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# taz.de -- die wahrheit: Eintopf und Trainingshose
> Bayern im Jahre 1 nach Stoiber. Ein Stimmungsbericht vor der
> Landtagswahl.
Bild: Ein Bild aus besseren Tagen: Erwin Huber und Günther Beckstein feiern ei…
Die Fahrt mit der Tram der Linie 19 zeigt alles, was München heute noch zu
bieten hat: Der Blick aus dem schrottreifen Wagen der quietschenden
Straßenbahn (Baujahr 1961) fällt auf vergammelte Parkhäuser, bröckelnde
Fassaden, eingeschlagene Scheiben. Die Luxusgeschäfte in der
Maximilianstraße sind längst geschlossen und mit Brettern verrammelt,
mittlerweile hat sich schon die erste Aldi-Filiale in der einstigen
Flaniermeile breitgemacht. Lidl & Co. wollen folgen.
Wo noch vor Jahresfrist die oberen Zehntausend ihre Einkäufe bei Gucci,
Hermès oder Prada tätigten, schlurfen heute schlecht gekleidete Sozialfälle
durch die mit Kartons vollgestopften Gänge der Billigdiscounter. Was ist
bloß aus der properen bayerischen Landeshauptstadt geworden, fragen sich
die wenigen verbliebenen zahlungskräftigen Kunden. Samir al-Fukrid,
Shopping-Guide für die vielen betuchten Scheichs, die einst im Sommer
München bevölkerten, bringt die Enttäuschung der Gäste aus dem arabischen
Raum auf den Punkt: "Früher war München das Lieblings-Shoppingparadies für
die Kundschaft aus dem Nahen Osten - sauber, sicher, luxuriös. Heute
verlassen sie nach wenigen Schritten angewidert die vermüllten Straßen und
besteigen umgehend den Privatjet Richtung Dubai."
Doch der dramatische Absturz ist nicht auf die Landeshauptstadt München
beschränkt - ganz Bayern liegt am Boden. Der Ministerpräsident Günther
Beckstein und der CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber haben das einst so
stolze Premium-Bundesland in kürzester Zeit heruntergewirtschaftet. Hatte
der ehrgeizzerfressene Edmund Stoiber in seiner Herrschaftszeit die
bayerischen Belange praktisch im Alleingang im Bund durchzusetzen gewusst,
ist unter seinen glücklosen Nachfolgern nur noch Heulen und Zähneklappern
im Freistaat angesagt. Alarmierend: Beckstein propagiert mittlerweile schon
wieder die Einführung eines Eintopfsonntags als Hilfsmaßnahme für die
verarmte Bevölkerung.
Derweil halten sich die Bürger gerade so über Wasser: Man kann ehemalige
Topmodels beobachten, die mit Reisigbesen die breiten Trottoirs fegen,
frühere Spitzenmanager der Siemens AG versuchen sich in der Fußgängerzone
als Losverkäufer, der geschasste Finanzvorstand der Bayern LB fristet als
Spielothek-Betreiber im Bahnhofsviertel ein kümmerliches Dasein. Immerhin
nennt er einen nagelneuen Freizeitanzug von Norma sein eigen. Sie alle sind
in der neuen bayerischen Realität angekommen - statt Laptop und Lederhose
ist jetzt Eintopf und Trainingshose angesagt.
Die Zeichen des Zerfalls haben mittlerweile auch die staatlichen Organe
erfasst: überall in Bayern kann man am Straßenrand liegengebliebene
Polizeifahrzeuge entdecken, denen der Sprit ausgegangen ist. Polizisten
müssen stundenlang mit Reservekanister zur nächsten Tanke tippeln, anstatt
sich um die Verbrechensbekämpfung zu kümmern. Sieht so innere Sicherheit
aus?
Auch den früher so ruhmreichen FC Bayern München hat es voll erwischt.
Trotz großer Pläne ist der einstige FC Hollywood heute in der Bundesliga
auf einen stark abstiegsgefährdeten Platz in der Tabelle abgerutscht. Und
der mit so vielen Vorschusslorbeeren verpflichtete Trainer Jürgen Klinsmann
ist bereits wieder Geschichte. Für ihn soll der alte griechische
Feuerwehrmann Otto Rehhagel den Verein vor der Zweitklassigkeit retten.
Hegte man in Bayern noch vor kurzem großspurige Transrapid-Pläne, ist man
heute schon froh, wenn die S-Bahn wenigstens einmal in der Stunde fährt.
Auch der einst mächtige Finanz- und Wirtschaftsstandort Bayern ist von
rapider Erosion bedroht: Finanzdilettanten der Bayerischen Landesbank
verzockten Milliarden im amerikanischem Immobilienmarkt, das einstige
Vorzeigeunternehmen Siemens wird von einem Korruptionsskandal gigantischen
Ausmaßes geschüttelt, BMW kündigt Massenentlassungen an und will in Zukunft
seine Produktpalette um Fahrradanhänger und Leiterwagen erweitern.
Dass der soziale Abstieg, der Niedergang eines so reichen Bundeslandes
nicht ohne Spuren an der einst allmächtigen CSU abgehen kann, versteht sich
da fast von selbst. Die Partei kämpft mittlerweile ebenso ums politische
Überleben wie ihr unfähiges Führungspersonal. Die Meinungsumfragen für die
kommende Landtagswahl zeigen die CSU mittlerweile konstant bei 24 Prozent -
das schlechteste Ergebnis seit Erfindung des Schuhplattlers.
Wie weit muss es mit der einst so selbstbewussten Partei gekommen sein,
wenn jetzt zerlumpte Mitglieder der Jungen Union vor der einzig
verbliebenen Luxusherberge Münchens, dem "Bayerischen Hof", herumlungern
und die Passanten um eine milde Gabe für ihre zerrüttete Partei angehen?
Götterdämmerung in Bayern - jetzt hat der mündige Bürger das Wort.
RÜDIGER KIND
13 Sep 2008
## AUTOREN
Rüdiger Kind
## TAGS
FC Bayern München
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