# taz.de -- "Heiliger Krieg" im Cyberspace: "Kinder werden mit Comics gelockt" | |
> Tausendfach ist die Zahl militant-islamistischer Webpages. Auch jungen | |
> deutschen Muslimen dienen sie als Einstieg in die Gedankenwelt des | |
> Djihad, warnt Terrorismus-Experte Berndt Georg Thamm. | |
Bild: Flog eine zeitlang durchs palästinensische Fernsehen: Die Djihad-Biene z… | |
taz: Herr Thamm, seit den Anschlägen 2001 werden die Onlineaktivitäten von | |
Islamisten genauestens beobachtet. Wie sah die Situation vor 9/11 aus? | |
Berndt Georg Thamm: Natürlich haben Islamisten vor 9/11 das Internet | |
genutzt, allerdings wurde das nicht so zur Kenntnis genommen, und sie waren | |
nicht in der Quantität vertreten wie heute. | |
Es gibt heute also mehr fundamentalistische Homepages? | |
Ja. 1998, bei den schlimmen Anschlägen der al-Qaida in Ostafrika auf die | |
US-Botschaften gab es lediglich zwölf Websites mit einem Djihadbezug. 2001 | |
waren es mehrere Dutzend, und 2005 wurden schon über 4.500 Websites | |
gezählt... | |
...Zahlen vom Simon-Wiesenthal-Zentrum... | |
...im letzten Herbst zählte man dann über 5.800 Websites, und in diesem | |
Jahr sind es schon weit über 6.000. Diese Zahlen zeigen, dass das Netz | |
genutzt wurde und genutzt wird, um das Gedankengut des „Heiligen Krieges“- | |
dem Djihad - zu globalisieren. | |
Wie haben sich die Inhalte geändert? | |
Diese sind den Erfordernissen des Djihad angepasst worden. Ursprünglich war | |
das Internet mehr ein Instrument der offenen und verdeckten Kommunikation, | |
um zielgruppenspezifische Botschaften zu verbreiten. Heute wird das Netz | |
für die Informationssammlung, Radikalisierung der Gesinnung und für die | |
Rekrutierung von Nachwuchs und deren Ausbildung, für die | |
Öffentlichkeitsarbeit, Propaganda, Spendensammlung, Netzwerkarbeit, | |
Mobilisierung und Planung von Operationen, so wie der psychologischen | |
Kriegsführung benutzt. Nicht zu vergessen, dass das Netz die Möglichkeit | |
bietet, sich als virtuelle Einheit darzustellen. Niemand muss sich mehr | |
allein fühlen. Für die Kämpferwerbung gibt es inzwischen auch Websites, die | |
auf Frauen, aber selbst auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten sind. | |
Wie schauen solche Seiten aus? | |
Kinder werden beispielsweise mit Comics gelockt, welche die Botschaften des | |
Hasses und des Märtyrertums verbreiten. Für Frauen gibt es Programme, die | |
aus streng Gläubigen radikale und weiterführend gewaltbereite Islamistinnen | |
machen wollen. Selbst die kleinste Gruppe wird über die Angebote Teil der | |
virtuellen Umma, einer weltweiten Gemeinschaft der "Heiligen Krieger". | |
Finden sich hier ausdrückliche Mordaufforderungen? | |
Explizit in der Regel nicht. Deswegen müssen wir lernen, Formulierungen der | |
anderen zu hinterfragen, uns in deren Gedankenwelt einfinden und die für | |
unsere Bedürfnisse übersetzen. | |
Die Formulierungen der Anderen? | |
Unser djihad-terroristisches Gegenüber hat ein anderes Weltbild und damit | |
auch eine andere Erklärung des Weltgeschehens, die viel religiöser ist. | |
Wenn wir hier im Westen von Selbstmordattentätern sprechen, ist das nicht | |
gleich zu setzen mit dem, was die Gegenseite, die militant-islamistische, | |
als Märtyrer bezeichnet. Aus Sicht der Betroffenen der Terroranschläge, | |
insbesondere der USA, war der 11. September eine Kriegserklärung. Aus Sicht | |
der Anderen, die sie begangen haben, war 9/11 eine Schlacht unter vielen. | |
Die religiösen Djihad-Terroristen teilen bis heute ihre Feinde nicht nach | |
politischen sondern nach religiösen Gesichtspunkten ein - in die Welt der | |
Rechtgläubigen und der Ungläubigen. Und ihren „Heiligen Krieg“ kämpfen s… | |
ohne Wenn und Aber gegen den internationalen Unglauben. Der islamistische | |
Terrorismus ist heute virulenter denn je - auch online - und bedroht die | |
Völkergemeinschaft, ob in West oder Ost, strategisch und langfristig. | |
Entgegen ihrer These wurde im Rahmen einer Studie von Radio Free Europe | |
kürzlich festgestellt, dass es einzelne Homepages sind, von einigen wenigen | |
dilettantisch betrieben, die mit brachialen Videos Aufsehen erregen. Also | |
ist der sogenannte Cyberdjihad nicht eher auf dem Rückmarsch? | |
Wir dürfen jetzt eins nicht machen: die Potenz des Cyberdjihad mit der | |
Potenz des realen Djihad-Terrorismus vergleichen. Das Netz stellt nur ein | |
Mittel zum Zweck für engagierte Fundamentalisten weltweit dar. Es ist eine | |
Waffe unter mehreren. Deutlich wird dies am Beispiel der al -Qaida - die in | |
der zweiten Hälfte der 90er Jahre ihren Höhepunkt hatte. Die tauchten mit | |
Beginn der Operation „Enduring Freedom“ 2001/2002 ab und danach virtuell | |
wieder im Netz auf. Aber daneben gibt es wieder eine nun reanimierte | |
Militärorganisation, die nicht mehr so kopfstark ist, aber noch hoch | |
einflussreich - völlig unabhängig von der Nutzung des Netzes. Deswegen | |
können wir nicht davon ausgehen, wenn ein Medium nicht mehr allzu stark | |
genutzt wird, das damit auch der Niedergang der ganzen Bewegung einhergeht. | |
Das wage ich zu bezweifeln. Es spricht sehr viel mehr dafür, dass wir es | |
heute mit einer globalen Bewegung zu tun haben, wo sehr viele nach eigenem | |
Gusto - es gibt ja kein Zentralkommando - arbeiten. | |
Wie schätzen Sie den Umfang der Homepages für den deutschsprachigen Raum | |
ein? | |
Die Anzahl hat auch hier zugenommen. Die Terrorgruppen haben in Europa auch | |
so etwas wie islamistische informelle Mitarbeiter, fundamentalistische IM. | |
Von der Sache dem Djihad-Gedankengut verpflichtete junge Leute, die per | |
Aktivitäten im Netz ihren Beitrag für das große finale Ziel, die Errichtung | |
des Kalifats ihren Beitrag leisten, ohne selbst real zu kämpfen. Als | |
bewaffneter Kampf, aber auch als ideologischer, also virtuell. Fanatiker | |
beobachten in Deutschland, was passiert: Wie ist die Befindlichkeit der | |
Bevölkerung, wie die Befindlichkeit der Parlamentarier, wie steht man | |
Einsätzen in der Welt des Islam gegenüber. Es sind ernst zu nehmende | |
Fundamentalisten, die nicht ihr eigenes Blut vergießen. Das überlassen sie | |
anderen. Aber sie predigen die Teilnahme am Djihad, bis hin zum | |
Märtyrertod, vornehmlich im Netz. Al-Qaida-Gründer Osama bin Laden hat | |
schon vor einem Jahrzehnt darauf hingewiesen, dass der "Heilige Krieg gegen | |
die Ungläubigen" in mehreren Varianten geführt wird - bewaffnet, aber auch | |
ideologisch, also virtuell. | |
Mitte Juli hat die deutschsprachige Seite "Globale Islamische Medienfront" | |
(GIMF) ihr Onlineportal wegen zu geringer Nachfrage eingestellt... | |
...dennoch muss ich vor monokausalen Schlussfolgerungen warnen. Das Netz | |
ist sehr wichtig, immens wichtig, was die Globalisierung des Djihad mit all | |
seinen Seitenzweigen und seinen Nebenfeldern betrifft - als ein virtuelles | |
Mittel zum Zweck. Von schlecht gestalteten Seiten mit geringen | |
Zugriffszahlen darf man sich nicht täuschen lassen. Der „Heilige Krieg“ | |
wird nach wie vor ganz konkret geführt. Wir haben sehr lange den | |
Schwerpunkt unseres Interesses auf den bewaffneten Kampf gelegt, weil der | |
natürlich auch in den Medien viel präsenter war und ist - | |
Selbstmordanschläge, insbesondere schlimme Anschläge gegen zivile Ziele. | |
Über lange Zeit ist der ideologische Kampf unterschätzt worden, aber auch | |
ihn wird es noch über viele weitere Jahre geben – quantitativ und | |
qualitativ mit unterschiedlichen Schwerpunkten. | |
Wie wichtig sind fundamentalistische Seiten für die deutsche Muslime? | |
Junge, deutsche Muslime haben die Möglichkeit, sich im Crashkurs in eine | |
fremde Welt einzufinden. Es ist der Einstieg in die Gedankenwelt des | |
„Heiligen Krieges“, auf dem man sich vorbereiten und an dem man auch | |
teilnehmen kann. | |
Also können Muslime, die nicht dem islamistischem Spektrum angehören, durch | |
einschlägige Seiten einen ideologischen Ruck erhalten? | |
Da müsste schon einiges zusammen kommen; Erlebnisse, die tiefgreifend sind. | |
Und es muss schon vorher eine Art Bereitschaft von Gewalt vorhanden sein. | |
Aber einen Ruck kann es schon geben durch das Internet. Es ist doch eine | |
Art virtueller Reiseführer durch die Welt des Djihad. | |
Was bedeutet das für die Sicherheitslage in Deutschland? | |
Warten auf das „deadman walking“ in deutschen Städten. Warten auf den „B… | |
Bang“ | |
INTERVIEW: CIGDEM AKYOL | |
10 Sep 2008 | |
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