| # taz.de -- Harry Valérien im Interview: "Ist das alles sauber?" | |
| > Die ZDF-Sportreporterlegende Harry Valérien über Olympia, weshalb er viel | |
| > zu viel schaut, und die über Zweifel, die er hegt. | |
| Bild: Faszinierende Bilder vom Goldmedaillen-Gewinner Usain Bolt, mit Vorsicht … | |
| taz: "Herr Valérien, verfolgen Sie die Olympischen Spiele?" | |
| Harry Valérien: Ja, sehr. Viel zu viel. | |
| Inwiefern viel zu viel? | |
| Weil ich halt nicht loskomme von diesem Spektakel. Das fasziniert mich nach | |
| wie vor, bei allen kritischen Bemerkungen, die man loswerden muss. | |
| Welche meinen Sie? | |
| Ja, mein Gott, ist das alles sauber? Wenn man sich die 100 Meter anschaut, | |
| muss man sagen: Das ist nicht nur ein Spektakel, das ist eine Zirkusnummer. | |
| War das früher anders? | |
| Können Sie sich vorstellen, dass Armin Hary... | |
| ...der deutsche Olympiasieger über 100 Meter von 1960... | |
| ...den Lauf beendet hätte, wie Usain Bolt ihn beendet hat? Das sah aus, als | |
| ob ein Flugzeug die Flügel zur Landung ausführe. Er hat die Hand gegen den | |
| eigenen Fahrtwind gestellt, damit er schneller runterkommt. | |
| Sie glauben, das war nicht sauber? | |
| Das kann ich nicht sagen, weil ich ihn damit belasten würde, ohne es genau | |
| zu wissen. Aber die Frage bleibt, wenn man sich die Geschichte der | |
| 100-Meter-Weltrekordler, angefangen bei Ben Johnson, anschaut. | |
| Wie, finden Sie, sind die Fernsehreporter in Peking damit umgegangen? | |
| Ich schalte zwischen deutschem und österreichischem Fernsehen hin und her. | |
| Ich bleibe nicht auf einem Sender hocken. Insofern kann ich dazu nichts | |
| sagen. Wenn Sie mich über die Tour de France vor zwei Jahren befragt | |
| hätten, dazu wäre mir etwas eingefallen. | |
| Nämlich? | |
| Dass ich mich gewundert habe, als der Floyd Landis, der spätere Sieger, an | |
| einem Tag 10 Minuten hintendran war und am nächsten Tag 10 Minuten voraus. | |
| Da habe ich von meinen hochgeschätzten jungen Kollegen nicht gehört, dass | |
| sie Zweifel haben. | |
| Vielleicht ist es so, wie Sie gesagt haben: Sie würden Leute verdächtigen, | |
| ohne Genaueres zu wissen. Ist das der Grund, dass sich Reporter live auch | |
| mal zurückhalten? | |
| Die Frage, wie etwas sein kann, muss erlaubt sein. Man kann doch nicht | |
| innerhalb eines Tages vom zweitklassigen zum Übermenschen werden. | |
| Im ZDF wurde der 100-Meter-Lauf von Usain Bolt mit den Worten kommentiert: | |
| Das solle man genießen, aber mit Vorsicht. | |
| Na ja also, das ist doch was. Das ist das, was ich bei anderen vermisst | |
| habe. Es darf doch gezweifelt werden. | |
| Seit wann muss eigentlich gezweifelt werden? | |
| Ich wurde einmal gefragt, wann ich zum ersten Mal das Wort "Doping" gehört | |
| hätte. Da erinnerte ich mich daran, dass mir ein ehemaliger Reichstrainer | |
| von 1936 gesagt hatte, dass es Läufer gibt, die immer mit einem Köfferchen | |
| zum Wettkampf kamen. Schon damals haben Leute vermutet, dass da etwas drin | |
| ist, was die anderen nicht haben. | |
| Und wann haben Sie erstmals über Doping berichtet? | |
| Ich habe drei Sendungen von je einer Stunde im "Aktuellen Sportstudio" | |
| gemacht. Und das war kein Vergnügen, weil ich von meiner eigenen Mannschaft | |
| nicht unbedingt unterstützt wurde. Ich habe den anderen ja zur besten | |
| Sendezeit ihre Zeit für ihre Berichte gestohlen. Aber gehen Sie ins | |
| ZDF-Archiv, da werden Sie alles finden, nur die Namen der Medikamente haben | |
| sich verändert. Sonst ist alles schon gesagt. Und das ist jetzt über 30 | |
| Jahre her, das war 1977. | |
| Bei welchen Sportarten war das damals? | |
| Das war ein Rundumschlag. Während der Sendung hat einer der berühmtesten | |
| Fußballtrainer angerufen und gesagt: Herr Valérien, wissen Sie eigentlich, | |
| dass im Fußball gedopt wird? Da wollte ich ihn in die nächste Sendung | |
| einladen, aber nein, er kam nicht. Aber das war ein Mann, der das dreimal | |
| wissen musste. | |
| Sie waren damit einer der ersten, die über Doping berichtet haben? | |
| In dieser Form gewiss. Aber es gab auch Gegenströmungen: dass man so was | |
| nicht machen soll als Moderator und Reporter. | |
| Wie heute. | |
| Ich habe damals schon gesagt: Wenn ich das nicht machen darf, scheide ich | |
| aus. Dann würde ich etwas verschweigen, was ich weiß. Und was wir nicht | |
| wissen, das müssen wir aufblättern. Und wenn wir es aufblättern, kommt so | |
| viel zutage, wie ich es gar nicht für möglich gehalten hätte. Ich bin dann | |
| aber sogar von Bonn gemaßregelt worden, ich würde zu viel Staub aufwirbeln. | |
| Wie, von Bonn? | |
| Da war einer, der sich als Mitglied des Bundestags um diese Dinge gekümmert | |
| hat. Ich war aber der Meinung, wir können darüber nicht schweigen. Und dann | |
| müssen die Trainer, die Sponsoren und die Eltern von diesen jungen | |
| Sportlern anerkennen, dass sie darüber informiert worden sind. Was sie aus | |
| dieser Information machen, ist eine andere Frage. Aber es wäre eine Sünde | |
| gewesen, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. | |
| Sie sagten, Olympia sei trotzdem für Sie faszinierend. | |
| Ja, das muss ich sagen. Der 100-Meter-Lauf war begeisternd. Das sah aus, | |
| als könnte der Usain Bolt auch 9,5 Sekunden laufen. Der hat eine | |
| Schrittlänge, die ist unglaublich, und wenn man die Art und Weise sieht, | |
| wie er die letzten 40 der 100 Meter zurückgelegt hat, bin ich doch fast dem | |
| Glauben nahe, dass das bei den extremen Fähigkeiten, die der hat, nicht | |
| unsauber sein muss. Fast. Aber am Ende bleibt natürlich die Frage: Wenn bei | |
| den Frauen drei Jamaikanerinnen vorne waren - geht das, oder geht das | |
| nicht? | |
| Können Sie sagen, wie sich die Berichterstattung seit 1952, dem Jahr Ihrer | |
| ersten Olympischen Spiele als Journalist, verändert hat? | |
| Es entwickelt sich alles weiter, es gibt keinen Stillstand. Im Fernsehen | |
| sticht vor allem die Brillanz der Bilder heraus. Was ich aber immer noch | |
| vermisse, ist eine Kamera beim 400-Meter-Lauf, die die ganze Strecke | |
| mitgeht und nicht die Läufer als Ameisen zeigt. | |
| Dann wäre die Show noch besser. | |
| Das wär's. Dann fehlt nur noch der Golfball mit der eingebauten Kamera. | |
| Fänden Sie das wünschenswert? | |
| Darum geht es nicht, es geht um die Möglichkeiten, die vorhanden sind. Beim | |
| Fußball könnte man in Sekundenschnelle sagen: Das war Abseits, das war kein | |
| Foul, das war ein Tor. Wenn aber Fifa-Chef Sepp Blatter sagt: nein, wir | |
| machen keinen Fernsehbeweis, dann ist das eine Unvernunft. | |
| Sind Sie ein Technikfan? | |
| Nicht unbedingt. Ich kann heute noch keinen Computer bedienen, und ich habe | |
| ein Handy, aber das benutze ich nicht. Ich bin auf dem Gebiet ein | |
| Analphabet. | |
| INTERVIEW: KLAUS RAAB | |
| 19 Aug 2008 | |
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