Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Ausstieg aus der Kernkraft: Atomstrom ist nicht billig
> Energie wird teuer? Dann muss eben Atomstrom her. Doch AKWs wirken nur
> kostengünstig, weil die staatlichen Subventionen konsequent verschwiegen
> werden.
Die Atomlobby verbreitet Optimismus und proklamiert ihre Renaissance. Der
mediale Hype dauert an: Mal mutiert Atomstrom zu Ökostrom, mal soll das
Atom als Billigstrom davongaloppierende Energiepreise zügeln. Die CDU/CSU
macht sich für eine Laufzeitverlängerung der 17 verbliebenen Atomkraftwerke
stark, sogar Neubauten fordern einige Konservative. Beim Wahlvolk soll
ankommen: Wenn ein Liter Benzin 1,60 Euro kosten, dann hilft nur die
Atomkraft.
Was die Protagonisten der Atomkraft verschweigen: Sie kommt teuer. Nehmen
wir das Vorzeigeobjekt, das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto. Zum
Festpreis von 3,2 Milliarden Euro wollten Siemens und Framatome das erste
Kraftwerk der "neuen Reaktorgeneration" errichten. Start der
Stromproduktion sollte das Jahr 2009 sein. Jetzt werden Mehrkosten von 1,5
Milliarden Euro fällig. Zudem ist das Kraftwerk nicht fertig; vor 2012 wird
das AKW keinen Strom liefern. Die sogenannte Lead Time - Planung, Antrag,
erster Spatenstich bis hin zur Stromproduktion - beträgt im Schnitt 17
Jahre. Von den 34 Atomkraftwerken, die weltweit neu errichtet werden, sind
12 Altmeiler, die schon seit über 20 Jahren in Bau sind. 439 Atomkraftwerke
werden im Jahr 2008 gezählt, fünf weniger als im Jahr 2002. Das ist gut zu
wissen, wenn von der angeblichen Renaissance der Atomkraft die Rede ist.
Ebenso sollte nicht aus dem Blick geraten, dass inzwischen auch der
Uranpreis für 1 Pfund (lb) von 7 US-Dollar im Jahr 2000 auf 36 US-Dollar
2006 angezogen hat.
Der Spotpreis an der Leipziger Energiebörse beträgt für die Grundlast 5,64
Cent pro Kilowattstunde. Die Stromkonzerne beziffern die Produktionskosten
für Atomstrom mit 3 bis 4 Eurocent. Da scheint die Atomkraft profitabel und
kostengünstig. Kostengünstig? Nicht für den Verbraucher. Lutz Mez von der
Forschungsstelle Umweltpolitik der FU Berlin erklärt: Der Börsenpreis wird
nach den Produktionskosten des teuersten Kraftwerks ermittelt, das am Netz
ist.
Das ist äußerst profitabel. Abgeschriebene Atomkraftwerke spülen so den
Konzernen einen Extragewinn von 200 bis 300 Millionen Euro jährlich in die
Kasse, denn Strom aus den Altreaktoren ist in der Tat billiger als Strom
aus Kohle, Gas oder Wind. Dies gilt allerdings nur, weil implizite
Begünstigungen nicht mitgerechnet werden. So profitieren die AKW-Betreiber
seit Jahrzehnten davon, dass fossile Brennstoffe besteuert werden, während
Kernbrennstoffe befreit sind. Niemand hat bislang den Versuch unternommen,
diesen Kostenvorteil zu berechnen. Zudem durften die Konzerne rund 30
Milliarden Euro für den Rückbau von Atomanlagen und die Endlagerung
zurückstellen. Auf diese Teile ihres Gewinns mussten sie niemals Steuern
zahlen.
Andere Begünstigungen sind nicht implizit, sondern schlicht in
Haushaltstiteln verschiedener Ressorts versteckt. Staatliche und stattliche
Summen fließen immer noch in die Forschung. 3,1 Milliarden Euro sind es
zwischen 2007 und 2011 für die Euratom. Für den Bau von Forschungsreaktoren
zahlten die Steuerzahler in Deutschland etwa 20 Milliarden Euro; der
öffentliche Finanzierungsanteil an gescheiterten Projekten wie dem
Schnellen Brüter Kalkar, der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf,
der WAA Karlsruhe oder dem Kugelhaufenreaktor in Hamm-Uentrop beläuft sich
auf rund 9 Milliarden Euro. Die Sanierung des Urantageabbaugebiets Wismut
kostete 6,2 Milliarden Euro. Mit 0,5 Milliarden Euro fällt der Abriss des
Versuchsreaktors Jülich noch bescheiden aus.
Die Summe derartiger direkt berechenbarer Begünstigungen für den Zeitraum
1956 bis 2006 beträgt nach Angaben des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW) 45,2 Milliarden Euro. Überschlägt man die
Forschungsausgaben der Bundesländer und der EU, so lagen die öffentlichen
Ausgaben für die Atomenergie in diesem Zeitraum bei etwa 50 Milliarden
Euro. Das DIW hat die öffentlichen Ausgaben - bezogen auf eine kumulierte
atomare Stromerzeugung von rund 4.100 Terra Wattstunden bis Ende 2006 - auf
eine Kilowattstunde Atomstrom umgerechnet: Es ergibt sich ein
Subventionsbetrag von 1,2 Eurocent pro Kilowattstunde.
Nicht eingerechnet wurden die anstehenden Ausgaben für die havarierten
Atommüllendlager. In der Asse II bei Wolfenbüttel wurden in den 60er-Jahren
von der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) 124.494 Fässer mit
schwachaktivem und 1.293 Fässer mit mittelaktivem Müll gestapelt und in
Bergwerken eingelagert. Diese Deponie galt als Versuchsfeld, als
Pilotanlage für Gorleben, und sie säuft jetzt ab. Die Kosten für die
Sanierung der Asse II, sollte das überhaupt noch möglich sein, gibt die GSF
- heute Helmholtz Zentrum - mit 2 bis 3 Milliarden Euro an.
Das zweite atomare Endlager, die Kaligrube Morsleben, drohte ebenfalls
einzustürzen und wurde eilig dichtgemacht. Das Bundesamt für Strahlenschutz
hat gerade die Ausschreibung veröffentlicht; für 1,2 Milliarden Euro soll
die Kaligrube stabilisiert werden.
Nahe der Atommeiler oder auch in Ahaus und Gorleben warten derweil in
luftigen Hallen hochradioaktive Abfälle. In Gorleben sind bisher 80
Castoren auf 420 Stellplätze verteilt. Die Kosten für die Polizei, die die
Castortransporte "sichert", summieren sich übrigens auch schon auf 3
Milliarden Euro. Okay, das liegt am Widerstand - der hat eben auch seinen
Preis.
Die verheerendsten externen Kosten lasse ich mal außen vor, nämlich die
volkswirtschaftlichen Kosten für einen Super-GAU, die nach Berechnungen des
Bundeswirtschaftsministeriums bei 5.000 Milliarden Euro liegen. 2001 wurde
die Deckungsvorsorge für Reaktorunfälle auf nur 2,5 Milliarden Euro erhöht.
Würde hingegen das volle Risiko versichert, würde sich eine Kilowattstunde
Atomstrom um 5 Eurocent erhöhen. Wolfgang Irrek vom Wuppertal Institut
sieht vor allem in der Haftpflicht einen entscheidenden Hebel zur
Herstellung von Kostengerechtigkeit. Auch er verweist auf die
Rückstellungsmilliarden.
Atomstrom ist also nicht billig, wie sich auch bei den Reaktorneubauten
zeigt. So verweist Lutz Mez von der FU Berlin darauf, dass bei den
EPR-Neubauplänen in Finnland und Frankreich die Produktionskosten einer
Kilowattstunde bei 10 Cent liegen, wenn man realistische 6,3 Milliarden
Euro Investitionskosten annimmt. Bei einem modernen Gaskraftwerk (GuD)
beläuft sich der Produktionspreis nur noch auf 3,5 Cent. Auch die
Produktionskosten für Windenergie im Inland liegen nur noch bei 6 bis 10
Cent, Strom aus Wasserkraft kostet zwischen 3 und 10 Cent.
Ohne direkte und indirekte Subventionierung gehen die Kostenvorteile des
Atomstroms gegen null. Hinzu kommt, dass die Atomkraft eine
Risikotechnologie ist. Die Gefahr eines GAUs, die mögliche Nutzung der
Technologie für militärische Zwecke sowie das Atommülldesaster können
Schäden hinterlassen, die in Euros nicht mehr auszudrücken sind.
18 Aug 2008
## AUTOREN
Wolfgang Ehmke
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.