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# taz.de -- Bombodrom-Proteste: Üben für den Ernstfall
> Rund 200 Gegner des geplanten "Bombodroms" in der Kyritz-Ruppiner Heide
> besetzten am Freitag das Gelände - deutlich weniger als in den Jahren
> zuvor. Die dabei blieben, sind umso entschlossener.
Bild: Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein vor 30 Jahren
Verkehrsstau im beschaulichen Nordbrandenburg: Eine Karawane von knapp
zweihundert Zugereisten und Einheimischen schiebt sich auf Fahrrädern und
in ausgeborgten Kleinwagen im Schritttempo durch die gelben Weizenfelder.
In den windschiefen Dörfern beobachten Rentner von ihren Vorgärten aus das
Geschehen und winken auch schon mal zurück. Kurz hinter einer großen
Schweinemastanlage schlagen sich die Demonstranten plötzlich nach rechts in
den Wald. Weder Polizei noch Natodraht, hindern sie daran, nur ein Schild
mit der Aufschrift "Militärischer Sicherheitsbereich - Lebensgefahr" lässt
erkennen, dass hier ein ehemaliger russischer Truppenübungsplatz ist.
Seit 15 Jahren wehren sich Anwohner und Friedensbewegte gegen die Planungen
des Bundesverteidigungsministeriums, dieses Gelände wieder als
Bombenabwurfplatz zu nutzen. Die Bundeswehr will auf dem 14.000 Hektar
großen Areal Übungsbomben abwerfen und Tiefflüge trainieren. Vor allem die
Tourismusbranche an der Seenplatte befürchtet massive wirtschaftliche
Einbußen wegen Fluglärms, auch Anwohner und Kriegsgegner lehnen das
Vorhaben seit Jahren ab, wie auch die Landesparlamente in Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern. Rund 200 Musterklagen liegen gegen das umstrittene
Bauvorhaben vor. Trotz Gerichtsurteilen, die eine Inbetriebnahme des
Tiefflugübungsplatzes bisher unterbinden, hält Verteidigungsminister Franz
Josef Jung (CDU) an dem Vorhaben fest. Das Aktionsbündnis Rosa Heide lädt
hier noch bis zum 21. Juli zu einem Widerstandscamp ein.
"Auf diesen Moment habe ich mich lange gefreut," erklärt Markus Euskirchen.
Der Berliner Mittdreißiger war seit Dienstag auf dem Basiscamp am Rande des
Bombodroms. Jetzt läuft er im Wald zwischen den Fahrrädern und Autos hin
und her und koordiniert das Eindringen der Aktivisten in das Sperrgebiet.
Die Aktion hat er monatelang mit vorbereitet.
Wenn der promovierte Politikwissenschaftler erzählt, warum er hier ist,
klingt das wohlüberlegt, aber auch kompliziert. Es fallen marxistische
Vokabeln wie "militaristische Vergesellschaftung" und "hegemoniale
Ordnung". Dabei kennt der Pfälzer mit den zerzausten braunen Haaren den
permanenten Stress durch Tiefflieger schon aus Kinderzeiten: Er ist in der
Nähe der amerikanischen Airbase Rammstein aufgewachsen. Später hat er sogar
als Jugendkader der Nationalmannschaft für Modernen Fünfkampf in den
Kasernen der Bundeswehr schießen geübt.
Heute lehnt Euskirchen das autoritäre Prinzip des Militärs aus tiefer
Überzeugung ab, sagt er. "Das Bombodrom ist der Flaschenhals für die
deutschen Militärstrategien", glaubt Euskirchen. Ohne das über zwanzig
Kilometer lange und acht Kilometer breite Areal, könne der Bund seine neue
Rolle als gleichberechtigter Militärpartner in der Welt nur schwer
durchsetzen. Und genau das will Markus Euskirchen behindern.
Eigentlich soll mit der heutigen Aktion eine neue Phase des Protests
beginnen. Die Mitglieder des Aktionsbündnisses wollen sich stärker
vernetzen und massenhaft den zivilen Ungehorsam üben. Ihr Plan für den
Ernstfall einer Inbetriebnahme des Testgeländes: Jeden Tag dringen
Kriegsgegner in den Platz und verhindern damit die Übungen.
Im Moment sieht es allerdings noch nicht so aus, als ob der Plan aufgeht:
Während bei einer Platzbesetzung im letzten Jahr noch 700 Leute dabei
waren, ist die Teilnehmerzahl heute abgeschmolzen. "Im letzten Jahr hat die
Besetzung des Bombodroms viele G-8 Protestierer angezogen und auch das
Wetter spielt leider nicht so richtig mit," erklären die Organisatoren die
abnehmende Beteiligung. Immerhin gibt es Rückenwind aus der Politik. Die
Bundestagsabgeordnete Inge Höger (LINKE) zeigt mit ihrer Anwesenheit
demonstrativ ihre Unterstützung für die Aktionen, die Grünen erklären sich
solidarisch und der SPD-Fraktionschef Hubertus Heil hat bei einem Treffen
mit dem Aktionsbündnis am Donnerstag erklärt, dass er deren Anliegen
grundsätzlich unterstützt.
Markus Euskirchen reicht das nicht und er glaubt nicht, dass der
Bombenabwurfplatz allein durch Gerichte und Parlament gestoppt werden kann.
Dafür seien die Interessen des Verteidigungsministeriums an dem Ort seiner
Meinung zu groß. Der Verteidigungsminister betone immer wieder, dass man an
dem Platz festhalten will. Deshalb fühlen sich die Initiatoren zu der
Besetzung gezwungen. Dass das Reibereien mit der Bürgerinitiative Freie
Heide bedeutet, die zivilen Ungehorsam nicht unterstützt, wollen sie dabei
in Kauf nehmen.
"Wir wollen keine Diskreditierung der Arbeit der Bürgerinitiative, sondern
eine Bereicherung des Protestspektrums," erklärt Samira Hübner, die mit
Euskirchen zusammen das Camp vorbereitet hat. Man müsse jetzt vorbereitet
sein um später, wenn die Genehmigung für das Bombodrom erteilt ist, auf dem
Platz zu stehen. Das will auch der Politikwissenschaftler Euskirchen. Auf
einer Wiese im Sperrgebiet baut er sein Iglu auf, mindestens vier Tage will
er hier zelten.
18 Jul 2008
## AUTOREN
Till Below
## TAGS
Ramstein Air Base
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