# taz.de -- Scharf beobachtet: Sommer in New York City | |
> " ... und tat alles mit jener großen, irren Freude, die einen überkommt | |
> bei der Rückkehr nach New York City" (Jack Kerouac). Stadtszenen | |
Bild: Eine Yoga-Gruppe feiert die Sommersonnenwende auf dem Times Sqare | |
Im Bahnhof Grand Central Station. Eine gigantische Halle mit Säulen und | |
Balkonen unter gemaltem Sternenhimmel. Ein Mädchen wird geschminkt, sie ist | |
groß und blond und geduldig. Steht unbeweglich da. Kameras, Licht, | |
Personal. Andere gehen wie zufällig um die Modeaufnahmen herum. Der Mann | |
nicht. Er ist klein, nicht alt, sieht wie ein Italiener aus, trägt an einem | |
Metallstab einen Spiegel vor sich her, wie ein großer Rückspiegel, und in | |
der anderen Hand an noch einem Stab eine gelbe Blume. | |
Er geht zügig durch die luftige Halle, den Spiegel vor sich, in den er | |
hineinschaut und ruft: "You are so beautiful." Dann sieht er die | |
Mode-Aufnahmen, er geht stracks auf das Mädchen zu, ruft ihr zu: "You are | |
so beautiful, look, look", dreht ihr den Spiegel hin, sie solle | |
hineinschaun: "You are so beautiful." | |
Das geduldige Mädchen reagiert nicht, den Mann irritiert das nicht. Ist das | |
eine Performance oder eine Psychose? Wer weiß das schon in New York. Der | |
kleine Mann geht nun auf eine Asiatin zu, die ihren täglichen Weg durch den | |
Bahnhof geht, zielstrebig diagonal durch die Halle. "You are so beautiful." | |
Sie sucht das Weite. | |
Rose Champagne | |
In der Bar im South Gate am Central Park hängen hunderte verschieden großer | |
Spiegel, kantig schräg zueinander gedreht. Von einer Designerin in SoHo. | |
Zwei Männer reden aufeinander ein. Der eine ein Mexikaner. Dicke Uhr, | |
betrunken. Der andere Ami, ein Hotelgast im Haus, ein Jumeirah-Hotel, | |
teuer. | |
Der Amerikaner sagt, sein Freund sei gerade gestorben. 53 war er, wir | |
kannten uns aus der Highschool. Wir hatten gar nicht mehr viel Kontakt. Der | |
Mexikaner schaut eine Frau an, sie kommt zur Bar, er ruft: "My name is | |
James! James Bond!" Streckt ihr die Hand hin. | |
Ein Spaß, er heiße Javier. Die Frau stöckelt weiter. Der verstorbene Freund | |
habe ihm einen Brief geschrieben. Da sei er schon sehr traurig gewesen. | |
"Wahrscheinlich waren wir mal gut befreundet, versucht er sich zu | |
erinnern." | |
Der Mexikaner sagt zur Frau hinterm Bartresen "I love rose Champagne. Bring | |
mir noch einen." In dem Brief habe gestanden, dass er ihm sein Auto | |
vermacht habe. "Very sad, very sad", sagt der Mexikaner nun zeitverzögert. | |
Es sei ein Traum von einem Auto, ein Augapfel, eine 83er Corvette. | |
Gepflegt, 1a. Dann sagt er zum Mexikaner: "Und, wie hat Ihnen der Film | |
gefallen?" Der Mexikaner schaut verständnislos. | |
Kleiderberge | |
Im Outlet-Shop Century 21. Vollgestopft mit Kleiderständern und Kundinnen. | |
Unübersichtliches Schieben, Tafeln mit Markennamen schreien nach | |
Aufmerksamkeit. Eine Frau möchte etwas sagen, stutzt. Ob sie mal vorbei | |
dürfte, fragt sie auf Englisch. "Aber natürlich!" Sie sagt erleichtert: | |
"Ich wusste nicht, in welcher Sprache ich fragen soll, es gibt so viele | |
Nationen hier. Ich meine, das ist toll, dass so viele herkommen." | |
Am Geländer bei den Rolltreppen lehnen Männer. Geparkt mit stoischem | |
Gesichtsausdruck, über den Armen Kleider, Jacken. Hinter einer Wand | |
verbergen sich gut zwanzig Umkleidekabinen. Davor stehen Frauen Schlange. | |
Berge von Kleidung auf den Armen, im Korb. Am Eingang zur stickigen Hölle | |
mit den Spiegeln stehen Verkäuferinnen, stämmige schwarze Frauen. Mit der | |
Geduld eines Erzengels und der Stimmgewalt eines Zeitungsverkäufers ordnen | |
sie die Welt. | |
"Madame, Sie können nicht mehr als sieben Teile mitnehmen. Madame, Sie | |
dürfen nicht mit einem Korb in die Kabine. Madame, hier ist nur der | |
Eingang, Ausgang auf der anderen Seite." Endlos dieselben Sätze. Und der | |
Strom teilt sich, sortiert sich. Es ist dieselbe Szene, dieselbe ordnende | |
Macht wie am Flughafen JFK. Taxi-Dispatcher und Tax-free-Dispatcher. | |
Europäischer Appetit | |
Mittag im Le Pain Quotidien in Soho, Gäste setzen sich an die langen | |
Tische. Sitzen Fremden gegenüber, nah beieinander. Dies soll eben ein | |
europäisches Lokal sein. Das tägliche Brot ist 100 Prozent organic, für | |
fünf Dollar bekommt man einen Korb voller Walnussbrot, Körnerbrot, dunklem | |
Brot, Baguette. Es gibt Bioschinken, Bioobst. Zwei Models sitzen | |
nebeneinander. Ihre Arme sind so grazil wie die Beine frisch geborener | |
Giraffenbabys. | |
Wie alle anderen Gäste telefonieren sie, lesen Mails, sie warten auf eine | |
Freundin, sie bestellen schon. Man muss hinsehen. So eine glatte Haut, | |
große Augen, schöne Lippen. Sie sprechen Englisch mit unterschiedlichem | |
Akzent, Italienisch und Tschechisch vielleicht. Sie sind sehr jung. Der | |
Kellner bringt Platten von Brotscheiben, belegt mit Schinken, Salat, Käse, | |
sie stellen alles vor sich hin, das dritte Mädchen kommt. Auch sie eine | |
Giraffe, im Stehen, lange Gliedmaßen, feines Gesicht. | |
Alle drei zupfen mit ihren Fingern an den Broten herum. Greifen hiervon | |
etwas, davon etwas. Essen Wurstbrote wie Bauernmädchen. Sie haben einen | |
ganz europäisch tüchtigen Appetit. Sie werden sich doch danach nichts | |
antun. | |
Buddha-Bar | |
Samstagnacht im Meatpacking District. Sommerabend. Alle Straßen voll, Autos | |
dicht an dicht. Schwarz gekleidete Menschen dazwischen, auf den löchrigen | |
Bürgersteigen, beim Schlangestehen an den Clubs, den Restaurants. B&T-Volk. | |
Das sagen die aus Manhattan, die am Samstagabend zu Hause bleiben. B&T, | |
Bridge and Tunnel, jene, die das Nachtleben erst nach einer Fahrt über eine | |
Brücke oder durch einen Tunnel erreichen, die aus New Jersey oder gar | |
Staten Island in den Meatpacking District kommen, am Samstagabend. Kurz vor | |
Mitternacht, nicht früh, nicht spät. | |
An den Türstehern der Buddha-Bar kommt nur vorbei, wer einen Tisch | |
reserviert hat. Marco hat reserviert. Der Tisch ist ein größerer Hocker, | |
auf dem stehen Karaffen mit Tomatensaft, Orangensaft und Wasser, ziemlich | |
viele Gläser. Eine Tischreservierung bedeutet: gut tausend Dollar für zwei | |
Flaschen Champagner und eine Flasche Wodka. Zwei Mädchen in kurzen Röcken | |
bringen die Flaschen, mit Wunderkerzen und einem Lachen, als wäre dies ein | |
besonderer Moment. Unbeschreiblich laute Musik. Gold-rot strahlt eine zwei | |
Stockwerk hohe Buddha-Statue. | |
Um die kleinen Tische stolpern andere, überall Beine, alles voll. Alles | |
voll. Eng. Marco und seine argentinische Frau haben Besuch aus der Schweiz. | |
Zwei junge Frauen, sie sind heute angekommen. Sie tragen Jeans und Blusen | |
und sind schon über dreißig Jahre alt. | |
Kaum jemand hier ist so alt. Die anderen Mädchen tragen weniger Stoff, edle | |
Fetzen. Die Schweizerinnen blicken stoisch, weggebeamt vom Jetlag und vom | |
Lärm. Sie sind aus Sils und cool. Stehen da, nippen am Champagner, zum | |
Reden lässt das Getöse keinen Raum. Stehen da, schauen. | |
Gott in der U-Bahn | |
Auf der Holzbank in der U-Bahn-Station. Drei beleibte weiße Frauen, | |
Popelinejacken, beige Hosen, ihr Tonfall klingt nicht, als wären sie aus | |
New York. Bible-Belt. Die in der Mitte spricht nun. "Jetzt sind wir in New | |
York. Der Lord brachte uns nach New York. Wohin wird er uns als nächstes | |
führen?" Sie redet, als spräche sie vor der Gemeinde. Als müssten die | |
anderen nach jedem Satz ein Halleluja skandieren. Was sie nicht tun. | |
"Ein hartes Jahr war das damals. Die Mutter starb, die Großmuter starb, | |
eine Tante starb, der Bruder starb fast. Genauer gesagt: Der Bruder war | |
schon tot, aber er kam zurück. Er lag in der Klinik, Ärzte um ihn, dann sah | |
er ein Licht, das helle Licht, und er wusste sofort, das ist Jesus. Und es | |
war so schön. | |
Aber er wusste doch, wie schlecht es uns ging. So sagte er zu Jesus: | |
Listen, meine kleine Schwester ist noch in der Highschool, die andere | |
arbeitet, ich muss mich doch um Vater kümmern. Lass mich zurück. Und da | |
ließ Jesus ihn wieder gehen. Und die Ärzte hatten schon gerufen: Wir haben | |
ihn verloren!" Die beiden anderen Frauen nicken. Andere Zuhörer zucken | |
zusammen ob der blasphemischen Inbesitznahme. | |
Grundrauschen | |
Hotelzimmer in der 55. Straße. Späte Nacht. Der Verkehr auf den Straßen | |
verebbt nie ganz. Es bleibt laut in der Stadt, ohne dass einzelne Geräusche | |
zuzuordnen wären. Es brodelt. Ein Grundrauschen. | |
16 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schaefer | |
## TAGS | |
Reiseland USA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |