# taz.de -- Michael Hardt über USA und Finanzkrise: "Sargnagel für Großmacht… | |
> Der Kapitalismus steckt mit dem Bankencrash in der Krise. Bereits vor | |
> acht Jahren sprach der Sozialtheoretiker Hardt von der Neuverteilung der | |
> Macht. "Die Zeiten des nationalstaatlichen Imperialismus sind vorbei." | |
Bild: Großer Präsident auf großem Flugzeugträger: Bush 2003 auf der USS Abr… | |
## "Die Finanzkrise ist der letzte Sargnagel" | |
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taz: Herr Hardt, glaubt man Toni Negri und Ihnen, wird sich der | |
Kapitalismus durch innere Widersprüche selbst abschaffen. | |
Michael Hardt: Ja, da sind wir sehr getreue Anhänger von Marx. | |
Jetzt wütet eine weltweite Finanzkrise, die Vermögenswerte in | |
Milliardenhöhe vernichtet. Ist dies das Ende des Kapitalismus? | |
Es ist eine Krise, aber kein Kollaps. Zynisch könnte man sagen: Einige | |
verlieren, andere gewinnen Geld. Trotzdem ist diese Krise natürlich | |
gravierend. Sie zeigt, wohin sich der Kapitalismus entwickelt hat. Wir | |
leben in einer Gesellschaft, die von den Anteilseignern dominiert wird. | |
Marx hat diesen Zustand ironisch den "Sozialismus der Kapitalisten" | |
genannt. | |
Zumindest einige Kapitalisten werden gerade entmachtet. Die US-Regierung | |
beginnt, Banken zu verstaatlichen. | |
Aber die Regierung handelt im Sinne des Kapitals. Es sagt doch alles, wenn | |
nach jeder Rettungsaktion die Börsenkurse steigen. Im Übrigen ist die | |
Hypothekenkrise entstanden, weil die US-Regierung ein Deficit Spending | |
betrieben hat. Erst hat sie den klassischen Sozialstaat systematisch | |
zerstört. Und dann die Armen mit billigen Hypotheken ruhiggestellt. | |
Profitiert haben allein die Banken. Sie werden auch bei der nächsten Krise | |
gerettet werden, wenn die vielen Kreditkartenschulden der Armen platzen. | |
Sie sind weltberühmt geworden mit Ihrer These vom "Empire". Die | |
Nationalstaaten seien nur noch leere Hüllen; im globalisierten Kapitalismus | |
sei die Macht nicht mehr an einem Ort konzentriert, sondern "überall und | |
nirgends". Aber gerade die Finanzkrise zeigt doch, dass Regierungen sehr | |
energisch handeln können. | |
Wir haben nie gesagt, dass die Staaten völlig unbedeutend seien. Aber sie | |
allein können keine globale Machtstruktur errichten. Gerade die | |
militärische Niederlage im Irakkrieg belegt, dass die Zeiten des | |
nationalstaatlichen Imperialismus vorbei sind - trotz der Träume von Bush, | |
Cheney oder Rumsfeld. Die Finanzkrise ist der letzte Sargnagel für die | |
Großmachtfantasien der USA. | |
Zumindest der republikanische Kandidat McCain sieht das anders. | |
Der demokratische Kandidat Obama ist natürlich sympathischer als McCain. | |
Aber letztlich macht es kaum einen Unterschied, wer von den beiden regieren | |
wird. Die neue US-Regierung wird in jedem Fall eine Anti-Bush-Politik | |
verfolgen müssen. Den Iran, zum Beispiel, wird man nicht mehr angreifen | |
können. Die Kosten des Irakkriegs und nun die Finanzkrise setzen der | |
US-Politik sehr enge Grenzen. Der Glaube, dass die USA die Welt beherrschen | |
könnten, ist obsolet. | |
Die Revolution kommt also irgendwann von selbst? Oder braucht es doch ein | |
revolutionäres Subjekt, um den Kapitalismus zu überwinden? | |
Das ist kein Widerspruch, auch bei Marx nicht. Man muss die Gesellschaft | |
analysieren, um sie zu verändern. | |
Aber momentan fehlen die revolutionären Massen. Trotz Finanzkrise, | |
Klimawandel oder Nahrungsmittelknappheit gehen selbst auf den Sozialforen | |
die Teilnehmerzahlen zurück. In Malmö haben sich nicht mehr als 8.000 | |
Globalisierungskritiker versammelt. | |
Bewegungen funktionieren nicht nach der Logik: Je umfassender die Krise, | |
desto gewaltiger der Zulauf. Die französische Revolution hat auch nicht in | |
jenen Jahren stattgefunden, als der Hunger am größten war. | |
Sie vermuten ja das revolutionäre Potenzial bei der "Multitude", der bunten | |
Allianz verschiedener Bewegungen. Doch in Malmö empfanden viele Aktivisten | |
diese Zersplitterung als erschöpfend und unproduktiv. Man müsse sich auf | |
wenige Themen konzentrieren, um den Neoliberalismus erfolgreich zu | |
bekämpfen. | |
Ist die Erschöpfung wirklich so groß? | |
Ich glaube schon. | |
Meine erste Reaktion wäre: Die sozialen Bewegungen sollten nicht versuchen, | |
sich wieder ein einziges Programmziel zuzulegen, das von einer zentralen | |
Parteiführung beschlossen und von einigen wenigen Rednern transportiert | |
wird. | |
Das klingt ja, als würden sich die Globalisierungskritiker zu einer Art | |
kommunistischen Internationale entwickeln. | |
Von 2003 bis 2006 war die Bewegung sehr zentralisiert, und vielleicht war | |
es auch unumgänglich, sich nur noch auf den Irakkrieg und die | |
Anti-Bush-Kampagnen zu konzentrieren. Aber gleichzeitig ging der Spaß | |
verloren, die Freude am Experiment und an der Vielfalt. | |
Braucht eine Bewegung nicht einen klaren Gegner wie eben Bush? | |
Das war ein Rückschritt zu einer älteren Form des linken Aktivismus. Wieder | |
wurde von der falschen Prämisse ausgegangen, dass die USA noch die globale | |
Politik diktieren könnten. Dabei waren die Globalisierungskritiker zwischen | |
1999 und 2003 schon weiter und haben mit verschiedenen Gegnern | |
experimentiert: WTO, EU, G 8, IWF, Weltbank. Das war eine sehr intelligente | |
Form der Theoriebildung, wie die neue globale Struktur aussehen könnte: Die | |
Macht ist heutzutage auf Knoten in einem Netzwerk verteilt. | |
Und wie geht es weiter? | |
Jetzt beginnt ein neuer Zyklus des sozialen Widerstands, nachdem Bushs | |
Antiterrorkrieg gescheitert ist. Die Kreativität und die Lust an der | |
Vielfalt sind zurückgekehrt. Der Widerstand gegen den G-8-Gipfel in | |
Heiligendamm war da ein Anfang. | |
Aber waren die Aktionen in Heiligendamm denn mehr als ein folgenloses | |
Happening? | |
Diese Kritik kommt immer wieder: Wie kann man politisch erfolgreich sein, | |
wenn man nur eine Straßenparty feiert? Dabei wird übersehen, welche inneren | |
Widersprüche der Kapitalismus produziert. In unserem neuen Buch "Common | |
Wealth" haben wir versucht darzustellen, wie das Kapital versucht, sich | |
alle gemeinschaftlichen Kulturleistungen anzueignen. Das wird Widerstand | |
provozieren. In Bolivien haben die Armen gegen die Privatisierung des | |
Wassers gekämpft, in Argentinien haben die Arbeitslosen eigene | |
Gewerkschaften gegründet, in Paris haben die Jugendlichen in den Banlieues | |
gegen die sozialen Mechanismen der Exklusion revoltiert. Das sind die | |
Vorboten. | |
Ihr Optimismus hat die Leser schon immer fasziniert. | |
Ich mag das Wort "Optimist" nicht. Damit wird oft unterstellt, man sei ein | |
Spinner. Ich würde mich eher zuversichtlich nennen. | |
Wenn Sie beschreiben, wie der Kapitalismus automatisch sozialen Widerstand | |
hervorruft, konzentrieren Sie sich auf die demokratischen Aktivisten. Aber | |
es gibt doch auch viele Bewegungen von rechts, die als soziale Revolten | |
auftreten, den Rechtspopulismus in Europa etwa oder den Islamismus. | |
Natürlich wird immer wieder versucht, soziale Hierarchien zu etablieren. | |
Gegen diese Strömungen muss man angehen. Aber aus der Existenz | |
rassistischer Parteien darf man nicht schließen, dass wahre Demokratie | |
prinzipiell unmöglich sei, nur weil die Menschen angeblich zu schlecht | |
sind, um sich selbst zu regieren. | |
Den Kampf der sozialen Bewegungen beschreiben Sie recht sentimental. Am | |
Ende Ihres neuen Buches beschwören sie die "Liebe" und das "Leid" und die | |
"Tränen, die vergossen werden". Haben Sie keine Angst vor Kitsch? | |
Es ist erstaunlich, wie peinlich berührt viele reagieren, sobald Toni und | |
ich über Liebe reden. Aber uns geht es darum, nicht nur die politischen | |
Begriffe neu zu denken, sondern auch die politischen Gefühle. Der Kampf für | |
echte Demokratie hat mit Leidenschaften genauso viel zu tun wie mit | |
Vernunft. | |
22 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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