# taz.de -- Bio-Ethiker Dieter Birnbacher: "Ein Frankenstein-Syndrom" | |
> Dieter Birnbacher ist Bio-Ethiker und Tierschützer. Trotzdem hält er das | |
> Aus für die Bremer Makakenversuche nicht für geboten - und sieht die | |
> erhitzte Debatte vor allem als Symptom einer Entfremdung zwischen | |
> Gesellschaft und Wissenschaft. | |
Bild: "Es geht nicht um die bloße Zugehörigkeit zu einer Spezies": Ein Langsc… | |
taz: Herr Birnbacher, Tierschutz ist ja eine Pflicht … | |
Dieter Birnbacher: Auf jeden Fall! Da herrscht in der Ethik seit dem 19. | |
Jahrhundert Einigkeit. | |
… und Sie würden sich selbst als Tierschützer bezeichnen? | |
Ja, insofern, dass ich das geltende Tierschutzgesetz in einigen Punkten für | |
unzureichend halte. Für verschärfungswürdig, gerade im Bereich der | |
Tierversuche. | |
Dann müssten Sie doch auch fürs Ende der Makakenversuche des Bremer | |
Hirnforschers Andreas Kreiter sein? | |
Nein, dieser Meinung schließe ich mich nicht unbedingt an. Da habe ich | |
ernsthafte Bedenken. | |
Das müssen Sie erklären. Immerhin hat der Präsident des deutschen | |
Tierschutzbundes und Kreiter-Gegner Wolfgang Apel Sie doch extra in die | |
Bremer Debatte eingeführt. | |
Ich bin zwar der Auffassung, dass gerade für Grundlagenforschung - anders | |
als für therapieorientierte Forschung - besonders strenge Normen gelten | |
müssen. Ich wende mich da auch gegen die Klausel des Tierschutzgesetzes, | |
die extrem schwere Belastungen zum bloßen, wenn auch substanziellen | |
Erkenntnisgewinn rechtfertigt. | |
Nun sollen die Versuche auch die Entwicklung eines epileptologischen | |
Diagnose-Geräts voran bringen. Ändert das die Bewertung? | |
Damit würde sich einiges ändern, aber ich sehe Kreiters Versuche bisher als | |
Grundlagenforschung. | |
Und trotzdem stehen Sie mittlerweile auf der anderen Seite der Barrikade? | |
Nicht mittlerweile! Auf welcher Seite ich stehe, hängt davon ab, wie man | |
die Belastung der Makaken einschätzt. Das ist für mich ausschlaggebend. Und | |
ich habe den Eindruck, dass die nicht besonders beträchtlich ist: Von einer | |
Leidzufügung durch die Versuche kann nicht eindeutig die Rede sein. | |
Dass Kreiter Primaten verwendet, spielt keine Rolle? | |
Doch. Aber die Forschung steht hier in einem Dilemma. Sie muss natürlich | |
Tiere auswählen, die dem Menschen nicht allzufern stehen, für Rückschlüsse | |
auf dessen Gehirnorganisation. Bei Ratten, Mäusen oder Kaninchen wäre das | |
nicht mehr der Fall. Andererseits sollte sie sich hüten, die Grenze zum | |
Menschenaffen zu überschreiten. | |
Das wäre illegal. Aber wo liegt, aus Sicht des Ethikers, der wesentliche | |
Unterschied zwischen Makaken, also Meerkatzenartigen, und Hominiden? | |
Die wenigen Restbestände von Menschenaffen sind bedroht. Das ist ein | |
Argument. Zudem sehe ich auch in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit | |
eine klare Stufung. | |
Das ist purer Speziesismus! | |
Das ist speziesistisch, aber nicht nur: Es geht nicht um die bloße | |
Zugehörigkeit zu einer Spezies, sondern um die Differenzen von Fähigkeiten | |
- und der Sensibilitäten. Also weniger die kognitiven Fähigkeiten als deren | |
Auswirkungen auf die Leidensfähigkeit. | |
Die Leidensfähigkeit ist der Ausgangspunkt? | |
Das wäre mein Maßstab der Differenzierung, ja - ganz wie im | |
Tierschutzgesetz. Denn, warum unterscheidet das zwischen Versuchen an | |
Wirbellosen und Wirbeltieren? Doch weil wir bei Wirbeltieren relativ sicher | |
wissen, dass sie leidensempfindlich sind. Diese Grenze ist eine Art | |
"Daumen"-Regel … | |
… die am grundsätzlichen Problem vorbeigeht: Aller Nutzen von Tierversuchen | |
ist immer auf Seiten der Menschen, nie auf jener der leidenden Tiere. Ist | |
das akzeptabel? | |
Wir maßen uns an, Tieren diese Belastung aufzuerlegen - ohne ihnen das in | |
irgendeiner Weise zurückgeben zu können, gerade in der Grundlagenforschung. | |
Das ist zuzugestehen. Und da sehe ich schon eine gewisse Unfairness - aber | |
kein grundlegendes Malum. Auch bei Humanversuchen haben Versuchspersonen | |
fast nie einen Vorteil davon. | |
Sie nehmen freiwillig teil … | |
Ja. Das können wir bei Tieren nicht gewährleisten. Das gibt der Sache eine | |
andere Qualität. | |
Warum ist das dann kein grundlegendes Übel? | |
Es gibt zwei Aspekte, warum man Tierversuche als solche für problematisch | |
halten kann: Das eine ist die Instrumentalisierung, die Nutzung als solche, | |
zu der eine Zustimmung nicht gegeben werden kann. Die andere Dimension ist | |
die Belastung, die dem Tier zugemutet wird: In der würde auch ich ein | |
ernsthaftes Problem sehen. | |
Das klingt so rational - dabei werden nicht nur in Bremen die | |
Tierversuchsdiskussionen sehr emotional geführt. Man denkt: Der arme Affe | |
mit den großen Augen. Ist dieser Impuls nicht philosophisch stärker zu | |
bewerten als konstruierte Legitimationen? | |
Ich würde mich auf meine Emotion in Sachen des Tierschutzes nicht | |
verlassen. Auch wenn Emotionen in der Moral nicht nur erlaubt, sondern | |
sogar geboten sind: Wertung ist immer affektiv getönt. | |
Aber? | |
Gerade in der angesprochenen Form geht es um spontane Anmutungen. Und da | |
wäre ich skeptisch, weil die sich stark nach Spezieszugehörigkeit richtet: | |
Bestimmte Tiere haben es besonders schwer, Sympathie für sich einzunehmen - | |
sodass sie oft in geradezu erschreckender Weise abgewertet werden. | |
Stimmt. Wer an die von Forschung in 100er-Chargen verbrauchten Kleinnager | |
denkt, oder an die Millionen Tonnen verwursteter Schweine, der wundert sich | |
über die Aufregung um Kreiters 24 Affen. | |
Wir haben in den verschiedenen Tierschutz-Sparten ein großes | |
Ungleichgewicht: Die Tierversuche stehen stark im Fokus. Nach Meinung | |
vieler Kenner gibt es aber viel gravierendere Probleme. Etwa bei der | |
Schädlingsbekämpfung, die Tötung der - hervorragend intelligenten - Ratten. | |
Da ist das ultimative tierschützerische Mittel noch nicht gefunden. Da wird | |
erhebliches Leid in Kauf genommen, wenn nicht sogar beabsichtigt. | |
Dann erleben wir in Bremen eine Stellvertreterdiskussion? | |
Sie ist auf dem Hintergrund einer stark verbreiteten Wissenschaftsskepsis | |
zu sehen, sagen wir: einem "Frankenstein-Syndrom". | |
Weil man die Forschungs-Ergebnisse nicht versteht? | |
Vor allem das. Es ist zu einer gewissen Entfremdung gekommen zwischen | |
Wissenschaften und Gesellschaft. Das begründet Pflichten auf beiden Seiten: | |
Zum einen, sich der Dämonisierung und Mythenbildung zu enthalten. Aber vor | |
allen Dingen auch zur Offenlegung der Denkweisen, die Wissenschaftler | |
bewegt - einschließlich der emotionalen Qualität, die Forschung für die | |
Wissenschaftler hat. | |
Dass Kreiter seit zehn Jahren in Bremen forscht, scheint manchen eine | |
Ewigkeit. Aber es ist kurz im Vergleich zu über 60 Jahren | |
Menschenaffen-Versuchen bis zur Entdeckung des Polio-Serums. Wie lange muss | |
man auf Ergebnisse warten? | |
Das Polio-Beispiel ist ja größtenteils eine klinisch relevante | |
Versuchsserie gewesen, mit einem klaren Ziel: der Entdeckung eines | |
Impfstoffs. In der Grundlagenforschung braucht man einen noch längeren | |
Atem. Da sind viele Variablen, sehr komplexe Systeme beteiligt. Und es | |
besteht natürlich auch ein gewisser Ehrgeiz seitens der einzelnen Forscher, | |
ein Gebiet abzudecken. Aber mit langen Zeiträumen arbeiten wir auch im | |
klinischen Bereich, so bei den Bemühungen um einen Aids-Impfstoff, ganz zu | |
schweigen von der Krebsforschung. | |
Die ist aber populärer. | |
Ja. Krebs ist natürlich eine Vokabel, die schon an sich legitimierend | |
wirkt. | |
Während das Forschungsfeld Hirn besonders anfällig ist für das | |
Frankenstein-Syndrom? | |
Ja, wenn es um Eingriffe ins Gehirn geht - also das, was als | |
Tiefenstimulation diskutiert wird, bis hin zu Gehirn-Prothesen. Aber wo es | |
um die Selbsterforschung des Menschen geht, die Aufdeckung seiner | |
zentralnervösen Prozesse, hat diese Forschung eine beträchtliche Bedeutung. | |
Das ist auch ein Teil unserer Selbsterforschung. Wir wollen ja zumindest | |
ansatzweise verstehen, wie unser Gehirn es schafft, mit der Fülle seiner | |
Aufgaben zurechtzukommen … | |
… wir haben aber auch Angst davor, oder? | |
Manche vielleicht. Ich würde gerne mehr darüber wissen. | |
Interview: Benno Schirrmeister | |
12 Oct 2008 | |
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