# taz.de -- Fechterin Imke Duplitzer: Ansonsten könnt ihr mich! | |
> Duplitzer nimmt an den Olympischen Spielen in Peking teil - und trotzdem | |
> boykottiert sie die Eröffnungsfeier. Sie weiß, was sie will: Gold. | |
Bild: Imke Duplitzer - in Fechterkeisen auch "Le Tank" genannt | |
Sie wird den Degen in der Rechten halten, die Maske in der Linken. Es wird | |
ein Mittwoch sein, dieser 13. August 2008. Sie kennt die Fechthalle in | |
Peking. Die Wände und Teppiche sind blau, meerblau, sie kann darin | |
abtauchen. Wird zur Fechtbahn gehen, ruhig, doch wach. Das Körperkabel an | |
die Trefferanzeige anschließen. Waffe prüfen. Zur Startlinie. | |
Imke Duplitzer schließt die Tür zu ihrer Wohnung auf. Sie lebt in einem | |
Mietshaus im Norden von Bonn, Neubau, drei Zimmer. Durchs Fenster schaut | |
man auf die flachen Backsteinbauten einer Magnetfabrik. Es ist ein | |
Sommertag, sie trägt eine Trainingshose und ein T-Shirt mit dem Bundesadler | |
drauf. Sie wirft den Rucksack ab, setzt Espresso auf und steckt sich eine | |
Zigarette an. Sie sieht zufrieden aus. | |
Sie ist vor kurzem eingezogen, sie kann sich die drei Zimmer eben leisten | |
mit ihrem Sold als Sportsoldatin. Die Küchenschränke sind noch verpackt, | |
das Wohnzimmer hat sie schon aus den Kisten gewühlt. Den Silberpokal vom | |
Budapester Weltcup, die Cowboyhüte aus Sydney und die Taucherglocke von der | |
WM in Seoul, die die Zollbeamten verdutzt hat. Am Fenstergriff baumeln | |
Medaillen, und auf dem Fensterbrett hat sie ihre DVDs aufgereiht, Bud | |
Spencer, eine Loriot-Sammlung, den "Zauberer von Oz". Sie freut sich an | |
ihren Sachen. Sie sagt: "Mein Fechten lebt davon, dass ich glücklich bin." | |
Es sind nur noch wenige Tage bis zur Abreise nach Peking. Sie wird dort die | |
Eröffnungsfeier boykottieren. Sie mag nicht Teil chinesischer Regierungs-PR | |
sein. Die Medien sind eingestiegen auf die Ankündigung, die deutschen | |
Funktionäre hatten fast Schiss, dass sie allein einmarschieren müssen ins | |
Stadion, ganz ohne Athleten. Dann wurde die Debatte leiser. Jetzt wird nur | |
eine Judokämpferin aus Protest fehlen, aber die kann es sich leisten, sie | |
war schon Olympiasiegerin. Und Imke Duplitzer nicht. | |
Dann wird sie fechten. Sie will Gold. Was sonst? Sie spielt den | |
Wettkampftag häufig durch im Kopf. Es wird ihr Triumph. Oder eine Pleite. | |
Es ist der Moment, auf den alles zuläuft. Vielleicht kann man später sagen: | |
ihr ganzes Leben. Von ihren 33 Jahren hat sie zwei Drittel mit Fechten | |
verbracht. Das Fechten war die Konstante, wenn ihre Familie wankte. Es hat | |
sie aus der Enge einer schwäbischen Kreisstadt nach Bonn geführt, wo sie | |
ihre Freundin lieben lernte. Sie hat Funktionäre geschmäht, und jetzt | |
lauern sie darauf, dass sie versagt, die Imke Duplitzer mit ihrer großen | |
Schnauze. | |
Ich mache, was ich will, ansonsten könnt ihr mich - so tritt sie auf. | |
Andere Athletinnen siegen und glänzen und glitzern. Sie siegt auch, aber | |
sie sucht ihren eigenen Weg, auf der Fechtbahn, in der Sportwelt, in der | |
Öffentlichkeit. Sie wirkt angriffslustig, verletzlich, manchmal schroff. | |
Warum ist sie so? Fragt man sie selbst, sagt sie, dass sie immer schon | |
anders war. | |
So beginnt ihre Geschichte. | |
Als Imke in die Schule kommt, lebt ihre Familie in Nigeria. Der Vater | |
Betriebswirt bei Siemens, die Mutter Hausfrau. Imke und ihr älterer Bruder | |
gehen auf die deutsche Schule in Lagos. Sie ist hoch gewachsen, aber die | |
Größte zu sein ist kein Vorteil. Wenn die Mädchen was ausgefressen haben, | |
möchten sie in der Gruppe verschwinden. Das funktioniert bei ihr nicht. | |
Weil ihre Eltern Markenkleidung für Verschwendung halten, trägt sie Sachen | |
von Verwandten auf. Die Riesin mit der Breitkordhose. In ihre Klasse gehen | |
Zwillinge, die sie gern piesacken. Die sind kleiner als sie, aber immer zu | |
zweit. Als sie Imkes Stuhl mit Klebstoff beschmieren und sie sich | |
hineinsetzt, weint sie nicht, petzt nicht und sucht nicht den Schutz der | |
Familie. Sie handelt selbst, als ginge es um alles. Imkes Schlag bricht | |
einem der Zwillinge das Nasenbein. | |
Ein Onkel aus Deutschland kommt zu Besuch. Er bringt eine Videokassette | |
mit, auf der die Olympischen Spiele von Los Angeles von 1984 zu sehen sind. | |
Eine Frau in weißem Fechtanzug wirft den Kopf zurück, reißt die Arme hoch, | |
befreit sich jubelnd von aller Anspannung. Cornelia Hanisch, die deutsche | |
Olympiasiegerin. Das Bild setzt sich fest in Imkes Kopf. | |
Zwei Jahre später tritt der Vater eine Stelle in Heidenheim an. Ein | |
glücklicher Zufall: Heidenheim ist neben Tauberbischofsheim und Bonn eines | |
von drei Zentren des deutschen Fechtsports. Ihr Trainer wird Hans-Jürgen | |
Hauch. Ein überlegter Typ, der seine Sätze sorgfältig baut. Er sagt: "Imke | |
war so, wie sich manche einen Straßenfußballer wünschen: Sie beherrschte | |
alles schnell, dann wurde es ihr schnell langweilig. Das Wichtigste war ihr | |
Wille." | |
Mit elf lernt sie ihre Beinarbeit, mit dreizehn kündigt sie Hauch an, dass | |
sie bei olympischen Spielen fechten wird. Er nimmt sie ernst. Fortan haben | |
sie einen gemeinsamen Traum. | |
Es gibt ein Foto von den Spielen in Athen. Hauch nimmt Imke Duplitzer in | |
den Arm. Sie hat die Augen geschlossen und den Mund geöffnet wie zu einem | |
Schrei. "Imke Duplitzer umarmt ihren Vater", hat der Fotograf irrtümlich in | |
den Begleittext geschrieben. | |
Als Teenager in Heidenheim ficht sie sich nach vorn. Sie überragt noch | |
immer alle anderen. Nun wird das zum Vorteil. Hauch sagt, dass sie die | |
Mehrzahl der Gefechte vor dem Startzeichen gewann. "Allein durch ihr | |
Auftreten." | |
Schultern raus, Kopf hoch. So wird sie in Peking auf der Bahn stehen. Im | |
Weltcup sagen sie Ice-Face, weil sie diese Miene mit den heruntergezogenen | |
Mundwinkeln und den stechenden Augen einfrieren kann. Andere nennen sie: Le | |
tank. Der Panzer. Natürlich darf sie nicht bloß losrollen. Aber die andere | |
soll spüren, wer kommt. Gruß zum Kampfrichter, Gruß zur Gegnerin, Maske | |
vors Gesicht. | |
Imke Duplitzer weiß nicht, wann genau ihr Vater angefangen hat zu trinken. | |
Erst war er bei Feiern mal zu laut und zu lustig, dann öfter, und später | |
wurden die Situationen unberechenbar. "Der Alkohol hat sich ins Leben | |
geschlichen." | |
Sie sagt, sie erzähle das, weil sie findet, es sei nötig, um sie zu | |
verstehen. | |
Der Vater trägt den Perfektionismus, den ihm sein Vater auf die Schultern | |
gepackt hat. Imkes Großvater war Ingenieur, er hat Bauwerke für den Schah | |
von Persien errichtet. Er trank. Und schlug. Er hat dem Sohn vermittelt, | |
dass man höchste Ansprüche an sich selbst stellen muss. Deutsche | |
Tüchtigkeit und Konsequenz. Der Sohn studiert Wirtschaft und sucht sich | |
Aufgaben in der ganzen Welt. | |
Imke Duplitzer beschreibt ihn als schüchternen Mann, der ackert für seinen | |
Erfolg, der dabei einen liebevollen Zug behält und einen Schuss Zynismus. | |
"Wir haben beide dieses leicht Zerrissene. Wir wollen stark sein und sind | |
dann wieder total zerstört." Wenn Imke Duplitzer spricht, hat sie einen | |
geraden, unverstellten Blick. Sie erzählt viel und genau und lacht dabei | |
auch gern über sich. | |
Heidenheim ist ein Städtchen am Rand der Schwäbischen Alb. Oben auf einem | |
Berg gibt es das Schloss Hellenstein und unten in der Fußgängerzone die | |
Schlossarkaden. Wer hierherzieht, ist ein Reingeschmeckter. Als ob die | |
Maultaschenbrühe merkwürdig schmeckt, weil von irgendwoher eine neue Zutat | |
hineingerieselt ist. | |
In ihrer Doppelhaushälfte ringen die Duplitzers um ein Familienleben. | |
Manchmal jedoch wird die Lage so schwierig, dass Hans-Jürgen Hauch | |
vorbeikommen muss. | |
An den Wochenenden fährt sie auf Wettkämpfe. Wenn sie sich warm läuft, | |
trägt sie nicht mehr den Anzug des Heidenheimer Sportbundes, sondern einen | |
mit Bundesadler. Sie trägt ihren Walkman wie einen Schutz. Vor den | |
Gefechten, nach den Gefechten. In einem Lied von BAP singt Wolfgang | |
Niedecken von einem, der sich nicht nach seiner Umwelt richten will. Nein, | |
ich will nicht dein Hofnarr sein, der auf Kommando Witze bringt, der | |
pariert. Der die Sau rauslässt, nur vorzensierte Fragen fragt und der sich | |
auf Knopfdruck echauffiert. Es wird ihr Lieblingssong. | |
Ich spiele nicht euer Spiel - es muss diese Haltung sein, die andere gegen | |
sie aufbringt. Im Fechtzentrum ist sie zudem an Sportlerinnen | |
vorbeigezogen, die länger dabei sind als sie. Es dibbert in der | |
schwäbischen Stadt. Nimmt sie Drogen? Ist sie schwanger? Hat sie was mit | |
dem Jogi Hauch? Oder ist sie etwa eine Lesbe? | |
Sie liebt den direkten Angriff. Kein Klingenspiel. Zustoßen, ohne vorher | |
das Eisen der Gegnerin beseitigt zu haben. Freier Angriff. Nicht blind, | |
sondern im richtigen Augenblick. Ein Zucken der Gegnerin ausmachen und | |
genau dann angreifen. Einfach spüren: Das ist der Moment. | |
Das Flüstern in der Stadt, die Situation zu Hause, eine verhauene | |
Mathearbeit. Sie ruft in Bonn an, im Fechtinternat. "Eine | |
Nacht-und-Nebel-Aktion", sagt sie. "Eine Flucht", sagt Hans-Jürgen Hauch. | |
Der Vereinstrainer in Bonn ist zugleich Bundestrainer für Damendegen. | |
Manfred Kaspar. Er sieht ein bisschen aus wie Manfred, das beschützende | |
Mammut aus "Ice Age". Heute teilen sich beide gern ein spöttisches Lächeln, | |
der 1,96 Meter große Trainer und die 1,86 Meter große Athletin. "Imke hat | |
ein loses Mundwerk", sagt er gutmütig. "Nicht weiter schlimm." | |
Aber als sie 1992 nach Bonn ausgewandert ist, legt sie sich mit ihm an. Sie | |
reizt das Mammut. Es kann aufbrausen, aber es führt Streit offen. Es ist | |
ihr gewachsen. Das stärkt sie. | |
In Bonn verliebt sie sich in Eli, eine Lehrerin. Imke bekommt ein Zuhause, | |
in dem sie loslassen kann. Sie muss nicht punkten. Nach ein paar Jahren | |
bringt sie Eli mit nach Heidenheim zu einem Empfang. "Das ist meine | |
Partnerin." Die Honoratioren schauen beiseite. | |
1996 fehlt ihr vor den Spielen von Atlanta die Konzentration. So ist sie | |
dort nur Ersatzfechterin. Das Team landet auf Rang sechs. Sie schwört | |
Hans-Jürgen Hauch, dass sie fortan bei allen Spielen fechten wird, bis zum | |
Ende der Karriere. | |
Sie will mit ihrem alten Trainer weiterarbeiten. Irgendwie ist sie doch | |
verhaftet mit Heidenheim, und sie fühlt sich verantwortlich für die Familie | |
dort. "Hallo, Mama, ja was gibts denn? Brennt die Hütte?", fragt sie heute, | |
wenn ihre Mutter anruft. Es hört sich herzlich und bestimmt an, und es ist | |
nicht ganz klar, wer von beiden die Mutter ist. | |
Sie nimmt Lektionen bei Hauch in Heidenheim und reißt die vierhundert | |
Kilometer auf der Autobahn ab, um Eli in Bonn zu sehen. Sie schuftet und | |
schwitzt, wird 1999 Europameisterin im Einzel. Im Olympiajahr 2000 ist sie | |
auf Medaille programmiert. | |
In Sydney trifft Deutschland im Viertelfinale auf Russland. Das | |
entscheidende Gefecht muss Imke Duplitzer führen. Sie zieht den Kopf ein. | |
"Schildkrötentechnik", schimpft Hauch später, keine Chance, keine Medaille. | |
"Ich hab dagestanden, und es war dunkel", so wird sie den Moment | |
beschreiben. "So stell ich mir Sterben vor." | |
Nach den Spielen trainiert sie kaum. Ihr fehlt die Kraft. Sie hat das | |
Gefühl, dass einige in der großen olympischen Familie sie schneiden. Sie | |
verliert Gewicht. Sie denkt an Aufhören. Irgendwann steht sie vor dem | |
Spiegel und schaut in ein erschöpftes Gesicht. | |
Sie fängt sich. Geht regelmäßig laufen. Findet eine Sportpsychologin. Deren | |
Lektion lautet, doch mal fünfe gerade sein zu lassen. "Ich habe gelernt, | |
dass ich nicht fliegen kann", sagt Imke Duplitzer. "Und dass das nicht | |
schlimm ist." | |
Sie kommt ihrem Vater wieder nahe. Manchmal sitzen sie zusammen. Sie | |
verlangt nicht, dass er sich erklärt. Sie ist nicht mehr wütend auf seine | |
Sucht und seine Ansprüche an sich. | |
Im Sommer 2002 fährt sie nach Lissabon zur WM. Eli sitzt auf der Tribüne. | |
Imke wird Vizeweltmeisterin. | |
Vielleicht gerät sie in Rückstand in Peking. Aber gerade das kann wichtig | |
sein. Reserven abrufen, Anschlusstreffer, Ausgleich, Sieg. Das macht sie | |
frei fürs ganze Turnier. Wie in Lissabon gegen diese Russin, als sie ein | |
11:14 in ein 15:14 drehte. | |
Sie bekommt die Siege, aber nicht die Anerkennung. In Heidenheim ficht ein | |
zweiter Weltklassesportler. Er heißt Ralf Bißdorf, er hat in Sydney mit dem | |
Florett die Silbermedaille gewonnen. | |
Bißdorf ist heute Pressereferent beim Maschinenhersteller Voith. Das Logo | |
des Heidenheimer Unternehmens trug er damals auf dem Trainingsanzug. Der | |
Sympathieträger und die Vorzeigefirma. Bißdorf spricht schwäbisch. | |
Möglicherweise sei die Aufmerksamkeit damals ungerecht verteilt worden, | |
sagt er diplomatisch. Er sei gebürtiger Heidenheimer, aus Schnaitheim, dem | |
Vorort, in dem der Begründer des Fechtzentrums Bürgermeister gewesen sei. | |
"Und Imke ist eine Reingschmeckte. Sie merken schon, wies dann wird." Er | |
lacht. | |
Im Jahr vor den Spielen in Athen sucht sie einen Sponsor. Sie blitzt ab. | |
Die Währung sind Olympiamedaillen, der Wirtschaft geht es nicht gut. Der | |
Star heißt Ralf Bißdorf. | |
Vor der Abfahrt nach Athen werden die Förderer des Vereins zu einer Party | |
eingeladen. Manager, Funktionäre, Lokalpolitiker. Beginn 18 Uhr, es gibt | |
Rum-Cola und Caipirinha, und sobald es dunkel wird, sollen die Olympioniken | |
mit Fackeln verabschiedet werden. Duplitzer greift sich das Mikrofon und | |
attackiert die Sponsoren. Um jedes Bröckchen ließen sie die Fechter | |
betteln, das hätten die Sportler nicht verdient. | |
Heidenheims Würdenträger sind erbost. Sie solle gefälligst für jeden Cent | |
dankbar sein, zischt die Heidenheimer Zeitung. "Und nicht die Hand, die | |
einen füttert, auch noch beißen." Sie wird ausgeschlossen aus der | |
Fechtabteilung. | |
Vereinslos startet sie in Athen. Im Einzel wird sie Fünfte, im | |
Teamwettbewerb muss sie im Halbfinale gegen die Französin Laura Flessel | |
antreten, die beste Fechterin der Welt. Als Imke Duplitzer mit zwei | |
Treffern hinten liegt, bleiben ihr noch acht Sekunden Kampfzeit. Sie legt | |
allen Druck in das, was man einen Sturzangriff nennt. Sie stößt, trifft, | |
trifft abermals, Ausgleich. "Sie hat dokumentiert: Heute bin ich der Chef", | |
sagt Hans-Jürgen Hauch. | |
Das deutsche Team holt Silber. Am Rathaus wird ein Transparent angebracht: | |
"Heidenheim gratuliert." | |
In Peking muss sie vier Gefechte gewinnen. Viermal fünfzehn Treffer. Dann | |
hat sie Gold. Was wird sie tun? Was kann sie sich dann leisten? Den | |
Hauptwohnsitz abmelden, den sie immer noch in Heidenheim hat? Tschüssle, | |
eure Imke! | |
Sie ist stark nach den Spielen von Athen. Auf ihre Internetseite stellt sie | |
glückliche Geschichten, von ihren Weltcupreisen nach Paris, Nanking und | |
Havanna. Sie protokolliert, wie eine Bonner Kioskfrau sie für arbeitslos | |
hält, weil sie jeden Morgen im Trainingsanzug vorbeikommt. Sie stellt Fotos | |
von ihrem Nebenjob als Tauchlehrerin auf die Seite. Sie sagt, dass sie es | |
liebt, Gast zu sein unter Wasser. Abzutauchen in diese friedliche, ehrliche | |
Welt. | |
In der Fechtwelt lässt sie sich nichts gefallen. 2005 gerät sie mit einem | |
Tauberbischofsheimer Trainer aneinander, der seine Schülerin gegen sie | |
coacht. Tauberbischofsheim bringt sich in Stellung. "Ihr wollt Krieg?", | |
schreibt sie im Internet. "Ihr könnt ihn haben. Aber denkt immer daran, | |
dass ihr verdammt früh aufstehen müsst, um mir das Messer in den Rücken zu | |
rammen. Lieber Verband, glaubt nicht, dass ich mich für diese Zeilen | |
entschuldigen werde." | |
Wenn sie die Leute so angreift, verschafft sie sich Gehör. Aber sie macht | |
sich auch angreifbar. | |
Der Vater stirbt im Februar 2007. Sie sagt, dass sie gelassener geworden | |
sei seitdem. "Wenn ein Elternteil stirbt, dann stirbt ein Teil deiner | |
Geschichte. Schluss, Aus, Ende. Das große Feierabendschild kommt dir sehr | |
nah. Es relativiert alles." | |
Sie findet ihr Gleichgewicht, obwohl Eli und sie sich trennen. | |
Keine Angst. Sie muss sich einlassen auf die Gegnerin. Sie muss das System | |
der anderen verstehen, um es zu umgehen. | |
Im Herbst 2007 ruft ein Mann von Bild an. Sie soll die Lage einer | |
lesbischen Sportlerin beschreiben. Sie sagt, dass es sie ankotze, dass | |
anscheinend nur dumme, grinsende Sportlerinnen beliebt seien. Sie | |
behauptet, dass eine lesbische Sportlerin schlechter bezahlt werde als eine | |
Prostituierte. Sie chauffiert sich. Auf Knopfdruck. Bild macht eine große | |
Nummer draus. | |
Anderthalb Monate vor der Reise nach Peking sitzt sie in Berlin auf einem | |
Podium der Tibet Initiative. Als Gegenspieler ist Eberhard Gienger | |
eingeladen, früher Turner, 1976 Olympia-Bronze-Gewinner, heute | |
CDU-Bundestagsabgeordneter, Sportfunktionär. Duplitzer hat sich geschminkt | |
für den Anlass, ein Sakko angezogen. Sie spricht ruhig. Eine Dame. | |
Sie darf sich nichts aufzwingen lassen. Nicht die späten rumänischen | |
Paraden, nicht die Materialschlacht der Chinesinnen, nicht das Geplänkel, | |
mit dem sich die Russinnen einschleimen, um dann voll auf den Körper zu | |
gehen. Es muss ihr Gefecht bleiben. | |
Gienger redet über Anhörungen, Leitlinien und Meinungsfreiheit, wägt und | |
windet sich vom Dalai Lama zurück bis zu Mao. Imke Duplitzer wartet. Dann | |
blickt sie das Publikum an: "Stellen wir uns mal vor, wir wollen Bayern | |
abschaffen und das Oktoberfest dazu, und jeder, der den Franz Josef Strauß | |
zu Hause hängen hat, wird abgeholt." Gienger schaut, als habe ihn eine | |
Migräne erwischt. Hinterher gibt sie ihm noch ein Abschiedsküsschen | |
obendrauf. | |
In Bonn schließt sie an einem Freitagabend die Fechthalle auf. Es sind | |
Sommerferien, Manfred Kaspar hängt noch am Flughafen. Sie hat den | |
Schlüssel, sie macht einen Spaß darüber, aber es ist schon so: Ein | |
Schlüssel bedeutet Verantwortung, und sie hat sie gerne. Später sitzen alle | |
Fechterinnen beim Abendbrot in der Kantine. Die anderen sind um die zehn | |
Jahre jünger. Manchmal zieht sie eine von ihnen auf, aber nie unfreundlich. | |
Sie wirkt ruhig und entspannt. Sie ist die große Schwester. | |
Sie will souverän sein. Sie porträtiert die Mächtigen im Sport nicht als | |
ruchlose Bösewichte, sondern als Feudalherren mit Komplexen. Aber sie beißt | |
manchmal immer noch unversehens zu. "Die Hälfte der Sportjournalisten ist | |
intellektuell nach zwei Sätzen abgefrühstückt", so was erklärt sie ohne | |
Not. | |
Sie muss sich behaupten. Der Sportzirkus ist eine enge Welt. Heidenheim hat | |
fünfzigtausend Einwohner, der Deutsche Fechterbund nur halb so viele | |
Mitglieder, und an der Weltspitze sind es auf Degen ein paar Dutzend | |
Sportlerinnen. Sie begegnen sich in den Hallen der Welt, schlafen in den | |
gleichen Hotels, sie tauschen Gefallen aus und Bosheiten. Rund um Olympia | |
treffen sie auf Politiker und Manager, mit denen sie plaudern sollen, | |
tratschen, schöntun. Sie beherrscht dieses Vokabular nicht. "Es ist weniger | |
interessant, wie weit eine kommt, sondern wer mit wem kommt", höhnt sie. | |
Konzentration. Vier Gefechte lang, vier mal neun Minuten reine Kampfzeit. | |
36 Minuten, verteilt über den Tag. Bloß keine Unaufmerksamkeit. Sie hat | |
sich alles erarbeitet, sie wird nicht abhauen, nicht einbrechen. | |
Michael Vesper, einst Grünenpolitiker, heute Generalsekretär des Deutschen | |
Olympischen Sportbunds, teilt mit: "Sie will nach Peking, will dort | |
erfolgreich fechten und möglichst eine Medaille erringen. Darüber und | |
darauf freue ich mich." Der Präsident des Deutschen Fechterbundes weist | |
darauf hin, dass, wer sich öffentlich profiliere, umso genauer beobachtet | |
werde. Von den Medien. Der Pressesprecher des Weltfechtverbandes sagt, dass | |
Duplitzer jetzt mal eine Medaille gebrauchen könne. Am besten eine goldene. | |
Die fehle ja noch. | |
Gewinnt sie ihr erstes Gefecht, steht sie im Viertelfinale. Fünfzehn | |
Treffer, und sie ist eine von acht. | |
Der Druck ist da. "Wenn sie damit nicht umgehen kann, wird natürlich jeder | |
zurückschlagen", sagt Hans-Jürgen Hauch. | |
Wieder an die Startlinie. Ein zweiter Sieg, und sie ist eine von vieren. | |
"Wer Diskussionen und Einflüsse von außen nicht aushält, braucht nicht nach | |
Peking zu fahren", hat sie auf dem Tibet-Podium in Berlin gesagt. Es klang | |
locker. | |
Ruhe finden. Noch einmal fünfzehn Treffer. Dann ficht sie um Gold. | |
Und wenn sie ihn sucht, den Druck? Wenn sie die Zwänge um sich versammelt? | |
Wenn ihre Art der Konzentration so funktioniert, dass sie alles Mögliche | |
zulaufen lässt auf diesen 13. August 2008? | |
Ihr letztes Gefecht. | |
Vielleicht kann sie fliegen. | |
2 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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