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# taz.de -- Gebeutelte Arbeiter: Nach Disney wurde es besser
> Für Hui Zhangrong hat der Aufschwung Chinas das Leben verbessert - weil
> er dafür kämpfte. Millionen von Menschen aber bringt der Wandel nur
> schlechtere Lebensbedingungen. AUS SHENZHEN FELIX LEE
Bild: Wanderarbeiter tragen die Last des chinesischen Booms.
Hui Zhangrong wischt sich mit einem Papiertaschentuch das Gemisch aus
Regenwasser und Schweiß vom Gesicht. Der 33-jährige ist klitschnass, von
Kopf bis Fuß durchtränkt. Er hat kurz geschorene Haare, trägt ein schwarzes
T-Shirt und Sandalen. Hui sitzt in einem herunter gekommenen
Schnellrestaurant, in dem nachmittags Milchtee und süße Teigwaren angeboten
werden. Eine Klimaanlage so groß wie ein Kühlschrank bläst ihm kalte Luft
entgegen. Es stört ihn nicht. "Ein wenig Abkühlung in dieser schwülheißen
Hitze tut gut", sagt er.
Es ist Regenzeit in der südchinesischen Metropole Shenzhen. Doch so viel
Regen wie jetzt hat Hui auch noch nicht erlebt. Seit Monaten prasselt es
unaufhörlich vom Himmel. Die Felder am Stadtrand sind überschwemmt, die
Klamotten klamm und überall im hügeligen Stadtgebiet staut sich das Wasser.
Einige Zufahrtsstraßen der Zehn-Millionen-Stadt sind nur noch mit Bussen
oder schwerem Gefährt passierbar. Hui schiebt den Dauerregen auf den
Klimawandel. Und der mache eben auch vor China nicht Halt, sagt er. Genauso
wenig wie der soziale Wandel in all seinen Höhen und Tiefen.
Den sozialen Wandel der letzten zwei Jahrzehnte in China - den hat er am
eigenen Leib miterlebt. Aus Henan kommt er, einer Provinz in der östlichen
Mitte des Riesenreiches. Mit 96,3 Millionen Einwohnern ist sie die
bevölkerungsreichste Provinz Chinas. Mit Stolz erzählt Hui, dass sich die
einstigen Kaiserstädte Luoyang und Kaifeng in seiner Heimatprovinz
befinden. Als "Wiege der chinesischen Kultur" werde Henan gesehen. 19
Dynastien hatten hier ihren Sitz. Seine Bewohner sehen sich als Nachfahren
des Gelben Kaisers, der vor über 4000 Jahren regiert haben soll und den
Anfang der chinesischen Kultur darstellt. Doch als das Machtzentrum
Jahrtausende später nach Peking verlegt wurde, verlor Henan seine
Schlüsselstellung. Heute ist es eine der ärmsten Provinzen Chinas. "Wir
Menschen aus Henan sind reich an Kultur, reich an Wissen, ansonsten aber
bitterarm", sagt Hui.
Die Eltern von Hui Zhangrong sind Bauern. Obwohl er auf dem Land aufwuchs,
hat er bis zum Abitur eine gute Bildung genossen. Nur knapp verfehlte er
1996 die zentrale Aufnahmeprüfung, die ihn an die Universität gebracht
hätte. Durch einen Studienabschluss wäre er zu einem von Chinas Gewinnern
geworden. So aber?
Ein Jahr blieb er noch auf dem Hof seiner Eltern. Dann machte er das, was
Hundertmillionen Chinesen auf dem Land machen: Sie wandern durchs Land und
suchen Arbeit. Hui kam in die südchinesische Boommetropole Shenzen, als
dort gerade die Tore zum benachbarten Hongkong geöffnet wurden. Damals.
Seit elf Jahren wohnt er nun in Shenzhen und heute setzt er sich für die
Verlierer des Booms ein. Letztes Jahr war er für einen Tag berühmt.
Zeitungen schrieben, er sei der erste chinesische Fabrikarbeiter, der auf
Augenhöhe mit einem globalen Großkonzern über bessere Arbeitsbedingungen in
chinesischen Produktionsstätten verhandelt hat. Der Großkonzern hieß
Disney.
Zwei Jahre lang hatte Hui zuvor für eine Spielzeugfabrik gearbeitet, die
den Disney-Konzert beliefert. Er war Zeichner und Schnitzer von
Disney-Figuren aus Hartgummi. Nicht mal den gesetzlichen Mindestlohn von 70
Euro im Monat bekamen er und seine Kollegen ausgezahlt. Überstunden wurden
nicht vergütet, Arbeitszeiten länger angesetzt als gesetzlich erlaubt und
für Wohnheimplätze und Kantinenessen bekamen sie mehr Geld vom Lohn
abgezogen als vereinbart. Mit vier Kollegen kündigte Hui seinen Job,
reichte beim Arbeitsamt zunächst Beschwerde ein und als die Behörde nicht
reagierte, klagte er vor dem Verwaltungsgericht - ein bis dahin einmaliger
Vorgang in China. Der Disney-Konzern nahm daraufhin Verhandlungen mit Hui
auf. Der Spielzeugkonzern sorgte dafür, dass die Löhne in den
Produktionsstätten angehoben wurden. Ein Erfolg. Seine Arbeit in der Fabrik
nahm Hui nach diesem Knüller aber nicht mehr auf. Heute arbeitet er für
eine freie Gewerkschaft und berät die Wanderarbeiterinitiative Xiao, xiao
niao (übersetzt: kleine Vögel).
Hui gehört zu der Generation, die in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen
ist. Die wirren Zeiten der Kulturrevolution unter Mao kennt er nur von
Erzählungen. Stattdessen ist er mit den hoffnungsvollen Reformen Deng
Xiaopings groß geworden, der allen Chinesen ein besseres Leben versprach.
"Bis in die 90er Jahre habe ich fest daran geglaubt", sagt Hui. "Und es
ging uns ja tatsächlich immer besser." Erst konnte sich der
Durchschnittschinese ein Fahrrad leisten, dann ein Transistorradio, wenig
später kam ein Kühlschrank dazu und ein Fernseher. Doch seit einigen Jahren
geht die Schere weit auseinander. Während es 100 Millionen Chinesen auch
zum eigenen Auto und dem Eigenheim schafften, bedeutet der Aufschwung für
doppelt so viele Menschen vor allem eins: Mehr Arbeit bei fehlender
Perspektive.
Als Hui in den 90er Jahren sein Heimatdorf in Henan verließ, war er noch
voller Hoffnung. "Ich war bereit, einige Jahre hart zu arbeiten", erzählt
er, "um dann aber den Aufstieg zu schaffen". Doch aus den Jahren ist ein
ganzes Jahrzehnt geworden. Er hat es immerhin geschafft, eine
Grafikausbildung nachzuholen. Und mit seinem höheren Gehalt kann er sich
nun eine eigene Zweizimmerwohnung leisten. Doch er hat nicht vergessen, wie
viele seiner ehemaligen Kollegen nach wie vor hausen. Er berichtet von
Ungeziefer in den Betten der Fabrikwohnheime, den dreckigen Waschräumen und
dem unverträglichen Kantinenessen.
"Nach Jahren des Aufschwungs macht sich bei vielen Resignation breit",
erzählt Hui. Millionen von Arbeitsmigranten merken, dass Chinas Wohlstand
auf ihre Kosten geht - ohne dass sie davon profitieren. Für viele von ihnen
hätten sich die Lebensbedingungen gar verschlechtert. "Jeder von uns kann
jederzeit gefeuert werden", sagt Hui, der nun schon im Luftstrom der
Klimaanlage etwas getrocknet ist. Vor allem die rapide gestiegenen
Lebensmittelpreise bedeuten für viele den Ruin. Dies habe es früher bei den
Staatsbetrieben nicht gegeben.
Mit seiner Aufgabe, sich für die Rechte der Arbeitsmigranten einzusetzen,
mag er Zukunft haben. Aber schon seine Frau hat sie nicht. Auch sie kommt
aus Henan, kennengelernt haben sich die beiden jedoch in Shenzhen. Sie
wohnt noch immer in einem Wohnheim der Fabrik, in der sie arbeitet. Ein
oder zwei Mal in der Woche treffen sie sich - immerhin. Ihre beiden Kinder
sehen sie seltener, ein oder zwei Mal im Jahr.
Sie haben sie zu den Großeltern nach Henan gebracht. Trotz der offiziell
nach wie vor gültigen Einkindpolitik dürfen in manchen Provinzen zwei
Kinder gezeugt werden, wenn das erste ein Mädchen ist. Glücklich seien er
und seine Frau nicht, dass sie sich nicht selbst um ihre Kinder kümmern
können. Der Bildungsgrad seiner Eltern sei nicht besonders hoch. Und
natürlich würde er sie gerne aufwachsen sehen und ihnen jeden Tag etwas mit
auf den Lebensweg geben. Doch dieser Widerspruch aus dem, was man möchte
und kann ist für die Wanderarbeiter in China völlig normal. Millionen von
ihnen arbeiten in den Küstenstädten und haben ihre Kinder zu den Großeltern
in die Heimatdörfer geschickt. Sie können sich einfach nicht selbst um sie
kümmern.
Neben finanziellen Hürden, die Wanderarbeiter von ihren Kindern fernhalten,
gibt es noch die strengen Regeln des "Hukou". Menschen vom Land erhalten in
den reichen Küstenstädten nur dann eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie
einen Job nachweisen können. Kinder und andere Angehörige erhalten sie
nicht. "Auch das muss sich ändern", sagt Hui und blickt entschlossen als er
das sagt. "Die Zeit dafür ist reif."
8 Aug 2008
## TAGS
China
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