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# taz.de -- Für eine Handvoll Dirham: Die Weberinnen von Tazenakht
> Um zu überleben, knüpfen sie Teppiche und verkaufen sie an
> Zwischenhändler. Eine Begegnung mit Witwen und verlassenen Frauen.
Bild: Präsentation der Teppiche
Wir da oben, sie da unten. Wir sitzen erhöht auf Stühlen, sie hocken auf
Teppichen uns zu Füßen. Wir, das sind die Teilnehmer der taz-Reisegruppe
„Synergie Civique in Südmarokko“; sie, das sind die Teppichweberinnen der
NGO Association Tifaout aus Tazenakht im Anti-Atlas. Rund 150 Frauen (und
10 Männer) aus vier Duars (Dörfern) im Umkreis von Tazenakht gehören bisher
der losen Vereinigung an, die im vergangenen März gegründet wurde. Sie
wollen sich untereinander austauschen und Partner in der Zivilgesellschaft
suchen, Zugang zum Internet finden und einen Verkaufsladen eröffnen.
Unser Treffen findet im Innenhof der Dorfältesten statt. Ein Baum, eine
Wäscheleine, eine Parabolantenne. Anfangs sitzen uns vielleicht 20 Frauen
mit Kopftüchern gegenüber, später zählen wir 70 bis 80 Berberinnen. Meist
sind es jüngere Frauen. Hamid Intezga trägt eine weiße Djellabah, ein
bodenlanges Gewand mit Kapuze, und einen schwarzen Bart. Er ist der
Sekretär der Frauenvereinigung, leitet die Versammlung und übersetzt.
Isha, mit 105 Jahren die Dorfälteste und Ehrenpräsidentin der
Frauen-Vereinigung, ergreift als Erste das Wort. „Um zu überleben, müssen
wir Frauen Teppiche knüpfen. Aber der Preis fällt immer weiter. Das Problem
ist die Macht der Zwischenhändler in Marrakesch. Aber wir wollen einen
fairen Preis für unsere Teppiche.“ „Wie viel bekommen Sie denn für einen
Teppich“, will Thomas Hartmann, unser Reiseleiter, wissen „zum Beispiel für
den roten Teppich dort drüben?“ „200 Dirham“ sagt die Alte, knapp 20 Eur…
„So viel verdienen viele Frauen im Monat.“ „200 Dirham - im Monat?“
„Jaaaa!“, rufen alle Frauen im Chor. 200 Dirham, sagt eine Frau, so viel
koste meist schon der Kauf von Wolle und Farbe, da sei nicht einmal die
Arbeitszeit eingerechnet. Vor fünf Jahren, sagt eine andere Frau, hätte man
für den roten Teppich mindestens das Doppelte bekommen.
Die Zwischenhändler könnten einen Teppich von 200 Dirham in den
Touristen-Souks von Marrakesch für das Zwanzigfache verkaufen, erklärt uns
Ghitta Issadani, die Präsidentin der Association Tifaout. Aber es gibt auch
„hausgemachte“ Ursachen für den Preisverfall: Die mangelnde Qualität
einiger Teppiche und die zunehmende Überproduktion. Früher hätten viele
Frauen Teppiche nur für den Eigenbedarf geknüpft, sagt eine Weberin, heute
produzierten sie, aus der Not heraus, für den Markt. In der Region
Tazenakht mit 45.000 Einwohnern knüpfen über 8.000 Frauen Teppiche. Also
fast alle.
Es beginnt zu dämmern, kurze Zeit später erscheint der Große Wagen am
Firmament. Irgendwo draußen meckert eine Ziege, Kinder schreien, der
Muezzin ruft. Drinnen im Hof erheben immer mehr Frauen ihre Stimme und
klagen uns ihr Leid. „Mein Mann hat mich verlassen, ich habe fünf Kinder,
niemand kauft meine Teppiche, ich lebe in Armut.“ - „Ich bin Witwe, ich
habe drei Kinder, zwei sind behindert, sie müssen ohne zu essen ins Bett
gehen.“ - „Mein Kind braucht eine Augenoperation. Das kostet ein Vermögen.
Aber ich habe kein Geld.“ Die Versammlung läuft aus dem Ruder, wir sitzen
den Frauen hilflos gegenüber.
Beim Abendessen kreisen die Gespräche nur um ein Thema: Was tun? Wie
helfen? Ursula aus München sagt: „Wir wollten doch die Realität im Land
sehen - und plötzlich haben wir sie gesehen.“
9 Jul 2008
## AUTOREN
Günter Ermlich
## TAGS
Reiseland Marokko
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