# taz.de -- Endlagerung in Schweden: Ein Atommüllkonzept mit Rissen | |
> Vor 30 Jahren galt in Schweden ein Atommüll-Endlager im Urgestein als | |
> sichere Lösung. Doch neue Forschungsergebnisse stellen das Konzept in | |
> Frage. | |
Bild: Igitt! | |
STOCKHOLM taz In den Tiefen der Ozeane versenken oder einfach ins Eis der | |
Antarktis packen. Angesehene ForscherInnen waren es, die vor vier | |
Jahrzehnten in Schweden beim dortigen Einstieg ins Zeitalter der | |
Atomenergie solche Vorschläge präsentierten, wie man den beim Betrieb von | |
Atomkraftwerken anfallenden radioaktiven Müll loswerden sollte. Wird in | |
einigen Jahren das jetzt offiziell verfolgte Endlagerkonzept als ähnlich | |
unwissenschaftlich und verantwortungslos bestaunt oder verurteilt werden | |
müssen, wie diese Lösungsvorschläge? | |
Das schwedische Konzept der Atommüllendlagerung baut darauf, abgebrannte | |
Brennelemente im Urgestein einzulagern. Um sie dann für immer vergessen zu | |
können. Es gilt weltweit bislang als eines der ausgereiftesten und | |
sichersten und wird ähnlich auch in Finnland, den USA und der Schweiz | |
verfolgt. Doch parallel mit dem Versinken der deutschen Atommülllagerpläne | |
in der Salzlauge der Asse zeigt nun auch das Urgesteinkonzept immer tiefere | |
Risse. | |
Dass das "bombensichere" Urgestein nur wenige Jahre nach der Idee mit dem | |
Antarktis-Atomklo schnell zur Patentlösung aufsteigen konnte, war der | |
Politik geschuldet. Stockholm drohte nämlich den Atomkraftwerken die | |
Betriebsgenehmigung zu verweigern, sollten Vattenfall & Co. nicht zumindest | |
ein grundsätzliches Konzept für den Umgang mit dem anfallenden Atommüll | |
vorlegen können. | |
Binnen zwei Jahren entwickelten die Atomstromproduzenten die Skizze für ein | |
Endlagermodell, das 1983 als KBS-3 präzisiert bis heute noch gilt: Den | |
Strahlenmüll in fünf Meter lange Kupferrohre einkapseln, diese in Stollen, | |
die in einer Tiefe von 400 bis 500 Meter in den Berggrund gebohrt werden, | |
einlagern und alles mit Tonerde verfüllen. Das sei sicher, hieß es. Denn im | |
schwedischen Urgestein finde man nur Risse und Hohlräume, die bereits älter | |
als 1,6 Milliarden Jahre seien. Was sich so lange als stabil erwiesen habe, | |
werde auch die nächsten 100.000 Jahre überstehen. | |
Überhört wurden die Warnungen von Geologen, die das Urgestein als gar nicht | |
so stabil einschätzten und meinten, wer Vorhersagen für die nächsten 1.000 | |
Jahre abgebe, sei ein Scharlatan. Doch Svensk Kärnbränslehantering (SKB), | |
die Firma für die Umsetzung des Endlagerkonzepts, steht im Eigentum der | |
AKW-Betreiber, und die hatten natürlich kein Interesse daran, dass ihre | |
Pläne infrage gestellt werden oder dass durch die Suche nach einem neuen | |
Konzept das Vorhaben noch teurer wird. | |
Schließlich akzeptierte die schwedische Regierung ja auch die KBS-3-Lösung, | |
und die Branche hatte damit erst einmal wieder Zeit gewonnen. In den | |
folgenden Jahren drehte sich die Debatte dann auch nicht mehr so sehr um | |
das Wie, sondern um die Suche nach einer konkret geeigneten Endlagerstätte. | |
Bis zum Jahr 2009 sollte die Standortfrage eigentlich geklärt werden. Nach | |
der bisherigen Planung will man auch mit dem Bau eines Endlagers in zehn | |
Jahren fertig sein. Doch nun ist die Debatte um das Endlagerkonzept wieder | |
voll entbrannt. | |
"Den Glauben an die sichere Urgesteinbarriere gab es tatsächlich mal", sagt | |
Nils-Axel Mörner, emeritierter Professor für Paleogeophysik und Geodynamik | |
an der Universität Stockholm: "Doch das Wissen, das man vor 30 Jahren zu | |
haben glaubte, hat sich als völlig fehlerhaft erwiesen. Und der Glaube | |
musste der Erkenntnis weichen: Dieses Gestein bietet keine sichere | |
Barriere." | |
Auf dem Internationalen Geologie Kongress (IGC), der im vergangenen Monat | |
in Oslo stattfand, waren die Forschungsergebnisse der letzten Jahre auf | |
verschiedenen Veranstaltungen von den ExpertInnen diskutiert worden. Das | |
Fazit sei eindeutig, sagt Mörner: "Es gibt keinen stabilen Urberg, sondern | |
nur dynamisches Gestein, in dem viele unterschiedliche Prozesse ablaufen | |
und das in keinster Weise eine langfristig sichere Endlagerung nach der | |
KBS-3-Methode zulässt." | |
Man hat im schwedischen Urberg Risse und Verwerfungen gefunden, die erst | |
nach der letzten Eiszeit, also innerhalb der letzten 10.000 Jahre | |
entstanden sind. Die Spur von mindestens 58 Erdbeben bis zur Stärke 8 auf | |
der Richterskala seither und zumindest eines Tsunamis mit 20 Meter hohen | |
Wellen. Alles Entdeckungen, aufgrund derer man in Zusammenhang mit | |
wasserführenden Spalten, die man in der Tiefe der geplanten Lagerstätten | |
gefunden hat, befürchten muss, dass Grund- und Oberflächenwasser viel | |
früher und leichter in das Endlager eindringen kann, als bislang | |
angenommen. | |
Und die neueste Warnung gilt Methangasexplosionen. Bei der letzten Eiszeit | |
bildeten sich in unterirdischen Hohlräumen Lager aus Methaneis, das mit | |
steigenden Temperaturen in gasförmigen Zustand übergehen und schlagartig | |
explodieren kann. Als "geologische Unverschämtheit" bezeichnet Mörner die | |
Weigerung der KBS-3-Verteidiger, sich mit solchen Gefahren | |
auseinanderzusetzen. | |
Es gibt Alternativmodelle: Zum einen ein Konzept, dass die | |
Urgesteinlagerung als vorübergehendes und versuchsweises Modell akzeptiert, | |
aber eine Rückholmöglichkeit offen halten will, für den Fall | |
unvorhergesehener Gefahren oder der Entwicklung einer mehr avancierten | |
Technik. Es gibt auch den Vorschlag, den Atommüll in drei bis fünf | |
Kilometer tiefen Bohrlöchern zu verwahren. | |
12 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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