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# taz.de -- City-Frontmann Toni Krahl über seine Knast-Zeit: "Ich war ein loya…
> Weil er 1968 gegen die Panzer des Warschauer Paktes in Prag
> demonstrierte, musste der spätere "City"-Sänger in den Knast. Es war
> "wirklich kein Jux", was mir damals passierte, sagt Krahl heute.
Bild: Die Rockband "City" mit Frontmann Toni Krahl in der Mitte während einer …
taz: Herr Krahl, Sie waren ein Rockstar in der DDR. Aber kaum jemand
wusste, dass Sie vor 40 Jahren gegen den Einmarsch der
Warschauer-Pakt-Staaten in Prag auf die Straße gingen und deshalb im
Gefängnis saßen.
Toni Krahl: In meiner Band wusste es natürlich jeder. Ansonsten war es kein
Thema, ich wollte es auch nie vor mir hertragen. Ich bin kein
rückwärtsgewandter Mensch. Deshalb habe ich mich nie großartig mit der
damaligen Zeit befasst - bis vor kurzem.
Warum erst jetzt?
Ich hatte schon vor zehn Jahren Einsicht in meine Stasiakten beantragt,
erhielt aber nur drei Zettel, woraus ich mir einiges zusammenreimen konnte.
Ich dachte dann: "Ach, lass es sein, warum in ein Wespennest pieken?!" Als
vor einigen Monaten ein Autor für eine Buchrecherche über 1968 in der DDR
aus meinen Akten zitieren wollte, besorgte ich mir sie doch. Beim Lesen
merkte ich, dass ich viel von damals verdrängt habe und dass es wirklich
kein Jux war, was mir passiert war. Als 18-Jähriger hatte ich das gar nicht
richtig ernst genommen.
Sie saßen drei Monate im Gefängnis. Kann man das verdrängen?
Natürlich ist das in meinem Kopf alles präsent, aber aus den Stasiakten
erfuhr ich erst die ganzen Details: Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen,
Einschätzung von der Schule, von Mitschülern, Anklageschrift - alles ist
aufgezeichnet. Auch das ganze Drumherum um meinen Vater, der beim Neuen
Deutschland als Redakteur gearbeitet hatte.
Waren Sie vor der Verhaftung politisch besonders interessiert?
1968 war ich 18 und interessierte mich für das Übliche in dem Alter:
Mädchen, Musik. Meine Helden waren die Beatles und Rolling Stones, aber
auch politische Figuren wie Che Guevara oder Ho Chi Minh faszinierten mich.
Es gab in der DDR genau wie im Westen eine Aufbruchstimmung aus dem Gefühl
heraus, dass der Sozialismus, so wie er war, keinen Spaß macht. Das hatte
mit politischem Denken wenig zu tun. Ich habe mich nicht mit Leitartikeln
befasst, schon gar nicht mit denen von meinem Vater.
Ihr Vater war aktiver Nazi-Widerstandskämpfer und überzeugter Kommunist.
Konnten oder wollten Sie trotzdem gegen ihn rebellieren?
Ich hatte schon genügend Anlässe. Ich war mit meinem Vater absolut nicht
einer Meinung über politische Dinge. Allerdings hatte er eine sehr hohe
Toleranzgrenze. Er hatte nichts gegen meine Musik, Klamotten und langen
Haare. Aber er wusste, dass seine Partei das anders sah. Deshalb betete er
mir immer vor: Wer besondere Leistungen vollbringt, kann sich Extravaganzen
leisten und die Haare bis zum Hintern wachsen lassen. Er erwartete von mir
ein Abi mit eins. Weil ich damit nicht dienen konnte, sollte ich schön den
Ball flach halten.
Daran haben Sie sich nicht gehalten, als am 21. August 1968 die Truppen in
Prag einmarschierten.
Es gibt wahrscheinlich in jedermanns Leben ein, zwei Situationen, wo man
sich entscheiden muss. Für mich war es damals so eine.
Hatten Sie irgendwelche Beziehungen nach Prag?
Indirekt. Zum einem hatte ich mit dem Prager Frühling die konkrete
Erwartung verbunden, dass der in die DDR ausstrahlen würde; dass auch bei
uns alles bunter und lebenswerter würde. Außerdem sagte mir meine
pazifistische Grundhaltung, dass man keinen Konflikt mit Waffengewalt und
Panzern lösen dürfe. Und schon gar nicht dürften Deutsche dort
einmarschieren. Meine Eltern hatten während der ersten Nazijahre in Prag
Asyl gefunden. Meine Großeltern ebenso. Das Land war für mich wie eine
familiäre Schutzmacht.
Was haben Sie getan, als Sie die Nachricht vom Einmarsch hörten?
Ich habe ich mich sofort mit ein paar Freunden abends in der
Mocca-Milch-Eisbar in der Karl-Marx-Allee getroffen, um ihre Meinung zu
hören. Mit zwei Freunden fuhr ich am nächsten Tag zur CSSR-Botschaft in
Pankow, um unsere Sympathie zu bekunden. Das Gebäude war zwar bewacht, aber
wir kamen irgendwie rein. Ich schrieb auf einem Zettel, dass wir gegen den
Einmarsch sind und volle Solidarität mit Parteichef Alexander Dubcek und
seinen Genossen üben, und übergab den. Im Gegenzug bekam ich ein paar
Fotokopien über den nicht von Moskau genehmigten 14. KPC-Parteitag in die
Hand gedrückt.
Das war Ihr ganzer Protest?
Nein. Danach habe ich in den Jugendtanzklubs junge Leute angesprochen, dass
sie am 25. August, 16 Uhr, alle zu einer Schweigekundgebung vor die
Botschaft der UdSSR Unter den Linden kommen sollten. Am Termin erschien ich
mit wenigen Kumpels vor Ort; mit kleinen CSSR-Fähnchen standen wir da mit
ungefähr 60 Leuten. Daneben gab es aber auch Grüppchen von Stasileuten mit
Ledertäschchen und Anoraks.
Was passierte dann?
Kurz vor 16 Uhr fuhren Polizeiautos vor. Jede Menge Uniformierte
kontrollierten die Ausweise. Da sind wir abgehauen und flüchteten in das
Auto meines Vaters, der zufällig aus seiner Redaktion in der Nähe kam. Das
wars eigentlich mit der Demo.
Sie wurden gar nicht verhaftet?
Erst drei Wochen später, am 13. September, nachdem die Stasi andere
Beteiligte verhört und mich ein "Freund" verraten hatte. Ich wurde von der
Polizei in die Keibelstraße einbestellt zur "Klärung eines Sachverhalts",
früh um 8. Um 22 Uhr kam der Haftrichter, der mir den Haftbefehl vorlas.
Und dann gings ab in die U-Haft ins Pankower Stasigefängnis in der
Borkumstraße. Als die schwere Eisentür in der Zelle zuknallte, das Licht
aus war und ich auf meiner Klapppritsche lag, habe ich erstmals geschluckt.
Die ganze Anspannung des Tages durch die Verhöre fiel ab und ich überlegte:
Bist du jetzt ein Verbrecher, hast du was Falsches gemacht oder gesagt?
Was wurde Ihnen konkret vorgeworfen?
In der U-Haft wurde ich vier Wochen vormittags und nachmittags verhört, die
suchten wohl Hintermänner. Immer wieder fragten sie, was ich vor der
Botschaft wollte, warum ich gegen den Einmarsch in Prag sei. Ich antwortete
ganz ehrlich: Weil ich das nicht gut finde. Anfangs glaubte ich noch, die
schicken mich bald wieder weg, um die Sache in der FDJ-Gruppe
weiterzudiskutieren. Ich hätte nie im Leben erwartet, dass sie mich
einsperren. Ende November wurde ich zu drei Jahren wegen staatsfeindlicher
Hetze verurteilt.
Die mussten Sie aber nicht absitzen.
Kurz vor Weihnachten wurden die Urteile gegen alle unter 27-Jährigen in
eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Einige wurden später auch in den Westen
abgeschoben wie meine Bekannte Bettina Wegner, die Liedermacherin.
Was geschah mit Ihnen?
Ich durfte mich zwei Jahre in der sozialistischen Produktion bewähren, als
Blechschlosser im VEB Werkzeugmaschinenkombinat "7. Oktober" in Weißensee.
Allerdings war ich kein sehr fleißiger Kollege. Wenn ich nicht spurte,
drohten immer die drei Jahre Knast. Als die Zeit um war, habe ich sofort
gekündigt.
Was sagte Ihr Vater zur Entwicklung seines Sohnes?
Der war sofort nach meiner Verhaftung beurlaubt und später ins ND-Archiv
versetzt worden. Er war ein gebrochener Mann. Aber wir sind seitdem
blendend miteinander ausgekommen.
Hatten Sie fortan einen anderen Blick auf die DDR?
Ich war ein loyaler Bürger. Als mir mein Rechtsanwalt Wolfgang Vogel in der
Haft sagte, ein Ausreisewunsch in den Westen würde meine Entlassung
beschleunigen, war das für mich unvorstellbar. Leute wie Rudi Dutschke und
Fritz Teufel fand ich schon toll, aber was sollte ich im Westen? Ich wollte
zu Hause ein schönes Leben mit viel Spaß und Freude. Außerdem glaubte ich,
dass es sehr wohl Spaß machen konnte, einen gerechten Staat aufzubauen.
An den glaubten Sie nach der Entlassung noch?
Ich hatte durchaus den Eindruck, mit einem blauen Auge davongekommen zu
sein. Wegen meiner Bewährungsstrafe wollte ich erst mal nicht allzu böse
auffallen. Als die um war, suchte ich mir meine Nische. Ursprünglich wollte
ich Schauspieler oder Journalist werden, aber studieren durfte ich nicht
mehr. Also suchte ich einen Weg in die Musik. Nachdem ich wie viele Musiker
eine Zeit offiziell als Telegrammbote auf Honorarbasis angestellt war,
wurde ich 1973 Profimusiker. Damit hatte ich mich dem großen Drill in der
Gesellschaft entzogen.
Ging das noch, als Sie mit Ihrer Band "City" erfolgreich wurden?
Politisch hatte ich mich in der DDR erst mal nicht mehr eingemischt. "City"
war auch keine Politrockband, wir haben die Alltagsprobleme von jungen
Leuten beschrieben. Trotzdem blieben Konflikte nicht aus. So wurden auch
wir nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 abgefordert, ein Bekenntnis zu der
Maßnahme zu unterschreiben. Daraufhin gab es Krach mit dem Management der
Band, weil einige meinten, wir sollten das aus Rücksicht auf unsere weitere
Karriere tun. Da habe ich dann gedroht: Solange ich in der Band bin,
unterschreibt keiner.
1988 wurden Sie dennoch Vorsitzender der Sektion Rockmusik beim Komitee für
Unterhaltungskunst der DDR. Für viele junge Bands klang das nach
Staatsnähe.
In der DDR gab es keine Gewerkschaft für freischaffende Musiker. Der Staat
wollte die aber auch irgendwie einbinden und wissen, was die so umtreibt.
So entstand das Komitee mit Sektionen für Liedermacher, Schlager, Rock. In
der waren so ziemlich alle Bands Mitglied. Uns ging es um Dinge wie
Studiokapazitäten, wie kommen wir an Lkw-Reifen, Trommelstöcke und
Reisegenehmigungen. Die Funktionäre wiederum hatten Ansprechpartner für
"Rock für den Frieden".
Den jungen, sogenannten anderen Bands brauchte man damit nicht zu kommen.
Warum zeigten Sie sich kooperativer?
Vielleicht sogar aus einer gewissen Protesthaltung heraus. Viele in der
Szene hofften damals auf neuen Wind aus Moskau. Obwohl ich dachte, etwas
gegen die Betonköpfe bewegen zu können, war die Funktion für mich ein
Eiertanz. Und nach der Wende gab es auch einige Leute, die "City" deswegen
zu einer staatstragenden Band erklärten. Das stimmt insofern, als jeder in
DDR staatstragend war, der morgens zur Arbeit ging. Ich bin aufrecht durch
mein Leben gegangen und habe auch einige Kompromisse geschlossen. Einer war
vielleicht, dass ich sagte: Ich lebe in der DDR.
Wie empfinden Sie heute den ganzen Gedenkrummel um 1968 und die 68er?
Wenn man von 68 spricht, wird der Fokus immer auf Dutschke und die Kommune
1 gerichtet. Dabei war der Gipfel der gesamten Bewegung das, was in Prag
passierte und nicht in der Kommune 1.
INTERVIEW: GUNNAR LEUE
18 Aug 2008
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Schwerpunkt 1968
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