# taz.de -- Debatte Die USA in der Krise: Empire im Sinkflug | |
> Die Probleme der USA sind auch von Obama nicht mehr zu lösen. Amerika | |
> müsste seine Rüstungsausgaben drastisch reduzieren. Doch dafür fehlt jede | |
> ideologische Grundlage. | |
Jetzt sind es noch knapp vier Wochen bis zu den Präsidentschaftswahlen in | |
den USA. In den derzeitigen Umfragen und Schätzungen liegt Senator Barack | |
Obama um fünf Prozentpunkte vorn. | |
Auch das Ausland unterstützt mehrheitlich Obama. Aber gerade dort täte man | |
besser daran, nicht in verfrühten Jubel auszubrechen. Niemand vermag im | |
Moment abzuschätzen, welchen Einfluss die Hautfarbe und der Bildungsgrad | |
des Senators auf die Wähler haben werden, die aus ökonomischen und | |
ideologischen Gründen dazu tendieren, für die Demokraten zu stimmen. Die | |
demokratische Partei nämlich liegt im Rennen um Senat und Abgeordnetenhaus | |
um ganze zehn Prozentpunkte vor den Republikanern. Dass ihr Kandidat nicht | |
in der Lage ist, mit diesem Vorsprung gleichzuziehen, legt den Schluss | |
nahe, dass viele Amerikaner Schwierigkeiten mit Obamas Herkunft und seiner | |
Intelligenz haben. Zudem sind die möglichen Auswirkungen einer | |
"Überraschung" nach dem Muster des georgischen Übergriffs auf Südossetien | |
nicht absehbar. Insbesondere wenn diese "Überraschung" von Washington aus | |
orchestriert wird, um für Senator John McCain die Wahl zu retten. Die | |
Aussicht auf eine Niederlage macht die Republikaner so verzweifelt, dass | |
ihnen mittlerweile keine Wahllüge zu offensichtlich, keine Verleumdung zu | |
erbärmlich, keine Beleidigung für die Intelligenz gewöhnlicher Amerikaner | |
zu beschämend ist. Die Endphase der republikanischen Kampagne könnte einen | |
neuen Maßstab für die politische Degeneration unserer Demokratie setzen. | |
Sollte Obama nun gewinnen, dann wird er mit einer Situation konfrontiert | |
sein, in der mindestens vier von zehn Wählern dem angriffslustigen | |
Chauvinismus von John McCain und der provinziellen Ignoranz von Sarah Palin | |
den Vorzug gegeben haben. Er wird zudem eine von unserer Finanzindustrie | |
hausgemachte Wirtschaftskrise bewältigen müssen, die von ebendieser | |
Finanzindustrie verwaltet wird. Henry Paulson, der frühere | |
Vorstandsvorsitzende der Investmentbank Goldman Sachs, fungiert gerade | |
nicht nur als Finanzminister, sondern angesichts der Untätigkeit und der | |
Umfragewerte von George W. Bush auch als unser eigentlicher Präsident. | |
Als Franklin D. Roosevelt 1933 inmitten der Weltwirtschaftskrise Präsident | |
wurde, konnte er auf dreißig Jahre wirtschaftsreformatorischer, politischer | |
Experimente in den USA aufbauen. Obama aber wird den schwachen Widerstand | |
erben, den seine Partei dem Grundsatz von der absoluten Unabhängigkeit des | |
Marktes entgegenbringt. Und das, obwohl der Markt sich derzeit selbst | |
zerstört. Der Senator ist nicht der Führer der amerikanischen Linken, als | |
den ihn die Republikaner dämonisieren. Vielmehr ist er ein brillanter | |
Technokrat, der dazu neigt, mit der Welt zu arbeiten, so wie sie ist. | |
Sollte hingegen McCain die Wahl gewinnen, ist die Möglichkeit von Chaos | |
deutlich größer. Versucht er, mit der vorhersagbaren Mehrheit der | |
Demokraten im Kongress zu arbeiten - die ohnehin in ideologische | |
Grabenkämpfe verstrickt und von der Niederlage bei den | |
Präsidentschaftswahlen demoralisiert sein werden -, dann ist abzusehen, | |
dass ein Großteil seiner eigenen Partei die Vizepräsidentin unterstützen | |
wird. Sozialdarwinismus in Reinform also. Das Ergebnis dieser | |
aufeinanderprallenden Positionen dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ein | |
politischer Kompromiss sein, der auf das Mittel des Krieges zurückgreift. | |
Die McCain-Kampagne hat sich wiederholt auf General David H. Petraeus - den | |
neuen Kommandanten der Region Irak/Iran/Pakistan/Afghanistan - berufen, | |
ohne dass eine Widerspruch von ihm zu vernehmen gewesen wäre. Daran ist | |
abzulesen, dass Petraeus mit dem Posten des Vorsitzenden der Joint Chiefs | |
of Staff belohnt werden und den unabhängigen und überlegten Admiral Michael | |
G. Mullen ersetzen würde. Das gibt den Weg frei für eine Lösung der | |
Wirtschaftskrise durch militärische Mobilisierung, begleitet von jeder | |
Menge Repression. McCains Aufruf, von der jetzigen Wirtschaftsdebatte doch | |
zum nächsten Thema überzugehen, zeigt an, was er als Präsident versuchen | |
wird. | |
In unserem Land stellt geschichtliches Wissen das Privileg von Historikern | |
dar. McCain war daher in der Lage, dieselbe Wirtschaftspolitik zu | |
adoptieren, mit der Präsident Herbert C. Hoover die Depression der späten | |
Zwanzigerjahre zur ökonomischen Katastrophe der frühen Dreißigerjahre | |
gemacht hat: die Senkung der Regierungsausgaben. Selbst die Europäische | |
Zentralbank und die OECD wirken da realitätsnäher, wenn man an ihre | |
jüngsten Kursschwenks hinsichtlich der Ideologie der Unabhängigkeit des | |
Marktes denkt. | |
Es gibt einen politischen Entwurf, der, obwohl er offensichtlich der | |
vernünftigste ist, wahrscheinlich nie auf den Tisch kommen wird. Der | |
Einsatz von 700 Milliarden Dollar in dem Glücksspiel, unsere Banken zu | |
retten, ist genauso groß wie das jährliche Budget des Pentagons, das der | |
Kongress erst kürzlich vorbehaltlos verabschiedet hat (zusätzliche | |
Milliarden für die Kriege in Afghanistan und Irak sind da noch nicht einmal | |
enthalten). Die USA geben mehr für ihre "Verteidigung" aus als alle anderen | |
Staaten der Welt zusammen, aber beide Parteien akzeptieren diese Ausgaben | |
als zulässigen Bestandteil des amerikanischen Keynesianismus. Sie sind | |
nicht in der Lage, diese Kosten mit sozialen und wirtschaftlichen | |
Investitionen zu ersetzen, die sehr viel effektiver wären. Und es gibt | |
wenig Anlass zur Hoffnung, dass der amerikanische Haushalt je in diesem | |
Sinne umstrukturiert wird. Obama und Biden würden mit Sicherheit eine | |
intelligentere Außen- und Verteidigungspolitik fahren als ihre | |
Konkurrenten. Aber auch sie haben bisher die in den USA gängigen | |
Albernheiten über den Iran heruntergebetet. Auch sie haben versprochen, den | |
Krieg in Afghanistan noch intensiver zu führen, und bedingungslose | |
Loyalität zu Israel geschworen. Langfristig wird zwar deutlich werden, dass | |
die exzessiven Kosten unserer Imperialpolitik nicht tragfähig sind. Aber in | |
den nächsten Jahren wird sich an unserem Marsch in den Abgrund wenig | |
ändern. | |
Allerdings gibt es die Möglichkeit, die amerikanische Regierung von | |
außerhalb zumindest zu minimaler Vernunft zu bringen. Eine Obama-Regierung | |
könnte dazu angeregt werden, mit der jüngeren Vergangenheit zu brechen, und | |
einem republikanischen Regime könnte klargemacht werden, dass man mit | |
seinem Unilateralismus nicht mitgeht. In vielen Ländern haben große Teile | |
der gebildeten Eliten die systematischen Selbsttäuschungen unseres Landes | |
für bare Münze genommen. Das ist nun nicht mehr möglich. Nicht nur haben | |
unsere Banken ausländischen Kunden wertlose finanzielle Papiere verkauft, | |
und nicht nur stellen US-amerikanische Schatzanweisungen angesichts der | |
Möglichkeit unseres Staatsbankrotts keine sichere Investition mehr da. Die | |
Weltöffentlichkeit hält unser wirtschaftliches und soziales Modell auch | |
nicht mehr für nachahmungswürdig. Es bleibt abzuwarten, ob die Eliten in | |
Politik und Wirtschaft unseres Landes und insbesondere in der Europäischen | |
Union sofortige und längerfristige Antworten auf das Desaster haben, das | |
von den USA produziert wurde - ein Desaster, das diese Eliten vielleicht | |
antizipiert haben. Doch dagegen unternommen haben sie waghalsigerweise | |
nichts. | |
Aus dem Amerikanischen von Daniel Schreiber | |
12 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Norman Birnbaum | |
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