# taz.de -- Keine Zeit für Sinnfragen: Kniebeugen für Buddha | |
> Zen-Buddhismus für Eilige: Ein "Temple Stay" im Land der Morgenstille | |
> bedeutet knallhartes koreanisches Klosterleben. Meditation, das ist hier | |
> erst mal Schmerz in Knie und Oberschenkel | |
Bild: Die Glatze der Buddhistenmönche wird alle sieben Tage rasiert | |
Der von diffusem Kerzenlicht erhellte Tempel verschwimmt vor den Augen. Die | |
Haare hängen ins Gesicht, in den Ohren dröhnt es. Das Universum besteht aus | |
der Matte, dem Gong und mir. Hinwerfen, Hände und Stirn auf den Boden | |
senken, den linken Fuß über den rechten legen, in einer fließenden Bewegung | |
zurück in die Senkrechte federn (unterwegs mit den Knien abstützen gilt | |
nicht), Hände falten, verbeugen, wieder runter. 108 Kniefälle, einer für | |
jede Sünde. Irgendwo in den 70ern verzähle ich mich. Aber darauf kommt es | |
nun nicht mehr an. Nur nicht nachdenken, wie lange das noch geht. Sondern | |
hoffen: dass ich auch wirklich so viele Sünden begangen habe. | |
Und das alles für einen Gott, der nicht mal meiner ist. Schuld ist der | |
durchtriebene Bo Moon Seunim, der mühelos zu Boden federt, während Charggun | |
Chugbi mit dem Gong unbarmherzig den Takt vorgibt. "108 Kniefälle schaffen | |
schon Kinder recht gut", hatte Bo Moon Seunim erklärt, der sich um die | |
westlichen Besucher im Kloster Silleuksa kümmert. Richtig ernst werde es | |
erst bei 3.000 Verbeugungen, für die Mönche sieben Stunden bräuchten, Laien | |
um die zehn. Wer wollte das auf sich sitzen lassen? Also weiter: Gier, Wut | |
und Torheit mit Muskelkraft und nötigenfalls auch dem allerletzten Atemzug | |
aus dem Herzen vertreiben. | |
Die Quittung für diese Hybris folgt auf dem Fuß. Als uns um halb vier der | |
markerschütternde Gong weckt - nach einem Abendessen, bei dem nichts übrig | |
bleiben durfte, die vier Schüsseln mit eingelegtem Kohl ausgewischt und am | |
Schluss gar das Spülwasser getrunken werden musste, nach gemeinsamem | |
Lampionbasteln und wenigen Stunden Nachtschlaf auf blankem Boden -, können | |
wir kaum aufstehen. Muskelkater? Dies müssen Muskelrisse sein. In Knie und | |
Oberschenkel brennt Schmerz. | |
Es bleibt wenig Zeit, darüber nachzudenken. Wir müssen raus in die kühle | |
Herbstnacht. Schnell in die klösterliche Kluft - graue Dreiteiler mit der | |
Passform von Ein-Mann-Zelten. Hände vor dem Bauch falten, wie hier | |
gewünscht wird, und in die Finsternis taumeln. Erst mal geht es in den | |
Tempel, die verdammten Kniebeugen machen. Die schafft heute morgen keiner. | |
Schwierig genug, die zitternden Beine zum Schneidersitz zu falten. | |
In der 1678 errichteten Gebetshalle ist es fast dunkel. Hinter einer | |
Glasscheibe ruhen 250 Buddha-Statuen. Um wach zu bleiben, zähle ich sie | |
zweimal. Die letzten Mönche schlurfen herbei. Zwei Tage dauert der | |
Aufenthalt im Kloster. Gefühlte Zeit: mindestens vier. Nichts ist mit | |
Entspannung und Einkehr in einer behaglichen Zelle im Land der | |
Morgenstille, dazu ein wenig Muße und Meditation. Das hier ist knallhartes | |
Klosterleben. | |
25 Prozent der Südkoreaner sind Buddhisten - etwa ebenso viele wie | |
Christen. Die andere Hälfte der Bevölkerung hängt Schamanismus und | |
Konfuzianismus an. Seit 2004 stehen 43 Klöster des Jogye-Ordens auch | |
Touristen offen. Nicht jeder Tempel eignet sich für Besucher. In einigen | |
wird nicht unter zehn Stunden am Tag meditiert; in manchen länger. Das ist | |
nichts für Ungeübte. | |
Wir entzünden die Lampions, an die wir gestern liebevoll ein paar hundert | |
pinkfarbene runde Blätter Krepppapier geklebt haben. Im schummrigen Licht | |
des Tempels gleichen sie großen runden Lotusblüten. Seit jeher werden | |
solche Lampen Buddha als Gaben dargebracht: als gebastelte Metapher für das | |
Licht und die Wahrheit seiner Lehre. Unten hängt ein Zettel, auf dem wir | |
unsere Wünsche notiert haben. Bo Moon Seunim geht voran in die | |
stockfinstere Nacht. Er singt und schlägt die Trommel, wir stolpern an | |
schemenhaften Buddha-Statuen vorbei, erklimmen Treppen und Hügel, laufen um | |
Pagoden und versuchen, nicht aufs Gesicht zu fallen. Wir singen auch: | |
Seogga monibul. Oder so. Mit diesem Mantra rufen wir Buddha, dem wir die | |
Lampions widmen und unsere Wünsche vorlegen. | |
Normalerweise erfolgen diese Exerzitien zu Buddhas Geburtstag am achten Tag | |
des vierten Mondmonats, hatte Bo Moon Seunim erklärt. Der Vollständigkeit | |
halber werden sie aber auch im Rahmen unserer Zwei-Tages-Erfahrung | |
vermittelt. Über dem Fluss Namhan-gang färbt sich der Himmel gräulich. Am | |
jenseitigen Ufer tauchen die Umrisse von Gebäuden aus der Dunkelheit auf. | |
Bestimmt Hotels, in denen Kaffeemaschinen gurgeln. Nach 45 Minuten Stolpern | |
und Singen sind wir zurück am Tempel. Mit klammen Händen befestigen wir die | |
Lampions über dem Eingang. Zeit für eine Viertelstunde Meditation. Mit | |
geradem Rücken, mahnt Bo Moon Seunim. Dass keiner einschläft. Anschließend | |
dehnen wir, was vom Bewegungsapparat übrig ist. | |
Das Frühstück soll Trost spenden und neue Kraft: mit Tee, Reisbrei, rohem | |
Gemüse, Sojapaste und dem unvermeidlichen Kim Chi. Fleisch ist natürlich | |
kein Thema, da der Buddhismus jedem Lebewesen mit gleichem Respekt | |
begegnet. Dazu gehört, einander nicht zu essen. | |
Zu diesem Zeitpunkt sind einige der westlichen Gäste schon ein wenig | |
angeschlagen von den kulinarischen Gepflogenheiten Koreas. Kim Chi morgens, | |
mittags, abends. Immer liegt so ein Häufchen eingelegten Kohls an roter | |
Peperonipaste vor einem. Dann die tägliche Einnahme des koreanischen | |
Nationalgerichts: mariniertes Rindfleisch mit Sojapaste in ein Kohlblatt | |
gerollt, dazu Reis. Und - natürlich - auch dabei diverse Teller mit Kim Chi | |
in unterschiedlichen Ausprägungen. Im Kloster läuft schon gar nichts mit | |
dampfendem Kaffee. Vom Vorabend wissen wir: Wer gierig isst, wird als | |
Riesenfisch wiedergeboren, der niemals satt wird. Übrig bleiben darf aber | |
auch nichts. Schweigen ist Pflicht. Ohne Schuhe sitzen wir auf dem Boden | |
vor einem niedrigen Tisch. | |
Das meiste Leid verursacht Gier, erfahren wir. Und auch Dummheit und Wut | |
vergiften das Herz. Ein giftiges Herz aber macht nicht nur unglücklich, | |
sondern auch krank. Das erscheint einleuchtend. Bo Moon Seunim weiß Rat. Er | |
teilt Reisigbesen aus. Arbeit für die Gemeinschaft vertreibe Leid, erklärt | |
er und legt los wie aufgezogen. Wir kehren hinter ihm her, derweil eine | |
milde Brise Blätter vom alten Baumbestand des Klosters auf die Sandwege | |
rieseln lässt - und das zur Seite gefegte Laub bald zurückträgt. Doch es | |
ist nicht die Zeit für Sinnfragen. Links, rechts, hin und her. Immerhin, | |
die Arme taugen noch. Wir kehren bis zum Eingang des Klosters. Dann sollen | |
unsere Herzen freier sein von Leid. Allein, die Laster, sie sind noch da. | |
Wir dürfen die Besen ablegen. "One deep bow per three steps", verfügt der | |
Mönch. Die drei Schritte symbolisierten die drei Laster, dann werfe man den | |
Körper weg - zu Boden nämlich - und bete. Bis alle Laster abgeschüttelt | |
sind und der Mensch Erleuchtung erfährt, ist es ein langer und steiniger | |
Weg. Uns werden schon die 400 Meter zum Tempel weit. Drei Schritte mit | |
halben Verbeugungen - gut und schön. Doch der Kniefall auf den Boden | |
bedeutet beim Ausmaß dieses Muskelkaters nichts Geringeres, als den Körper | |
tatsächlich wegzuwerfen wie ein gebrauchtes Taschentuch. Kontrolle über die | |
Beinarbeit ist nur noch im Ansatz vorhanden, einige erreichen den | |
Gästetrakt annähernd auf allen Vieren. | |
Zum Abschluss serviert Bo Moon Seunim Tee. Das ist nicht so einfach, wie es | |
klingt. Mit beiden Händen nehmen wir den Tee entgegen. Vier Finger der | |
linken Hand stützen die Tasse, die mit der rechten gehalten wird. Wir | |
sollen nachdenken über das Zusammentreffen von Wasser und Teeblättern und | |
eins werden miteinander und mit der Umgebung. Selbstredend sitzen wir mit | |
untergeschlagenen Beinen auf dem Boden. Der Schmerz in Rücken, Hüften, | |
Beinen ist schon vertraut. Dann dürfen wir aufstehen und unsere grauen | |
Gewänder ablegen. | |
Wir sind keine Klosterbewohner mehr. Wir dürfen an Kaffee und Kino denken, | |
an Internet und Alkohol. Wir treten hinaus in die Sonne. Dort wartet der | |
Bus, der uns in den Zwölf-Millionen-Moloch Seoul zurückbringt: eine Welt | |
aus symmetrischen Hochhauskolonien und kühn geschwungenen Stadtautobahnen, | |
wie sie weiter weg vom Klosterleben nicht sein könnte. Mit zitternden | |
Oberschenkeln ziehen wir uns in den Bus. | |
14 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Stefanie Bisping | |
## TAGS | |
Reiseland Südkorea | |
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