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# taz.de -- Leben aus dem All: "Ein Komet ist die urigste Ursubstanz"
> Der Bremer Chemiker Wolfram Thiemann sucht nach dem Ursprung des Lebens
> auf dem Mars und einem Kometen. Aminosäuren sind der Schlüssel.
Bild: Ursubstanz im Anflug: Komet über Neuseeland.
taz: Herr Thiemann, bei der Marsmission suchen Sie nach der Signatur des
Lebens. Also nach Wasser?
Wolfram Thiemann: Nein, wenn da Wasser vorkommt, heißt das doch nicht, dass
es dort auch automatisch Leben gab. Das ist keineswegs zwingend. Dass man
das angenommen hat, zeigt für mich nur, wie beschränkt man gerade bei der
Lebensfrage ist: Ein Leben, das ganz anders zusammengesetzt ist als
unseres, können wir uns nicht vorstellen.
Wie könnten wir uns dem denn annähern?
Es gibt ja sehr viele Versuche, Leben zu definieren. Ich bin der Meinung,
Leben ist eine Ausnahme, der es gelingt, sich eine Zeit lang auf Kosten
ihrer Umwelt zu behaupten: Leben, die Evolution, steht im Grunde in einem
Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, zur Entropie. Um nach
Leben zu suchen, muss man nach einer Abweichung suchen.
Und welche Abweichung suchen Sie?
Wir suchen auf dem Mars in bis zu zwei Metern Tiefe nach Aminosäuren. Und
mit derselben Analytik arbeiten wir bei der Rosetta-Mission - das ist im
Grunde noch viel ambitionierter- auf einem Kometen. Wenn das funktioniert,
ist für uns die spannende Frage, ob interessante organische Verbindungen
dort entdeckt werden - und, ob solche dann homochiral sind: Die Chiralität
hätte Bedeutung für die Frage nach dem Ursprung des Lebens.
Nur was heißt Chiralität? Und was hat sie mit dem Leben zu tun?
Hm. Ich glaube da muss ich ein bisschen ausholen. Wie viel Zeit haben Sie?
Ich würde es ja gerne verstehen …
Dann würde ich bei Louis Pasteur beginnen …
… also Ende des 19. Jahrhunderts.
Pasteur hat mithilfe von polarisiertem Licht entdeckt, dass Weinsäure in
drei verschiedenen Formen auftritt: Entweder wird das durchgeleitete Licht
nach links, nach rechts - oder gar nicht abgelenkt. Dabei hat er
beobachtet, dass diese Ablenkung bei natürlicher Weinsäure immer nur in
einer Richtung erfolgt - also händig ist, oder chiral - und dass sie bei
künstlicher gar nicht stattfindet: Den Zustand hat Pasteur razemisch
genannt, von Racema, die Weintraube. Das Phänomen lässt sich auf die
molekulare Struktur zurückführen: Weinsäure kristallisiert entsprechend.
Der makroskopische Effekt, dass das polarisierte Licht in einer Richtung
abgelenkt wird - ist also ein Ausfluss der Nanostruktur der Natur.
Aber was gab es da noch zu erforschen?
Für mich, persönlich? Ich hatte, direkt nach meiner Promotion das Glück,
beim Aufbau eines chemischen Instituts im heutigen Forschungszentrum Jülich
mitzuarbeiten - mit einem Thema meiner Wahl. Und da war eine Sache, die
mich seit meinen ersten einführenden Vorlesungen an der Uni München in
Organischer Chemie nicht losgelassen hatte.
Die Chiralität?
Die Frage, wie es zu diesem Unterschied kommt: Dass natürliche und
synthetische Säuren identisch waren - mit der einen Abweichung, dass die
letzteren immer razemisch, die natürlichen aber stets homochiral sind. In
den Lehrbüchern stand dazu nur: Die Natur macht das so. Warum - dazu fand
man nichts, das wurde nicht erklärt. Die Frage habe ich zum
Forschungsgegenstand erhoben - ausgehend von dem Gedanken, dass es eben
einen bislang übersehenen Unterschied geben könnte zwischen Enantiomeren, …
… also den zueinander spiegelbildlichen Molekülen …,
… einen, nach dem nicht gesucht worden war.
Und?
Wir haben auf experimentellem Weg einen Effekt gefunden, indem wir die
Weinsäuren zyklischen Prozessen unterworfen haben, die wir dann auf
energetische Unterschiede untersucht haben. Tatsächlich weisen links- und
rechtsdrehende Moleküle energetische Unterschiede auf: Die linksdrehende
ist die energiebegünstigte Form. Und die Natur bevorzugt halt immer die
energetisch günstigere Lösung.
Also eine chemische Evolution vor der biologischen?
Die Sache hat nur einen Pferdefuß: Die Unterschiede sind so minimal, dass
sie sich nicht messen lassen. Und unser Ergebnis war, würde ich heute
kritisch sagen, noch zu grobschlächtig.
Das hieße, der Unterschied könnte auch ein Zufall sein?
Ja. Aber ich persönlich sträube mich gegen die Annahme eines Zufalls, dass
Gott gewürfelt hätte oder so etwas.
Auf der Erde kommen ausschließlich linksdrehende Aminosäuren vor …
Im Wesentlichen ja. Es gibt allerdings drei, auch wieder bezeichnende,
Ausnahmen: Die eine sind Schlangengifte. Die bestehen aus chemisch relativ
unauffälligen Substanzen. Ihre toxische Wirkung verdanken sie vor allem
ihrer räumlichen Struktur, also den D-Aminosäuren. Das zweite sind
Antibiotika, also Gifte, die Pilze entwickeln, um sich vor ihrer Umwelt zu
schützen. Und das dritte sind die Zellwände von Bakterien. Aber statistisch
fällt das nicht ins Gewicht. Die Aminosäuren in Proteinen sind jedenfalls
immer L-Aminosäuren.
Das spricht doch sehr für Ihre Theorie?
Dass die Natur homochirale Formen bevorzugt, muss aber nichtzwangsläufig
Effekt der Energiedifferenz sein: Ohne Chiralität würde es keine komplexen
Moleküle geben, sondern nur chaotische Häufungen. Das kann man sich
vorstellen, wie eine Schraube, die ein passendes Gewinde braucht. Wenn das
in die falsche Richtung gedreht ist, knirscht es. Makromoleküle brauchen
homochirale Baukästen.
Gibt es denn andere Erklärmodelle?
Der aktuell mächtigste Ansatz, den auch mein Habilitant Uwe Meierhenrich
vertritt, geht von einer Entdeckung der 1930er-Jahre aus: Razemische
Gemische reagieren photochemisch. Meierhenrich hat gezeigt, dass, bei
Bestrahlung mit polarisiertem Licht, in dem Fall mit UV-Strahlen, eine der
enthaltenen Substanzen bevorzugt zerstört wird - nämlich die
rechtsdrehende.
Und warum suchen Sie diesen Baustein des Lebens gerade auf einem Kometen?
Das ist tatsächlich kein besonders lebensfreundlicher Körper. Es besteht
auch keine Hoffnung, dort Spuren von Leben zu finden. Allerdings ist ein
Komet sozusagen die ,urigste Ursubstanz' unseres Sonnensystems. Und wir
wissen, dass viel organisches Material auf Kometen vorkommt.
Von Meteoriten, die auf der Erde gelandet sind?
Ja, wobei man da vorsichtig sein muss: Beim berühmten Orgueil-Meteoriten,
der in Frankreich niedergegangen war, hat man auch Organik gefunden, sogar
rezente Biomoleküle wie Fettsäuren.
Aber?
Die stammten von der Erde: Das lag an einem unsachgemäßen Versuch, das
Fundstück ,vor Rost zu schützen'. Der Bauer, auf dessen Acker der
niedergegangen war, hatte ihn offenbar in Butterpapier eingewickelt.
Allerdings gibt es auch Meteoriten, die über jeden Zweifel erhaben sind,
den Murchison-Meteoriten aus Australien zum Beispiel, an dem wir vor sechs
Jahren Untersuchungen durchgeführt haben …
…, die der Annahme, das Leben komme aus dem All, Auftrieb gegeben haben?
Das geht so in die Richtung, ja. Jetzt müssen wir warten, bis die Daten von
der Marsmission und von Rosetta kommen. Das wird fast gleichzeitig sein,
beides im Jahr 2014.
Womit rechnen Sie?
Also der worst case wäre: Beim Mars würde nichts gefunden -oder, wie es
dann heißt: Die Werte lägen unterhalb der Nachweisgrenze, wovon man ja dann
ausgehen müsste - und bei Rosetta bekämen wir einen "overflow" an Daten, so
dass keine richtige Auflösung möglich wäre. Bestenfalls bekommen wir mehr
Belege für eine generelle Theorie à la Panspermia, also dass die ersten
Bausteine des Lebens aus dem All auf die Erde gekommen sind.
Eine Klärung, wo das Leben entstanden ist. Aber die Frage: Wie?
Die bleibt.
Auch wenn die Aminosäuren linksdrehend wären? Wäre Ihre Theorie damit nicht
bewiesen?
Nein, das wäre kein strikter Beweis. Im umgekehrten Fall, wenn eine starke
Händigkeit in der anderen Richtung entdeckt würde, dann müsste man
wahrscheinlich sagen: Vergesst alle deterministischen Thesen. Dann spräche
viel für die Theorie vom polarisierten Licht, das die organischen
Substanzen auf dem Weg durchs All je nachdem in links- oder rechtsdrehende
verwandelt hätte, rein zufällig, so wie es sich gerade ergeben hat. Aber
mir ginge das gegen den Strich.
INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER
3 Aug 2008
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