# taz.de -- Eine Schweizerin im Himmel: Vom Warten auf Zeichen und Wunder | |
> Ordensgründerin und Missionarin Maria Bernarda Bütler ist die erste | |
> Eidgenossin, die am Sonntag heiliggesprochen wird - und eine ganze | |
> Gemeinde ist im Aufruhr. | |
Bild: Sie wird gefeiert wie ein Popstar: Maria Bernarda Bütler auf einem undad… | |
Das Dorf Auw, mitten im Schweizer Kanton Aargau - Rosmarie Wicki-Bütler, | |
78, öffnet die Tür und lässt im Wohnzimmer Platz nehmen, will aber auf den | |
Junior warten. Als dieser kommt, springt man auf, will sich vorstellen, | |
bekommt stattdessen einen Balken in die Hand. Der soll die Decke halten, | |
des einzigen Zimmers im sanierten Bauernhaus, das wieder auf Alt renoviert | |
wird. | |
Es ist das Geburtszimmer einer Schweizer Bauerntochter mit Taufnamen | |
Verena, geboren 1848 als Maria Bernarda, 1924 gestorben. Sie ist die | |
Großtante von Rosmarie Wicki-Bütler und wird am Sonntag vom Papst | |
heiliggesprochen - als erste Dame im Kanon der Schweizer Heiligen. Deswegen | |
sind die Menschen in der Gemeinde Auw ganz aufgeregt und organisierten | |
gemeinsam mit der Kirchenpflege und Schwester Konzilia eine Pilgerreise | |
nach Rom und eine Feier im Ort. Das gesamte Dorf reist dieses Wochenende | |
nach Rom zur Heiligsprechung, um "ihre Heilige" zu würdigen. | |
Die Karriere von Maria Bernarda ist steil: erst 1924 gestorben, | |
Seligsprechungsprozess seit 1948, Mitte der Neunziger dann seliggesprochen | |
und bereits sieben Jahrzehnte nach ihrem Tod im Kanon der Heiligen. | |
Chapeau, ihre ausländischen Konkurrentinnen warteten im Schnitt weitaus | |
länger auf ihre Heiligsprechung. | |
Wer war Schwester Maria? | |
Die Nonne wurde in eine unruhige Zeit geboren, in der die Erinnerungen an | |
die jüngst ausgetragenen Glaubenskämpfe noch frisch waren. Hier katholisch, | |
jenseits der Kantonsgrenzen reformiert. Im Jahr 1888 reiste sie zuerst nach | |
Ecuador und von dort nach Kolumbien und missionierte leidenschaftlich. Sie | |
gründete die Kongregation der Franziskanischen Missionsschwestern von | |
Maria-Hilf, diese wiederum weitere Niederlassungen in zehn Ländern und drei | |
Kontinenten. Die Spezialgebiete der Mission: Kindererziehung und | |
Krankenpflege. Schließlich, so die Rhetorik auf einem Kirchen-Blog, begab | |
sich Bernarda in "arbeitsreiche Missionsgefilde". Ihre Notizen aus jener | |
Zeit lesen sich aus Perspektive der Ordensschwester wie ein Abenteuer - auf | |
der mehrwöchigen Reise nach Südamerika verletzt sie sich hoch zu Pferd das | |
Knie - oder als Drohung für die Dortigen: Denn von denen wusste man, dass | |
"Raub und Mord, Gottlosigkeit und Aberglaube drohen das Land dem Heidentum | |
auszuliefern". | |
Vorgesetzte und spirituelle Begleiter beschrieben Bernarda als wahre | |
"biblische Frau" mit ungeheurem Eifer und Liebe zu den Armen. Mindestens | |
zwei Wunder gehen auf das Konto von Maria Bernarda, erklärt der Pfarrer in | |
Auw, der extra für die Heiligsprechung seine Pensionierung um ein Jahr | |
verschob. Der Status deute sich bereits beim Begräbnis an - bei Bernardas | |
in Kolumbien kamen Tausende Gläubige zum letzten Geleit. | |
Der Seligsprechungsprozess wurde darauf eingeleitet, Bernardas Tugendleben | |
peinlich genau untersucht. Ein Kirchengesetz von 1588 definiert die | |
Kriterien zur Beförderung in den Heiligenstand: Übte sie die Tugenden - | |
Glaube, Hoffnung, Liebe sowie Wahrhaftigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit | |
- heroisch aus? Zeugen und Beweise verlangten die dafür eingesetzten | |
Consultoren, der Vatikan kontrollierte anschließend das Dossier. | |
Dann wartete man auf ein Wunder. "Ein himmlisches Wunder", wie der Pfarrer | |
nachdrücklich betont. Und so geschah es dann auch. | |
Das erste ereignete sich in einer Nacht im August 1967 in Kolumbien und | |
heilte Liliana Sanchez von einem - wie die Ärzte meinten - unheilbaren | |
Gehirntumor. Die Eltern sprachen dennoch für die kranke Liliana Fürbitten | |
auf Bernarda und legten ein Stoffstück ihres Kleides auf ihren Kopf. Am | |
nächsten Morgen waren sowohl Reliquie als auch Tumor weg. Und Maria | |
Bernarda konnte seliggesprochen werden. "Pfarrer Brunner, wie konnte das | |
passieren?" Der 76-Jährige zuckt verlegen mit den Achseln und erzählt eilig | |
vom zweiten, das erst vor sechs Jahren ebenfalls in Kolumbien geschah und | |
Bernarda endgültig als Heilige klassifiziert: Mirna Yazime Correa, 27, | |
kolumbianische Ärztin erkrankt an einem unheilbaren Lungenleiden. Die | |
Fürbitte an Bernarda sind den Eltern letzte Hoffnung. Und tatsächlich, | |
innerhalb weniger Wochen wird Mirna gesund. "Tatsächlich geschehen also | |
noch Wunder?" "Ja!", freut sich der Pfarrer und gesteht im selben Atemzug | |
seine Erleichterung, dass das zweite Wunder einer Ärztin passierte, das | |
spreche für die Glaubwürdigkeit. | |
Doch der Pfarrer braucht sich nicht zu sorgen, ein Gremium mit sieben | |
Ärzten erkannte an, dass die Kranke auf "wundersame Weise" gesundete. Rom | |
prüfte die Akten und bestätigte. Bis vor 1983 hätte ein Wunder für die | |
Heiligsprechung nicht genügt, Papst Johannes Paul II. aber reduzierte das | |
Soll von drei auf ein einziges. | |
Gespannt wird jetzt die Feier erwartet, im Wirtshaus Hirschen spricht man | |
bereits darüber. Dort sitzen Herr und Frau Kühne aus Baar zufrieden bei | |
einer Portion Pommes. Heute besuchen die beiden Pensionäre das Altersheim | |
in Auw, erzählt Frau Kühne stolz. Sie hat eine besondere Beziehung zu den | |
Maria-Hilf-Schwestern. Ja, die Seligsprechung 1995, "Jecker, war das | |
schön!", strahlt sie. Jetzt freut sie sich auf die Heiligsprechung, obwohl | |
sie bedauert, nicht nach Rom mitzufahren. Die ehemalige Wirtin, direkteste | |
Nachfahrin der bald Heiligen, setzt sich zu dem Paar. Ihr Mann erlitt einen | |
Schlaganfall und es ist unsicher, ob er mitkann. | |
Verglichen mit der südamerikanischen Euphorie ist die Aufregung in Auw | |
bescheiden. Im kolumbianischen Cartagena, wo Bernarda zeit ihres Lebens | |
wirkte und starb, werde sie wie ein Popstar gefeiert, erzählt Pfarrer | |
Brunner. Auch der Gemeindeschreiber ist beeindruckt. Die unsicherste | |
Variable für das Organisationskomitee sind dann auch die Nonnen, die aus | |
Cartagena anreisen werden. Mehr als 350 sollen kommen. So genau weiß man | |
das aber nicht. Nur, dass sie die Gelegenheit für eine kleine Europareise | |
nutzen: Neben Rom und Auw steht der Vorarlberg auf dem Programm, eine | |
weitere Filiale der Franziskaner-Mission von Bernarda. | |
Und zur Feier in Cartagena im November werden zwei Gemeindemitglieder von | |
Auw anreisen müssen - das werde wohl so erwartet, meint der | |
Gemeindeschreiber etwas verunsichert. | |
Er zieht ein paar Meter Papier mit einem Stammbaum aus der Schublade, auf | |
dem er minutiös die weit verzweigte Familie Bütler zu rekonstruieren | |
versuchte. Sein Werk ist nicht ganz so hübsch wie jener aufwändig verzierte | |
Stammbaum im Wirtshaus Hirschen. Dafür garantiert offiziell, und war | |
außerdem ein mühseliges Unterfangen: Seit die Zivilstandsämter | |
regionalisiert wurden, musste er bei jedem Amt separat anfragen und um | |
Erlaubnis bitten. Der Datenschutz sprach sich zwar dagegen aus, aber der | |
Gemeindeschreiber war hartnäckig. Schließlich sei das ein Ereignis | |
"nationaler Bedeutung". Sein Werk verstaut er wieder in seiner Schublade, | |
die Daten bleiben geheim und werden höchstens dem Orden weitergegeben. | |
Eine Frau - ein Dorf | |
Seit Ankündigung der Heiligsprechung ist in Auw nichts mehr so, wie es | |
einmal war. Zwar wirkt die schweizerische Euphorie bescheiden, immerhin | |
änderte aber die Gemeinde die einfallslose Altersheimstraße nach der | |
Seligsprechung in die spektakulärere Maria-Bernarda-Straße. Noch ist kein | |
Kredit gesprochen, wohl aber ein Pilgerweg - oder moderner: Besinnungsweg - | |
geplant. All dies zu Ehren der Seligen, die einst äußerst zufrieden ihr | |
Dorf als fromm beschrieb: "Im ganzen Dorf und im weiten Umkreis war kein | |
Andersgläubiger zu treffen außer einem jüdischen Krämer." Und der Pfarrer, | |
der über fehlenden Nachwuchs klagt, prophezeit wenigstens den Schwestern | |
der von Maria Bernarda gegründeten Mission blühenden Nachwuchs. Die | |
Heiligsprechung werde Auftrieb geben, da ist er sich sicher. Immerhin bekam | |
er dank ihr seine Kirche in letzter Zeit ein bisschen voller. | |
Im Geburtshaus herrscht derweil immer noch Hektik. Der Balken ist montiert, | |
der Besuch nochmals in die Stube gebeten, Kerzen mit Bernardas Antlitz, | |
computermontierte Bilder der Nonne, eine Kopie des Taufscheins und der | |
Firmurkunde präsentiert. Rosmarie Wicki-Bütler breitet zusammengeklebte | |
Farbausdrucke der Website [1][www.maria-bernarda.ch] aus. Beim Abschied | |
lacht sie nervös: "Ui Jesses, jetzt haben auch Sie vom Bernarda-Staub | |
erwischt!", und klopft ungeschickt auf meinen Mantel. Das sei gerade auch | |
zwei Nonnen, die zu Besuch waren, passiert. Ein göttliches Zeichen? Sie | |
grinst: "Nun ja, vielleicht bringt es Ihnen ja Glück." | |
11 Oct 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://www.maria-bernarda.ch | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |