# taz.de -- workstation was ist das?: Die Arbeiterin an der Arbeit | |
> Frauke Hehl will selbstbestimmt leben. Deshalb experimentiert die | |
> Mitinitiatiorin der "Workstation" in Berlin seit zehn Jahren mit | |
> alternativen Lebens- und Arbeitsformen. Ab heute stellen diese ihre Ideen | |
> stadtweit in der Kampagne "unvermittelt" vor. | |
Bild: Diese Workstation ist käuflich zu erwerben. Das ist nicht, was Frauke He… | |
Frauke Hehl hat drei Tätowierungen. Denn sie will "Zeichen setzen" - auf | |
der eigenen Haut genauso wie in der Gesellschaft. Das neueste Tattoo, eine | |
Rose mit schwarzem Stern, hat mit ihrer Arbeit bei "Workstation" zu tun. | |
Vor zehn Jahren hat sie die Ideenwerkstatt, in der nach Alternativen zur | |
Erwerbsarbeit gesucht wird, mit anderen gegründet. Bezahlte Arbeit gibt es | |
zwar nicht mehr für alle, aber dennoch entscheidet diese bis heute darüber, | |
ob jemand für die Gesellschaft wertvoll ist oder nicht. "Inakzeptabel" | |
findet Hehl das und setzt das Motto der Workstation dagegen: "Mach doch, | |
was du willst." | |
Die Rose mit Stern trägt Hehl seit diesem Frühjahr auf der Haut. Es ist das | |
Logo des Gartenprojektes Rosa Rose, das 2004 auf einem ehemals | |
brachliegenden Grundstück in Friedrichshain ins Leben gerufen wurde. | |
Vermüllt und verdreckt war es, bis Nachbarinnen zusammen mit Arbeitslosen | |
und Freunden der Workstation aktiv wurden. Kurzerhand wurde das Gelände | |
besetzt und in einen Guerilla-Garten verwandelt. Blumen und Gemüse wurden | |
gepflanzt, ein Spielplatz eingerichtet, Gießwochenpläne eingeführt und von | |
der hundefreien Zone gar Zucchini und Zwiebeln geerntet. | |
Dieses Frühjahr wurden die Gärtner und Gärnterinnen vom neuen Eigentümer | |
der Stadtbrache, der hier ein Haus bauen will, vertrieben. Politiker hatten | |
das Gartenprojekt wortreich unterstützt. Am Ende allerdings versagten sie, | |
meint Hehl. "Hätten die schneller reagiert, hätten wir das Grundstück | |
selber ersteigern können." Nach dem Sommer will die Partei Die Linke einen | |
Fonds einrichten, um solche Bürgerinitiativen zu unterstützen. Für die Rosa | |
Rose kommt das zu spät. Ein Sicherheitsdienst bewacht die Baugrube nun Tag | |
und Nacht. | |
"Guerilla-Gardening ist Teil meines Lebensgefühls", sagt Hehl mit fester | |
Stimme. Zwei weitere Gärten wurden von der Workstation initiiert. Sie sind | |
derzeit auf sicherem Boden. | |
Die Guerilla-Garten-Bewegung kommt aus New York. Schon in den 80er-Jahren | |
besetzten Leute Stadtbrachen und verwandelten sie in Gemeinschaftsgärten. | |
Seither kamen neue Strategien wie das Seedbombing dazu. In Nacht- und | |
Nebelaktionen werden dabei öffentliche Flächen mit politischen | |
Blumenschriftzügen bepflanzt oder einfach wild besät. Aus Protest gegen den | |
Verkauf des Rosa-Rose-Geländes pflanzte Hehl mit anderen | |
Garten-Guerrilleros im Mauerparkt aus Rosen die Forderung "Rosa Rose | |
bleibt". | |
Die zweite Tätowierung auf Hehls Körper schaut auf der linken Schulter | |
unter ihrem schwarzen Polohemd hervor: Es ist ein handtellergroßer | |
hellblauer Anker, um den sich ein gelbes Seepferdchen schlingt. Vor fünf | |
Jahren ließ sie sich das Motiv stechen. | |
"Der Anker ist ein Symbol für meine Wurzeln." Das Seepferdchen aber stehe | |
für soziale Gemeinschaft. Gruppenzusammenhalt hätte sie schon als Kind | |
begeistert, meint die gebürtige Hamburgerin. Mannschaftssport etwa, aber | |
auch die vom Krieg geprägte Kultur des Teilens, die ihre Großeltern ihr | |
vorlebten. | |
Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund erkärt sich die 40-Jährige heute, | |
warum ihr die Idee von Workstation gefiel. Ehrenamtlich leitet sie diese | |
und bringt ständig neue Ideen ein, wie das Thema Arbeit, Existenzsicherung, | |
Lebensgestaltung anders gedacht werden kann. "Arbeit ist bei uns Religion | |
schlechthin", sagt sie. Ihr sei wichtig, den Leuten eine Plattform zu | |
geben, wo sie angstfrei über das nachdenken können, was jenseits von | |
Erwerbsarbeit wertvoll ist. | |
Das dritte Tattoo hat sie seit 15 Jahren. "Ein blauer Smiley, den nur ich | |
sehe, wenn ich auf die Toilette gehe." Sie lächelt. "Den habe ich mir in | |
Braunschweig machen lassen. Nur für mich." | |
Dorthin verschlug es sie während des Studiums. Eigentlich war ihr Lebensweg | |
grandioser gedacht, als Braunschweig vermuten lässt. Die Tochter eines | |
Hamburger Steuerberaters begann in Mailand Architektur zu studieren. | |
Geplant war eine Karriere ähnlich der ihrer Geschwister. Nach sechs Jahren | |
Italien, unterbrochen durch Abstecher in Braunschweig, ging sie nach | |
Berlin. "Ich hatte einen Einser-Durchschnitt, aber ich fand das alles | |
sinnlos." Heute ist sie arbeitslos gemeldet. | |
Hehl begreift ihre damalige Sinnkrise als Motor, der sie aus den Zwängen | |
herausführte, die ihre Eltern mit ihren Erwartungen um sie aufgebaut | |
hatten. Sie wollte, entgegen dem familiären Anspruch, für sich eine | |
alternative Lebensform entwickeln. "Meine Geschwister machten mir große | |
Vorwürfe, als ich das Studium abbrach", erzählt sie. Auch die Mutter tat | |
sich schwer. "Mein Vater hatte noch am meisten Verständnis." Heute verstehe | |
ihre Familie, "dass ich diese Lebensweise selbst gewählt habe". | |
Die ALG-II-Empfängerin, die Badelatschen trägt und Kleider aus der | |
Spendenbox, sagt: "Es kann nicht jeder so leben wie ich." Sie weiß sehr | |
genau, dass es gerade ihre Herkunft als Tochter wohlhabender Eltern ist, | |
die ihr diese Freiheit ermöglicht. "Ich würde sicher nicht von so wenig | |
Geld leben wollen, wenn ich mal obdachlos gewesen wäre." Ihre Augen | |
wechseln zwischen Strahlen und Ernsthaftigkeit. "Nur weil ich ein so | |
sicheres Elternhaus hatte, erlaube ich es mir, so weit zu gehen und Grenzen | |
auszutesten." | |
15 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Yana Heussen | |
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