# taz.de -- Streitgespräch Hildebrandt vs Gauweiler: "Er ist ein Banausen-Ajat… | |
> Als Einzelkämpfer lebt es sich besser. Darauf können sich der Kabarettist | |
> Dieter Hildebrandt und der CSU-Politiker Peter Gauweiler einigen. Und | |
> darauf, dass sie sich einander nicht angenähert haben. | |
Bild: Hauptstreitpunkt: U-Bahn-Sicherheit mit Law-and-order-Politik | |
taz: Herr Gauweiler, was war das Frechste, was Dieter Hildebrandt jemals | |
über Sie gesagt hat? | |
Peter Gauweiler: Er hat mich mal einen Banausen-Ajatollah genannt. | |
Dieter Hildebrandt: Stimmt, fällt mir stolz wieder ein. | |
Gauweiler: Das war vielleicht Anfang der 80er-Jahre bei einer Diskussion im | |
Stadtmuseum. | |
Hildebrandt: Es ging um Kultur in München oder so. | |
Gauweiler: Der Banausen-Ajatollah war damals die gemeinste und nach Meinung | |
meiner Gegner in der CSU auch treffendste Formulierung über mich. Es ging | |
um einen Streit über den Ankauf von Kunstwerken Joseph Beuys im | |
Lenbachhaus. Heute gilt Beuys als eine Art Klassiker, aber früher | |
bezeichnete man ihn als Eulenspiegel oder Scharlatan. Wir haben geschäumt | |
und gesagt, keiner wählt CSU dafür, dass wir aus der Rathauskasse einen | |
Hunderttausender-Betrag für ein altes Bettgestell ausgeben. Bei diesem | |
Streit geriet ein junger Stadtrat namens Peter Gauweiler in den Fokus eines | |
mächtigen Kabarettisten. | |
Hildebrandt: Ich habe sicher noch anderes gesagt. Aber Sprüche entfallen | |
einem. | |
Bei Ihnen, Herr Gauweiler, ists hängen geblieben. | |
Gauweiler: Es ist wie bei der Krankengymnastik. Es wirkt, wenn es wehtut. | |
Heute gehen Sie freundlicher miteinander um. Sind Sie müde oder weise | |
geworden? | |
Hildebrandt: Gelassener, ruhiger, aber nicht milder. Im Gegenteil. | |
Positionsmäßig: Wer hat sich wem angenähert? | |
Hildebrandt: Ich habe mich seiner Position nicht angenähert, er sich meiner | |
auch nicht. Da bin ich sicher. Aber ich könnte ihm etwas Positives sagen: | |
Ich habe damit gerechnet, dass er bayerischer Ministerpräsident wird. Das | |
wäre mir lieber gewesen. | |
Statt Stoiber lieber Gauweiler? | |
Hildebrandt: Genauso hätte ich das gesehen. | |
Gauweiler: Damit ist eigentlich das Wesentliche gesagt. | |
Herr Gauweiler, was schätzen Sie denn an Dieter Hildebrandt? | |
Gauweiler: Er hat mein politisches Leben begleitet. Er gehört zum medialen, | |
politischen Leben - wie die "Tagesschau" oder früher Rudolf Augstein. | |
Beruflich hat Sie Franz Josef Strauß verbunden. | |
Hildebrandt: Der war ein Segen! Dank seiner Formulierungen hatte ich immer | |
Aufhänger. Wenn ich heute zwei an der CSU-Spitze sehe, die sich | |
widersprechen und nach Kreuth müssen, um sich zusammenzubinden, da muss ich | |
lachen. Das ist töricht. Unter Strauß gab es klare Hierarchien. Da wusste | |
man als Kabarettist: Da hast du ein Recht, dagegen zu sein. | |
Herr Gauweiler, wie haben Sie denn mit Franz Josef Strauß über Dieter | |
Hildebrandt gesprochen? | |
Hildebrandt: Strauß hat mich doch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. | |
Gauweiler: Nein, das stimmt nicht. Strauß war nach außen sehr kräftig, aber | |
innerlich auch sehr verletzlich. Er war ja so erzogen, dass er keinen | |
Angriff merkbar an sich ranlassen darf. Aber innerlich hat ihn alles sehr | |
aufgeregt. | |
Herr Hildebrandt, die Frankfurter Rundschau hat einmal geschrieben, Sie | |
seien der "unerschrockenste Einzelkämpfer der öffentlichen Unterhaltung". | |
Auch Sie, Herr Gauweiler, stellen sich oft gegen die Parteilinie. Wie wird | |
man zum Einzelkämpfer? | |
Hildebrandt: Indem man bei dem bleibt, was man sich gedacht hat. Das ist | |
ganz einfach. Eines Tages steht man dann allein da. | |
Gauweiler: Man lebt so auch besser. | |
Hildebrandt: Eigentlich ja. | |
Gauweiler: Man lebt irgendwie besser, weil man es nicht dauernd allen recht | |
machen muss. | |
Haben Sie die Rolle also bewusst gewählt? | |
Gauweiler: Solche Verhaltensweisen sind genetisch, so wie jeder Mensch | |
unterschiedlich auf Sonneneinstrahlung reagiert. Aus jeder Behinderung muss | |
man etwas Positives machen. | |
Aber man ist allein. | |
Hildebrandt: Einsam habe ich mich nie gefühlt, weil man immer Freunde hat, | |
die, selbst wenn sie an einem zweifeln, an einem hängen. Und ich hänge an | |
ihnen. Das ist mein Heimatgefühl. Wo die Freunde sind, bin ich zu Hause. | |
Deswegen ist München meine Heimat, sonst wäre sie ja Schlesien - um Gottes | |
willen, da will ich nicht wieder hin. | |
Wie hätte sich München verändert, wenn Peter Gauweiler 1993 die Wahl zum | |
Oberbürgermeister gegen Christian Ude gewonnen hätte? | |
Hildebrandt: Ach, es war abzusehen, dass es nicht dazu kommt. Hier | |
Oberbürgermeisterkandidat der CSU zu sein, ist ein Verheizungsposten. Das | |
ist so, wie damals gegen Beuys zu argumentieren. Das war auch tapfer. | |
Gauweiler: Sehr nett. Immerhin habe ich bei der Wahl 43 Prozent bekommen. | |
Hildebrandt: Das war viel. Während des Wahlkampfs habe ich mich an seine | |
Zeit als Chef des Kreisverwaltungsreferats erinnert. Da hat er seine Macht | |
ausgenutzt. Wenn er der Meinung war, dass es in irgendeinem Lokal unter | |
einem Stuhl irgendwo ein kleines Kokainspürchen gibt, fuhren gleich zehn | |
Polizeiautos mit Sirenen los. Da war er wirklich der Ajatollah. | |
Wie steht es denn heute um die soziale Gerechtigkeit in der Stadt? Die | |
Innenstadt entwickelt sich immer mehr zu einer Luxusinsel. | |
Hildebrandt: Das war eigentlich immer so. Es gibt zwei Bevölkerungen in | |
München, die in der Adventszeit auf dem Marienplatz zusammentreffen: Die | |
eine kommt aus der Theatinerstraße mit den großen Paketen, die andere aus | |
der Kaufingerstraße mit den kleinen Beuteln - beides furchtbar. Schlimm ist | |
auch, dass es in München zum Beispiel keine Maler mehr gibt. Früher waren | |
lauter Ateliers in Schwabing. Dort war Faschingszeit, da war Leben! Heute | |
ist Schwabing tot. Warum? Die Leute, die die Räume vermietet haben, sind | |
gestorben, und ihre vier bis fünf Kinder bilden jetzt die gefürchtete | |
Erbengemeinschaft. Die wollen nur Rendite. Wir sind mit der Lach- und | |
Schießgesellschaft um ein Haar der Entmietung entkommen. Löwenbräu hat uns | |
damals gerettet. Aber die kleinen Läden - alle weg! Jetzt sind überall | |
Konzerne wie McDonalds drin. So wird Schwabing langsam entschwabingt. Und | |
es gibt keinen Ersatz. | |
Gauweiler: Was Sie da eben beschrieben haben, war eine neue | |
Kommerzgeneration: Gier frisst Hirn. Aber das Ganze geht ja noch weiter - | |
nur in einer höheren Etage. Weil: Wem gehört denn jetzt Löwenbräu? Und mit | |
dem Prozess des Shareholder-Value-Globalisierungs-Gaunertums machen sich | |
doch überall namenlose Heuschrecken breit. Familienunternehmen gibt es ja | |
immer weniger. Und da, wo wir früher am heftigsten gestritten hatten, über | |
die staatsbayerische Energiepolitik, die Wiederaufbereitungsanlage in | |
Wackersdorf, Bayernwerk und Bayerngas - wo sind sie? Es gibt sie nicht | |
mehr. Sie sind verschwunden, gekauft von Namen, die schon keiner mehr weiß. | |
Viag? Ist jetzt ein Bestandteil von Eon, irgendwo in Düsseldorf. Hat mit | |
Bayern nichts mehr zu tun. | |
Hildebrandt: Das Problem ist, dass ein großer Arbeitgeber sich heute nicht | |
mehr für seine Arbeiter interessiert. Er kennt sie gar nicht. Früher ist | |
der Unternehmer, Grundig oder wie sie alle hießen, persönlich durch die | |
Fabrik gegangen. Der kannte seine Leute und hat sie nicht einfach so | |
entlassen können. Er wollte das auch nicht. | |
Herr Hildebrandt, Sie haben immer ein solidarisches Miteinander gefordert. | |
Wie liberal muss eine Gesellschaft sein? | |
Hildebrandt: Ich bin gegen strikte Verbote. Zum liberalen Gedankengut | |
gehört aber auch, einzusehen, dass man Gebote einhält. Dann bin ich ein | |
Mitglied der Gesellschaft und nicht asozial. Ich kann mal ein wenig | |
unsozial sein, aber nicht in der Grundhaltung. Ich bin zur Verantwortung zu | |
ziehen. Das heißt, liberales Denken hat Grenzen, die man sich selbst setzen | |
muss. Ich werde immer nach Tabus gefragt. Ich habe Tabus, | |
selbstverständlich. Meine eigenen. Aber ich möchte mir keine oktroyieren | |
lassen. Ich möchte nicht, dass dies oder jenes verboten ist. Man muss mich | |
überzeugen. Das ist angewandte Demokratie. Deswegen ist die Betonung von | |
liberal gar nicht nötig. Die FDP ist eine überflüssige Partei. Sie kann | |
höchstens hin und wieder ausgleichen oder eine Mehrheit schaffen. | |
Gauweiler: Ich habe früher auch gedacht: Ich bin liberal, im Sinne von | |
normal. Aber nachdem so viele Leute sagen: "Peter Gauweiler, wenn einer | |
nicht liberal ist, dann bist es du." Daher sag ich: Okay, dann bin ich es | |
eben nicht. Weil der Begriff von so vielen benutzt wird … | |
Hildebrandt: … besetzt wird. | |
Gauweiler: Um es literarisch auszudrücken: In mir habt ihr einen, auf den | |
könnt ihr nicht bauen. Das entspricht mir. | |
Hildebrandt: Das ist liberal. | |
Gauweiler: Ich sage, eine Stadt ist kein Autoscooter. Es geht nicht ohne | |
Regeln, weil sich sonst doch immer der Rücksichtsloseste durchsetzt. | |
Also doch der alte Law-and-Order-Mann? | |
Gauweiler: Na ja, unangenehm ist dabei, dass mit dem Politischen das | |
Sichprofilieren verbunden ist. Man profiliert sich dabei immer auf Kosten | |
anderer. Nicht, dass ich es nicht getan hätte. Das Problem ist halt, dass | |
so selbst eine gute Sache oder richtige Maßnahme einen miesen Beigeschmack | |
bekommt. Deswegen kann man das mit dem Law-and-Order nur eine gewisse Zeit | |
lang machen. | |
Aber bei der U-Bahn-Sicherheit bleiben Sie hart. | |
Gauweiler: Mein Argument ist klar: Eine Frau ist um zehn Uhr abends in der | |
S-Bahn auf bestimmten Strecken gefährdeter als jeder Minister. Ich sehe | |
nicht ein, warum man nicht in jeden U- und S-Bahn-Waggon präventiv eine | |
Wachperson stellt. Ich kenne das von meinen Kindern: Wenn ich die allein | |
lasse, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Geschichte eine | |
angriffslustige Eigengesetzlichkeit bekommt. Wenn aber jemand da ist, der | |
immer mal wieder gegensteuert, dann geht es gut. | |
Herr Hildebrandt, haben Sie eigentlich Angst, in der Stadt mit der Bahn zu | |
fahren? | |
Hildebrandt: Ich fahre viel S-Bahn. Auf meiner Strecke ist das allerdings | |
harmlos. Und auf den Bahnsteigen laufen dann diese Wachleute rum. Schwer | |
bewaffnet. | |
Gauweiler: Aber wirkungsvoll. | |
Hildebrandt: Die haben Knüppel. Dann wittert man auch eine Pistole - aber | |
die haben sie gar nicht. Dazu machen sie dieses bewaffnete Gesicht. | |
Gauweiler: Aber wenn zwei aggressive Muskelpakete, tätowiert bis zum | |
Ohrläppchen, nachts in der U-Bahn auf Sie zukommen und Sie anpöbeln, | |
hüsteln auch Sie ein bisschen. Und wenn dann zwei schwarze Sheriffs | |
auftauchen, sagen selbst Sie: So schlecht sind die doch nicht. | |
Hildebrandt: Ich trau denen nur nicht. Ich glaube, die laufen davon. | |
Gauweiler: Gut, das wäre schlecht. | |
INTERVIEW MISCHA DRAUTZ | |
UND MARTIN LANGEDER | |
21 Jul 2008 | |
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