# taz.de -- In Sicherheit vor Hurrikan "Gustav": "Morgen haben wir keinen Strom… | |
> Zwei Millionen Menschen haben die Küste Louisianas verlassen, um sich vor | |
> "Gustav" zu retten. Ein Besuch in den Notunterkünften offenbart die | |
> gesellschaftliche Wirklichkeit der USA. | |
Bild: Diesmal funktionierte es: Zehntausende Menschen, die kein eigenes Fahrzeu… | |
MONROE taz Grüne Feldbetten stehen in einer riesigen Halle. Viele sind | |
unbenutzt. „In diesem Schutzraum können bis zu 1.700 Leute untergebracht | |
werden, aber wir versorgen jetzt nur 1.100 Evakuierte“, sagt Danny Sledge | |
von der Sozialbehörde in Louisiana. Neuankömmlinge werden trotzdem nicht | |
aufgenommen: „Hier kommt niemand rein, der mit dem eigenen Auto anfährt. | |
Dieses Zentrum ist strikt und ausschließlich für diejenigen, die sich nicht | |
aus eigener Kraft aus dem Evakuierungsgebiet retten konnten und mit Bussen | |
herausgebracht werden mußten.“ | |
Wer in den USA nicht einmal im Angesicht einer drohenden Katastrophe noch | |
Platz in einem Privatauto findet, gehört meist zu den Ärmsten der Armen. | |
Die waren es auch, die vor drei Jahren nach dem Hurrikan „Katrina“ hilflos | |
im Superdome von New Orleans festsaßen. Die Fernsehaufnahmen der leidenden | |
Menschen lösten damals Fassungslosigkeit in der ganzen Welt aus – und die | |
Frage, was eigentlich in einer Gesellschaft los ist, die ihre schwächsten | |
Mitglieder achselzuckend ihrem Schicksal überläßt. | |
Diese Frage wurde nicht nur im Ausland gestellt, sondern auch innerhalb der | |
Vereinigten Staaten. Nichts – außer vielleicht dem Irak-Krieg – hat dem | |
Ansehen von US-Präsident George W. Bush auch nur annähernd so sehr | |
geschadet wie die Unfähigkeit der Administration, angemessen auf eine | |
Notlage zu reagieren. | |
Das soll nicht noch einmal passieren, und solche Bilder will hier niemand | |
je wieder sehen. Es ist vorgesorgt worden. Die Behörden haben eine | |
logistische Meisterleistung vollbracht. Beinahe zwei Millionen Menschen | |
haben die Küstenregion von Louisiana innerhalb weniger Stunden verlassen, | |
allein 23.000 wurden in Bussen evakuiert. Die sitzen jetzt in Unterkünften | |
wie der in der nördlich gelegenen Kleinstadt Monroe, die Denny Sledge | |
leitet. | |
Die Stimmung dort ist ruhig und beherrscht. „Das ist ganz gut organisiert | |
hier“, meint Mark Champagne. Der 47jährige ist gelernter Schweisser und | |
glaubt, dass man sein Schicksal auf sich zukommen lassen muss: „Ich lege | |
jetzt alles in Gottes Hand.“ Eine alte Frau, die unweit von ihm auf einem | |
Feldbett liegt, nickt. Aber Gottvertrauen alleine kann ihr die Sorgen nicht | |
ganz nehmen: „Ich habe Angst um meine Tochter.“ | |
Eigentlich hatte die Tochter versprochen, schnell nachzukommen. Sie wollte | |
einen späteren Bus für die Evakuierung nehmen, bisher ist sie jedoch nicht | |
eingetroffen. Und die Informationen über die Außenwelt fließen nur | |
spärlich: Fernseher gibt es nicht in diesem ehemaligen Bürogebäude einer | |
Versicherungsgesellschaft, und die Akkus der meisten Handys sind inzwischen | |
leer. Man kann auch nicht einfach schnell mal um die Ecke gehen und fragen, | |
wie eigentlich die Lage an der Küste ist. Das nächste Geschäft und die | |
nächste Kneipe sind kilometerweit entfernt. | |
Zufall? Jedenfalls wird hier streng auf Sicherheit geachtet. Wer für eine | |
Zigarettenpause ins Freie gegangen ist, muß sich bei der Rückkehr ins | |
Gebäude von einem Metalldetektor abtasten lassen. Bloß keine Messer. Oder | |
Schnapsflaschen. Am Eingang sitzen Soldaten im Tarnanzug. Sie halten | |
Gewehre zwischen ihren Knien. „Wir brauchen einfach Verstärkung“, begründ… | |
der Polizist Mark Dennis die Anwesenheit der Armee. „Mehr steckt da nicht | |
dahinter.“ | |
Die 76jährige Katherine Conley macht den Eindruck, als seien ihr diese | |
Begleitumstände ihrer Misere ziemlich gleichgültig. Sie leidet unter | |
schwerer Arthritis, eine Hüfte ist kaputt, die Busfahrt war fast | |
unerträglich anstrengend – und die Tochter ist nicht da. Die 20jährige | |
Enkelin Angelina hat sie begleitet, immerhin. Aber die weiß natürlich auch | |
nicht, wo ihre Mutter steckt. | |
Die meisten Evakuierten hier in Monroe kommen aus einer Region südlich von | |
New Orleans. Fast alle haben schon beim Hurrikan „Katrina“ viele ihrer | |
Habseligkeiten verloen, aber so besonders kostbar waren diese | |
Habseligkeiten nicht. „Ein paar Kleider“ seien weg gewesen, sagt Mark | |
Champagne. „Essensvorräte“, antwortet Katherine Conley auf die | |
entsprechende Frage. So etwas läßt sich ersetzen, sogar mit öffentlichen | |
Mitteln. Aber wo ist die Tochter? | |
Im Evakuierungszentrum in Monroe präsentiert sich die gesellschaftliche und | |
soziale Wirklichkeit der USA. Man müßte dafür nicht einmal mit jemandem | |
reden. Etwa ein Drittel der Bevölkerung in Louisiana ist schwarz. In diesem | |
Schutzgebäude sind es – vorsichtig geschätzt – 80 Prozent. Um keine | |
Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die Evakuierten sind schwarz. Die | |
leitenden Angestellten und die Soldaten sind weiß. | |
„Oh, werden Sie über Präsident Obama berichten?“ fragt Katherine Conley. | |
Nicht etwa: über den Kandidaten. Sondern: über den Präsidenten. „Ich bin | |
beunruhigt wegen des Parteitages der Republikaner“, sagt ein Polizist. | |
„Obama hat so viele Punkte gesammelt während des Parteitags der Demokraten. | |
Was, wenn McCain diese Chance jetzt nicht hat?“ Beide Äußerungen kommen | |
spontan, nicht als Ergebnis von Fragen. Der Polizist ist weiß, Katherine | |
Conley ist schwarz. Manchmal bestätigt eine Recherche alles, was man vorher | |
schon vermutete. | |
Es sind allerdings nicht nur die Armen, die Angst haben vor dem Hurrikan. | |
Der Ausnahmezustand ist in ganz Louisiana ausgerufen worden – und was das | |
bedeutet, weiß man nur, wenn man duch den Staat fährt. Louisiana: das ist | |
ein Gebiet von knapp 135.000 Quadratkilometern. Deutlich mehr als dreimal | |
so groß wie die Schweiz. Und auch, wenn die Außenwelt nur auf New Orleans | |
starrt: die Bevölkerung in anderen Regionen hat reale, wenngleich nicht | |
vergleichbar große Sorgen. | |
„Wir alle versorgen uns jetzt mit Wasser und Batterien“, sagt Ragnie Boley. | |
Sie arbeitet in einer Tierhandlung in Sibley im Norden Louisianas. „Morgen, | |
spätestens übermorgen kommt der Sturm zu uns. Dann haben wir keinen Strom | |
mehr.“ Keinen Strom mehr? Das kann tödlich sein. Im lokalen Radio werden | |
Kranke, die auf Strom angewiesen sind, dazu aufgefordert, Louisina zu | |
verlassen und Zuflucht in einem Nachbarstaat zu suchen. Wäre Vergleichbares | |
in der Schweiz vorstellbar? | |
Ragnie Boley schaut nicht aufs große Ganze, sondern aufs Detail. Für 33 | |
Haustiere von Evakuierten, überwiegend Hunde und Katzen, hat sie die | |
Verantwortung übernehmen. Zwölf bis 18 Dollar pro Tag verlangt sie von den | |
Tiefreunden dafür, dass sie sich um ihre Vierbeiner keine Sorgten mehr | |
machen müssen. | |
Keine Sorgen? Die Fahrt nach Alexandria im Zentrum von Louisiana ist | |
ungemütlich. Schwerer Regen, regelmäßige Warnungen vor Tornados als | |
unerfreulicher Begleiterscheinung des Hurrikans. Eine Tote, erschlagen von | |
einem herabgefallenen Ast, wäre in dieser Region derzeit keine große | |
Nachricht. | |
Man kann sich an Klimakatastrophen offenbar gewöhnen. Die drei Rentnerinnen | |
aus einem Vorort von New Orleans, die bei „John´s Big Steak“ in Rayville zu | |
Abend essen, wirken nicht ängstlich, nicht einmal besonders beunruhigt. Nur | |
genervt. „Was das hier kostet!“ sagt eine von ihnen. „Wir fahren zurück, | |
sobald der Strom wieder da ist.“ Vorher habe es keinen Sinn, weil ja nicht | |
einmal Handys geladen werden könnten. Danach müsse man sich allerdings | |
beeilen, wenn sich die Heimkehr überhaupt lohnen solle: „Vor dem nächsten | |
Hurrikan wird ja schon gewarnt.“ Stimmt. „Hanna“ kommt. | |
2 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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