisende zu kontingentieren". Bei der Wahl im | |
Herbst 1998 verpasste Saibold knapp den Wiedereinzug in den Bundestag. Ein | |
Jahr später trat sie wegen des Kosovokriegs aus den Grünen aus. Ihre | |
politischen Karriere war beendet. | |
Das jähe Ende ihrer politische Biographie schmerzt sie auch heute noch. | |
Dafür hat sie zuviele Jahre in dieses Engagement für die Grünen und in die | |
Ökologie gesteckt, Saibold zählt zum Urgestein der Partei. Sie gründete den | |
bayerischen Landesverband der Grünen mit, war anfangs im Bundesvorstand, | |
kam als spätere Rotiererin, so war es zumindest geplant, 1983 nach Bonn - | |
die Bilder von damals mit Topfpflanzen auf den Abgeordnetenbänken sind | |
heute Geschichte. Im Aldersbacher Haus, geheizt durch Sonnenenergie, | |
nächtigte Petra Kelly, Joschka Fischer lümmelte sich auf dem Sofa im | |
Wohnzimmer, Herbert Gruhl fragte vorsichtig an, ob das kalte Wasser aus der | |
Dusche in ihrem Haus Prinzip sei oder einfach der Boiler streike. Alte | |
Namen, alte Stichworte fallen im Gespräch, vieles ist vergangen. Aber, | |
verdammt!, hatte sie nicht oft recht: Mit ihren Plädoyers für einen sanften | |
Tourismus, für eine Ernährung nach Bio-Gesichtspunkten, für mehr | |
Verbraucherschutz, für eine maßvolle Lebensweise auch in der Ersten Welt | |
und für eine Öko-Landwirtschaft? Sie habe, sagt Saibold, als erste in der | |
Bundestagskantine schon 1983 Bio-Menus eingefordert - sie sagt es ohne | |
Ironie, ganz ernst. | |
Wer heute im Garten Saibolds sitzt, spricht mit keiner Gescheiterten, eher | |
einer Radikalen im lateinischen Sinne, einer Frau, die sich noch heute von | |
den Wurzeln der grünen Partei der 80er Jahre nährt: "Ich wäre nie in die | |
Fischer-Partei eingetreten, für mich war Petra Kelly ausschlaggebend." | |
Solche Sätze sagt sie, die aus dem alten Jahrtausend stammen. Aber auch: | |
"Für mich ist Fliegen etwas ganz Kostbares", betont Saibold, "ich will, | |
dass unsere Kinder auch fliegen können." Damals, 1998, drängte ihre Partei | |
Saibold, den Flugreisen-Satz zurück zu ziehen. Das hat sie nie getan. | |
Nach ihrer politischen Karriere arbeitete Saibold ein paar Jahre im | |
Vilshofener Öko-Laden, den Menzel aufgebaut hatte. Sie stieg aus, als der | |
Bio-Boom ihr ökologisch zu zweifelhaft wurde. Bald wird Saibold Pension | |
bekommen. In der griechischen Mythologie verliert sich die Spur der | |
Kassandra ins Nichts. | |
8 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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