# taz.de -- Debatte Leben ohne Rohstoffe: Lektion Airbus | |
> Wenn wir zukünftig auf recycelbare Stoffe umstellen, können wir unseren | |
> Lebensstandard halten und mehr Menschen zugänglich machen. | |
Bild: So könnte sie aussehen, die Müllabfuhr im All | |
Die Weltbevölkerung wächst. Immer mehr Produkte kommen auf den Markt, immer | |
mehr Rohstoffe werden verarbeitet. Auch in Indien und China gibt es | |
inzwischen einen Mittelstand mit zunehmenden Konsumbedürfnissen. Zunehmend | |
hört man die ängstliche Frage: Kann das auf Dauer so weitergehen? | |
Dass die Menschheit wächst, muss kein Problem sein. Das macht, zum | |
Beispiel, ein Blick auf die Ameise deutlich. Ihre Biomasse übersteigt die | |
der Menschen um ein Vielfaches, ihr Kalorienverbrauch entspricht dem von | |
etwa 30 Milliarden Menschen. Dennoch sind sie kein ökologisches Problem. Im | |
Gegenteil: Während die Menschen in großem Umfang Abfälle produzieren, gibt | |
es in der Welt der Ameisen nur Nährstoffe: Was sie ausscheiden, ist für | |
andere Lebewesen nicht nur unschädlich, sondern sogar nützlich. Und was sie | |
konsumieren, sind Ausscheidungen anderer Lebewesen. Insofern spielt in der | |
Natur die Menge des eingesetzten Materials keine Rolle, weil sie ständig | |
zirkuliert. Tatsächlich herrscht in der Natur so etwas wie lustvolle | |
Verschwendung, wie ein blühender Apfelbaum in jedem Frühjahr eindrücklich | |
belegt. | |
Demgegenüber gilt der Materialeinsatz der Menschen spätestens seit 1962 als | |
destruktiv, als Rachels Carsons Buch "Silent Spring" erschienen ist. Dessen | |
zentrale These: Die menschliche Produktion zerstört die Natur, verursacht | |
Artenschwund und auch die Menschen selbst werden Opfer ihrer | |
Wirtschaftsweise. Seveso, Bhopal, Tschernobyl, Basel, Exxon Valdes - alle | |
diese Umweltkatastrophen führten zu dem weitverbreiteten Gefühl, dass die | |
Menschen Schädlinge auf der Erde sind, die es besser gar nicht gäbe. | |
Aus diesem Schuldkomplex entstand der Brundtland-Report über | |
Nachhaltigkeit, das Konzept der Öko-Effizienz und Null-Emission - alles mit | |
dem Ziel, möglichst wenig schädlich zu sein und den ökologischen Fußabdruck | |
zu minimieren. Es entstanden hocheffiziente Mülltechniken und Produkte, die | |
etwas weniger giftig waren als ihre Vorgänger. Auch der vor kurzem | |
verbreitete Ratschlag des Umweltbundesamts, das Auto öfters mal stehen zu | |
lassen, ist Ausdruck einer solchen Ideologie. Umweltschutz wird definiert | |
als "weniger zerstören". Doch diese Perspektive ist so falsch wie eine Form | |
von Kinderschutz, die Kinder nicht mehr täglich, sondern nur noch | |
wöchentlich mit Schlägen bestraft. | |
Wer weniger zerstört, schützt nicht. Im Gegenteil. Wer falsche Systeme und | |
Produkte optimiert, macht sie damit umso gründlicher falsch. So steckt | |
heute in PET-Flaschen zwar etwas weniger krebserregendes Antimon als | |
früher, doch in geringerer Konzentration ist der gesundheitsgefährdende | |
Stoff weiterhin vorhanden. Diese relative Verbesserung hat bisher | |
verhindert, dass ein völlig ungefährlicher, titanhaltiger Ersatzstoff | |
überhaupt auf den Markt kommt. | |
Auch das 2006 erlassene EU-Verbot, Blei in der Elektronikproduktion | |
einzusetzen, ist ein Beispiel für eine solch kurzsichtige Denkweise. Als | |
Ersatzstoffe für Lötverbindungen werden nun Zinn, Silber, Kupfer, Nickel | |
und Wismut verwendet. Das sind alles giftige oder seltene Metalle. Außerdem | |
kommt Wismut in der Natur fast nur zusammen mit Blei vor, so dass mit jeder | |
Tonne Wismut zugleich zehn Tonnen Blei gefördert werden - die dann | |
selbstverständlich als relativ günstige Rohstoffe auf dem Weltmarkt | |
untergebracht werden müssen. Außerdem ist Blei nur eine von 4360 | |
Chemikalien, die in einem normalen Fernseher enthalten sind. Die möglichen | |
Gefahren, die von den 4359 übrigen Stoffen ausgehen, bleiben unbeachtet. | |
Daran wird auch das REACH-Chemikalienprogramm nichts ändern - es | |
legalisiert im Gegenteil sogar Chemikalien, die nie für Menschen und Umwelt | |
entwickelt wurden. Nicht umsonst ist die Innenraumluft durchschnittlicher | |
Räume heutzutage durch ausgasende Elektrogeräte und Möbel so stark | |
belastet, dass inzwischen jeder zweite Siebenjährige an Allergien leidet. | |
Von Albert Einstein stammt die Weisheit, dass kein Problem durch dieselbe | |
Denkweise gelöst werden kann, durch die es verursacht wurde. Fest steht, | |
dass es abgesehen von gelegentlichen Meteoriteneinschlägen keinen | |
Materialinput aus dem Weltraum gibt. Die Verfügbarkeit technischer | |
Nährstoffe wie Kupfer, Zinn, Zink, Mangan oder Kobalt ist also begrenzt, | |
die Stoffe auf der Erde können nicht vermehrt werden. Eine Fortsetzung der | |
industriellen Wirtschaftsweise der vergangenen 150 Jahre ist deshalb auf | |
Dauer unmöglich. | |
Somit müssen wir künftig intelligent produzieren: Die eingesetzten Stoffe | |
sind in technischen und biologischen Kreisläufen zu führen, damit kein Müll | |
entsteht. Zum zweiten sollten wir uns von der Denkweise verabschieden, dass | |
es erstrebenswert ist, etwas weniger schädliche Dingen herzustellen als | |
zuvor. Vielmehr darf es nur noch Dinge geben, die weder Mensch noch Umwelt | |
vergiften und deren Inhaltsstoffe nach Gebrauch möglichst sogar noch | |
biologisch oder technisch nützlich sind. Statt alsoweiter nach dem Prinzip | |
"von der Wiege bis zur Bahre" zu handeln, sollten wir uns an der Natur | |
orientieren, wo das Motto herrscht: Von der Wiege zur Wiege. | |
Das erste Produkt eines solchen "Cradle to Cradle"-Designs, das von mir und | |
William McDonough im MBDC-Institut entwickelt wurde, waren kompostierbare | |
Möbelbezugsstoffe, die keineswegs mausgrau daherkommen, sondern mit den | |
höchsten Designpreisen Europas ausgezeichnet wurden. Dass sie auch im | |
funktionalen Sinne hohen Ansprüchen genügen zeigt sich schon daran, dass | |
auch die Polster des neuen Airbus A 380 damit bezogen sind. Inzwischen | |
orientieren sich immer mehr Firmen an dem Prinzip. So leiht der weltgrößte | |
Teppichbodenhersteller SHAW Teppichböden nur noch als Dienstleistung an den | |
Kunden aus und behält auf Dauer die Rohstoffe. Auch für die Turnschuhfirma | |
Nike, die weltweit größten Büromöbelhersteller Steelcase und Hermann Miller | |
und kleinere Unternehmen wie Marabu oder Trigema ist das "Cradle to | |
Cradle"-Prinzip heute zentral. Dabei gilt der Grundsatz, nur gute, | |
ungiftige Materialien einzusetzen bei Dingen, die mit den Nutzern in | |
Kontakt kommen. Wo Gifte technisch unumgänglich sind, müssen sie in der | |
Technosphäre bleiben. | |
Zum Glück wachsen inzwischen junge Wissenschaftler nach, die keine | |
Chemikalien mehr herstellen wollen, die sich in Lebewesen anreichern oder | |
die Fruchtbarkeit zerstören. Sie treffen zwar auf Sachwalter aus der | |
Schuldkomplex-Generation, die auf Verzicht und ein bisschen weniger Gift | |
setzen. Doch auf Dauer werden sich die Jungen mit ihrer Position | |
durchsetzen. | |
Wenn wir durch ein solches "Total Beauty Design" lernen, für uns, unsere | |
Mitmenschen und alle anderen Lebewesen auf der Erde nützlich zu sein und | |
nicht weniger schädlich, dann haben wir auch kein Überbevölkerungsproblem. | |
Dann können wir uns über das Potenzial jedes einzelnen Kindes freuen | |
anstatt in seiner Existenz ein Problem für die Zukunft der Erde zu sehen. | |
11 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Michael Braungart | |
## TAGS | |
Müll | |
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