# taz.de -- Dieter Bohlen und Martin Heidegger: Der Popstar und der Philosoph | |
> Was haben der Künstler Dieter Bohlen und der Denker Martin Heidegger | |
> gemeinsam? Beide bedienen ähnliche Gegner und Zielgruppen - und beide | |
> sind auf dem Holzweg. | |
Bild: Die Sicherheit verloren: Videomitschnitt von Raubüberfall auf Dieter Boh… | |
"Planieren statt sanieren" lautet der anspielungsreiche zweite Teil des | |
Titels von Dieter Bohlens neuer Schrift. Die Quellen der politischen und | |
künstlerischen Ontologie des Musikers, die sich im Planieren ihren Ausdruck | |
bahnen, in seinem Text selber suchen zu wollen, wäre allerdings so | |
vergeblich wie naiv. Titanen, auch die des Pop, verraten ihre | |
Göttergespräche selten und wenn doch, nie ohne die Hälfte zu verschweigen. | |
Dennoch kann man ein paar der grundlegenden Einflüsse anzeigen. "Planieren | |
statt sanieren" findet seine erste Quelle in Nicolae Ceausecus Plänen, die | |
alten Dörfer und Siedlungen in den sieben Bergen Rumäniens mit Hilfe von | |
Planierraupen auszulöschen und die Bevölkerung in die Städte umzusiedeln. | |
In Städte, in denen vorher die alten Häuser durch neue ersetzt worden | |
waren. Das lag in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der Luft und drückt | |
sich auch bei Andy Warhol aus. Der hatte angesichts der Städte Italiens | |
notiert, dass man dort sehr gut sehen könne, welche Auswirkungen es habe, | |
wenn man Häuser ewig, über Jahrhunderte stehen lasse, anstatt neue zu | |
bauen. Das war eine nur wenig verhüllte Aufforderung, die Altstädte | |
Italiens für den idiosynkratischen Blick des Modernen abzureißen. | |
Beide Referenzen, Ceausescu wie Warhol, sind bei Bohlen aus der Biografie | |
ableitbar. Bohlen hatte in den Siebzigern offen mit der Deutschen | |
Kommunistischen Partei (DKP) sympathisiert und steht als Gründer und | |
Erfinder von Modern Talking Warhol zumindest im Namen programmatisch nahe. | |
Es gibt aber noch eine tiefere, mit Sicherheit auch Bohlen unbekannte | |
Quelle der rabiaten Beseitigung des vermeintlich Morschen. Sie stammt von | |
Martin Heidegger und hat mit Bohlen die markige Griffigkeit gemein. | |
Heidegger hatte am 8. Oktober 1930 in Bremen das erste Mal seine Gedanken | |
"Vom Wesen der Wahrheit" vorgetragen. Der heute zumindest in | |
Philosophenkreisen weltbekannte Text "Vom Wesen der Wahrheit" wurde 1943 | |
gedruckt, war allerdings im Druck seiner Pointe von Heidegger selbst | |
beraubt worden. In Bremen hatte Heidegger mit dem Satz geschlossen: "Nicht | |
auf das Biegen, auf das Brechen kommt es an." Das wurde 1930 in Bremen | |
besser verstanden als die vorhergehenden Worte zum Wesen der Wahrheit und | |
ist nur deshalb heute noch bekannt. Einem Zuhörer, der den Text dann später | |
las, war der Wegfall auch deshalb aufgefallen, weil er den letzten Satz | |
nicht nur verstanden, sondern sich auch gemerkt hatte. Dass Heidegger den | |
Spruch vom Brechen 1943 weggelassen hat, hatte auch damit zu tun, dass das | |
deutsche Brechen, das er 1933 mit deutlichem Anspruch auf geistige | |
Führerschaft jubilierend begrüßte, ihm mittlerweile selbst auf die Pelle | |
gerückt war. Und als das deutsche Brechen dann 1945 ganz zusammengebrochen | |
war, war Heidegger erst einmal still. | |
## Bohlens Kulturkampf | |
Das hatte nicht nur darin seinen Grund, dass die Siegermächte Heidegger das | |
Lehren verboten hatten, es hing auch damit zusammen, dass er glaubte - mit | |
Bohlen geredet - dass man die Worte, die er benutzt hatte, falsch | |
interpretierte. Heidegger schwieg dann einige Zeit und meldete sich erst | |
1949 mit einem kleinen Text in der Öffentlichkeit zurück. Der hieß "Der | |
Feldweg". Darin hieß es: "Wenn die Rätsel einander drängten und kein Ausweg | |
sich bot, half der Feldweg. Denn er geleitet den Fuß auf wendigem Pfad | |
still durch die Weite des kargen Landes." Der Feldweg sollte zudem noch | |
"dem Schritt des Denkenden so nahe wie dem Schritt des Landmannes sein, der | |
in der Morgenfrühe zum Mähen geht". Irgendjemand muss Heidegger dann | |
gesteckt haben, oder es ist ihm selbst aufgegangen, dass so gemähte Sätze | |
nach dem gerade geschehenen unaussprechlichen Grauen nicht so ganz | |
hinreichen in der bevorstehenden Auseinandersetzung mit der Geschichte. | |
Also schob er 1950 eine umfassendere Aufsatzsammlung unter dem Titel | |
"Holzwege" nach. | |
Mit den Holzwegen hat man dann nach der heimlichen Verbindung die offene zu | |
Bohlens neuem Werk gefunden. "Viele werden denken, dass es Unterschiede | |
zwischen den einzelnen Zeitungen gibt. So nach dem Motto: Die Bild ist ganz | |
schlimm, aber die seriöseren Zeitschriften wie Spiegel, Focus oder Stern | |
arbeiten ganz anders. Wenn ihr das glaubt, seid ihr auf dem Holzweg", | |
schreibt Bohlen an einer zentralen Stelle. Der Holzweg markiert das | |
Gemeinsame und das Trennende in den Werken Bohlens und Heiddeggers. Für | |
Heidegger sind Holzwege Wege, auf denen man in der Irre gehen kann, ohne | |
sich zu verirren. Holzmacher und Waldhüter kennen den Zustand und sind | |
Heideggers Kumpanen auf dem Holzweg. Während für Bohlen Holzwege einfach | |
falsche Wege sind, die man meiden sollte. Dazu will Bohlen seinen Lesern | |
einige Anleitungen geben und deshalb lautet der vollständige Titel seines | |
Buches: "Der Bohlenweg. Planieren statt sanieren". Der Unterschied ist | |
klar: Bei Bohlen kommt zuerst der Weg, dann das Planieren, bei Heidegger | |
kam zuerst das Brechen, dann die Feld- und Holzwege. | |
Unterhalb dieser Verkehrung gibt es aber eine Menge Ähnlichkeiten im Leben | |
und Werk beider, und das sind herausragend deutlich die Gegner und die | |
Zielgruppe. Für die Gegner findet Bohlen ein für sein Werk erstaunlich | |
reiches Vokabular. Er nennt sie variierend die "Kulturschaffenden", die | |
"Kultur- und Medienwächter", die "Literaturpäpste" oder schlicht die | |
"Klugscheißer". Es ist das liberale, konservative oder linkstheoretische | |
Milieu in den Kulturbehörden, im Fernsehen und in den Feuilletons. Wenn es | |
nämlich nach denen ginge, hätte Bohlen, der nach einer eigenen früheren | |
Aussage auch nichts anderes als Mozart macht, nie ein Lied, nie eine Platte | |
veröffentlicht, geschweige denn verkauft. Angesichts seiner Verkaufszahlen | |
und seiner Beliebtheit bei denen, die ihn kaufen, kränkt ihn das bis heute | |
und lässt ihn wenig titanenhaft auf das Justemilieu der Kultur einschlagen. | |
Wobei er allerdings in seinem Kampf ein paar Geistesblitze hat. "Wer kann | |
schon bestimmen, was gut ist und was schlecht", fragt er und antwortet sich | |
selbst: "Diese Gralshüter des guten Geschmacks? Da kann ich nur lachen. Was | |
für eine totale Anmaßung! Deshalb sind mir Begriffe, die objektiv sind, wie | |
Zahlen, an denen man etwas messen kann, viel lieber." | |
Auch der junge Heidegger hatte sich, nach dem er von der Theologie zur | |
Philosophie übergelaufen war, intensiv mit Zahlen, also der Mathematik | |
beschäftigt. Dieser junge Heidegger findet dann über die Mathematik zu | |
einem vergleichbaren Gegner. Bei ihm ist es das liberale Professorenmilieu | |
der Weimarer Republik, das den Stimmungen der Zeit, bei Heidegger ist das | |
vor allem die Stimmung der völkischen Jugend - bei Bohlen sind es die | |
Bravo-Leser, Hiphopper und "Deutschland sucht den Superstar"-Kandidaten -, | |
immer nur die alte ölige Leimpolitur bildungsbürgerlicher Polstermöbel | |
entgegenhalten kann. In einer Anekdote, die der Philosoph Emmanuel Levinas | |
selbst erzählt hat, kommt diese Stimmung gut zum Ausdruck. Nach dem es 1929 | |
in Davos einen Streitabend zwischen Ernst Cassirer, der in dieser | |
Konstellation der Vertreter der liberalen-bürgerlichen Bildung war, und | |
Heidegger gegeben hatte, veranstalteten die mit Heidegger angereisten | |
Studenten ein Fest. Bei dem lief der damals junge Levinas mit weiß | |
gepuderten Haaren über die Bühne und wiederholte immer nur zwei Worte: | |
"Humboldt-Kultur". Mehr brauchte es nicht, um die Studenten in | |
Ballermann-Stimmung zu versetzten und Heideggers Gegner zu benennen. | |
Das ist auch über die Zeiten hinweg sehr nah dran an Bohlen Auftritten im | |
Fernsehen oder auf der Buchmesse nach seinem letzten Erfolg. Daraus | |
sprechen Gemeinsamkeiten, die sich bis in die Wohnorte der beiden | |
nachzeichnen lassen. Bohlen lebt seit siebzehn in Tötensen. Heidegger hatte | |
sich immer wieder gern auf seine Hütte in Todtnauberg in der Nähe von | |
Freiburg zurückgezogen. Die Nähe von töten und Tod wird kaum jemand | |
bestreiten, auch wenn die Differenz zwischen der Tätigkeit des Tötens und | |
dem Tod, der auch passiv über einen kommen kann, natürlich schwer wiegt. | |
Angst kann einem aber beides einjagen. Angst ist denn auch die Stimmung, | |
der sich Heidegger in seinem frühen Hauptwerk "Sein und Zeit" auf acht | |
Seiten zuwendet. | |
## Zwei Rebellen | |
Merkwürdigerweise beginnt auch der Bohlenweg mit der Angst. "Selbst der | |
härteste Winter hat Angst vor dem Frühling", heißt es im ersten Satz nach | |
dem Intro bei Bohlen. Auf zwanzig Seiten, also zwölf mehr als bei | |
Heidegger, schildert er, wie ihm durch einen Überfall Haus und Hof | |
verleidet wurden und er damit seinen Ankerplatz, seine Sicherheit, | |
verliert. Eine Anleitung zu schreiben, die sich an alle richtet, aber weiß, | |
dass nur wenige das Ziel erreichen können, erfreut sich am Neid - und das | |
könnte man dialektisch nennen. Aber eben nur fast. Denn ein Bewusstsein | |
darüber, das vielleicht die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich der | |
Grund für diesen Überfall und die Angst im täglichen Allgemeinen sein | |
könnte, folgt daraus natürlich nicht. Auch in diesem Punkt bleibt Bohlen im | |
Heideggerbann: Das Rebellentum beider bezieht sich nicht auf die | |
grundlegende falsche Verfasstheit von Staat und Gesellschaft, es ist bloß | |
ein Ressentiment gegen Leute, die sich auf dem Parkett der sogenannten | |
Kultur sicherer und oft auch parfümierter bewegen als Dieter Bohlen aus | |
Tötensen und Martin Heidegger aus Meßkirch. | |
Schade eigentlich. | |
13 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Cord Riechelmann | |
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