Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elfen und Trolle in Island: Weit mehr als bloße Nostalgie
> In Reykjavíks Elfenschule erfährt man alles über das verborgene Volk, das
> Island dicht besiedelt. Was aber hat es mit der Globalisierung zu tun?
Bild: Auch die Elfen sollen trockenen Fußes über die blaue Lagune
In dem kleinen Garten am Rande von Islands Hauptstadt Reykjavík spielt sich
Sonderbares ab: Vorsichtig nähert sich eine Frau mit konzentriertem Blick
dem Geranienbeet. Der Mann neben ihr filmt langsam und mit wackliger Kamera
den kleinen Teich, in dem Blätter in braunem Wasser schwimmen. Andere haben
sich in einem Grüppchen zusammengestellt und betrachten unsicher Eisenhut,
Rosen und die Gartenzwerge unter der Tanne.
Mitten unter ihnen steht Magnús Skarphédinsson. „Die Nachbarn hier kennen
mich inzwischen“, sagt er, schließlich komme er regelmäßig in diesen
schönen Garten. Er bringt dann immer eine Gruppe wissbegieriger Touristen
mit. Die studieren bei ihm, denn Magnús Skarphédinsson arbeitet als Islands
einziger Elfenschuldirektor.
Wer einen halben Tag mit ihm auf Exkursion durch Reykjavík geht, erfährt
alles über das verborgene Volk, das am liebsten in Lavasteinen wohnt. Die
Schüler lernen etwa, dass isländische Elfen lange spindeldürre Beine und
große Ohren haben, außerdem verwuscheltes Haar. Dass Zwerge gerne Mäntel
tragen, spitze Hüte und Schuhe. Sie erfahren auch, dass Gnome nur ein paar
Zentimeter groß werden, Trolle dagegen viele hundert Meter. Und sie hören,
dass es da noch das Huldufólk gibt - bis zu zwei Meter große Wesen, die den
Menschen sehr ähnlich sind.
Island ist die größte Vulkaninsel der Erde und liegt genau zwischen den
tektonischen Platten von Amerika und Europa. Dass hier die Elemente
aufeinandertreffen steht in jedem Reiseführer. Aber erst wer hierher reist,
erfährt, was damit gemeint ist. Brodelnde Schwefelfelder, leise klirrende
Gletscherseen, kochende Geysire und gigantische Wasserfälle vereinen sich
zu einem Gesamtkunstwerk, das wie aus einer übermütigen Laune der Natur
entsprungen scheint. Wenn ohne jede Vorwarnung plötzlich der Nebel aufzieht
oder das metallene Licht des Herbstes giftgrüne Flechten oder weißes
Wollgras anstrahlt, dann ist es plötzlich so, als hätte ein unsichtbarer
Regisseur die Kulisse von „Der Herr der Ringe“ aufbauen lassen.
Laut einer Umfrage glaubt rund die Hälfte der Isländer an Elfen - und fast
die andere Hälfte will zumindest nicht an deren Existenz zweifeln.
Angeblich sollen die unsichtbaren Wesen sogar die eigentliche Einwohnerzahl
in Island übertreffen. Platz genug gäbe es auf der Insel, die zweieinhalb
Mal so groß ist wie die Schweiz, aber nur etwas mehr Einwohner hat als
Augsburg - rund 300.000.
Die Isländer sprechen allerdings nur ungern über diesen Glauben. Vielleicht
schämen sie sich ob dieser Eigenart, weil die doch so wenig in das Bild des
modernen Islands zu passen scheint. Vor allem die jungen Leute bemühen
sich, den Anschluss an das restliche Europa nicht zu verpassen. Dass das
Bild von Reykjavík inzwischen auch durch amerikanische Tankstellen- und
Fast-Food-Ketten geprägt wird, stört sie weniger. Vielen Älteren geht
dieser Wandel allerdings deutlich zu schnell. Und dann kommen die Elfen ins
Spiel. Denn überall dort, wo neu gebaut werden soll, tauchen plötzlich
Probleme auf: Arbeiter werden krank, plötzlich platzen Wasserleitungen,
Maschinen fallen aus oder gehen ganz kaputt. Und immer sollen die Elfen
daran Schuld haben.
Valdimar Hafstein hat dieses Phänomen näher untersucht. Für den
Wissenschaftler sind die Elfen so etwas wie die isländischen
Globalisierungsgegner Nummer eins. Während sich Island innerhalb weniger
Jahrzehnte durch die Industrialisierung und Modernisierung komplett
gewandelt habe, sei die Welt des verborgenen Volks gleich geblieben: „Die
Elfen leben immer noch in der Kultur von Islands vorindustrieller
Gesellschaft, bei ihnen gibt es keine Zeichen der Modernisierung.“
Für Hafstein stellt die Welt der Elfen deshalb etwas dar, was sich viele
Isländer wieder sehnlichst herbeiwünschen. Und das sei mehr als bloße
Nostalgie: „Es ist Ausdruck schwerer Sorgen über kulturelle Identität,
Nationalgefühl und Zweifeln am sozialen Wandel.“
Magnús Schüler ahnen allerdings von all dem nichts. Eine ältere Frau zieht
ihr blaues Cape enger, es hat begonnen zu regnen. Der Lehrer ruft seine
Schüler wieder zurück zum Bus, die Fahrt geht weiter nach Kopavogur, einem
Vorort von Reykjavík. Im Bus ist es ganz still, bis Magnús von dem
„Alfhóllsvegur“ zu erzählen beginnt, dem Elfenhügelweg. Diese Straße h�…
eigentlich schnurgerade verlegt werden sollen, aber dann sei ein Unglück
nach dem anderen geschehen: „Maschinen sind kaputtgegangen und ganze Laster
voll Zement einfach umgekippt - bis sich schließlich auch die Bauarbeiter
nicht mehr an die Arbeit trauten.“
Jeder, der nicht weiß, dass der kleine Hügel neben der Straße die Behausung
einer unsichtbaren Familie sein soll, fährt achtlos daran vorbei. Kein
Schild verweist auf diesen geheimnisvollen Wohnsitz, kein Zaun verleiht ihm
zusätzliche Bedeutung. Trotzdem packt die Gruppe erneut die Kameras und
Fotoapparate aus. Erst umrunden die Besucher ein, zwei Mal den Stein, der
nicht größer als ein Geräteschuppen im Vorgarten ist. Dann wird geknipst.
Die Mutigen klettern sogar hinauf, filmen von oben die Nachbarschaft sowie
Magnús, der schon wieder dabei ist, neue fantastische Geschichten über die
Elfen zu erzählen. Eine Frau packt sogar ein Pendel aus. Sie will Beweise
und versucht fremde Schwingungen zu spüren.
Später, im Klassenzimmer seiner Elfenschule, verleiht Magnús Skarphédinsson
seinen Schülern feierlich ein amtliches Elfen-Diplom. Und er spricht von
einer Wissenschaft, dessen Oberfläche gerade erst angekratzt sei. Die
Touristen schmunzeln ein wenig über das Diplom, stecken es in ihre Taschen
zu den voll geknipsten Filmen. Die Erinnerung an Magnús und an seine
wundersame Tour durch eine unsichtbare Welt wird ihnen noch einige Tage
nachhängen.
Elfen haben sie während des Unterrichts nicht gesehen. Aber vielleicht ist
die Elfenschule dafür auch der falsche Ort. Denn eigentlich ist die
Wissenschaft von den Elfen ganz einfach. Manchmal genügt es schon, Steine,
Blumen, Moos oder andere Dinge einfach ein bisschen länger zu betrachten
als sonst. Und plötzlich ist einem die verborgene Welt auf Island ein
ganzes Stück näher gekommen.
30 Jul 2008
## AUTOREN
Isabella Kroth
## TAGS
Reiseland Island
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.