# taz.de -- Aus der "Literataz": Die Welt mit Dath konfrontieren | |
> Das Geld ist ganz, die Menschen sind fast abgeschafft, die Herrschaft | |
> übernommen haben die Gente: Dietmar Dath hat eine biopolitische Utopie | |
> geschrieben - "Die Abschaffung der Arten". | |
Bild: Die gelungenen Überführung von Evolution in planbar gemachte Geschichte… | |
Dietmar Dath, Jahrgang 1970, hat Physik und Linguistik und mancherlei mehr | |
studiert, ist dem Typus nach aber der disziplingrenzenverachtende | |
Autodidakt; er hat in Fanzines und der konkret geschrieben, hat in einer | |
Heavy-Metal-Band gespielt und seit Mitte der Neunziger zehn oder elf Romane | |
verfasst. Er wurde Chefredakteur der Spex, die er sympathischerweise mit | |
radikaler Abseitigkeit an den Abgrund führte. Dann hat ihn das | |
FAZ-Feuilleton als Experten für Wissenschaft eingekauft und bekam alsbald | |
sehr viel mehr als erhofft über Buffy, literarische Drastik und die | |
Weltrevolution zu lesen. Inzwischen hat er den Job gekündigt und schreibt, | |
wühlt, denkt als freier Mann im Innersten des Betriebs, als linker | |
Flügelflitzer der neuen Suhrkamp-Kultur, bei der er die Brücke zwischen den | |
zwei (drei, vielen) Kulturen nicht schlägt, sondern ist. | |
Man kann Dath, den Gedanken- und Textgenerator, nicht beim Einzelwerk | |
nehmen. Alles steht im Zusammenhang und dieser Zusammenhang ist die Welt, | |
wie Dath sie sieht. Hinter euerm Horizont gehts weiter, ruft er den | |
verachteten Poststrukturalisten und hassgeliebten FAZ-Feuilletonisten und | |
erst recht den verabscheuten SPD- oder taz-Reformisten zu. Er selbst | |
springt am Horizont oder dahinter zwischen Darwin, Marx, Dirac im Dreieck. | |
Als von Kontext zu Kontext rasender Denker und Dichter gibt er den | |
Alleswisser - und den humorlosen Allesbesserwisser, den gibt er oft genug | |
auch. | |
Dabei will er die Gegenwart nur zur Kenntlichkeit entstellen. Viele seiner | |
Bücher sind Schlüsselromane. Sie ziehen einen guten Teil ihrer Kraft aus | |
der Nähe zur Wirklichkeit, daraus, dass es da Personen, Szenen, Milieus, | |
Kontexte und Gedanken gibt, die wir ganz direkt wiedererkennen. Und Dath | |
will, als der Marxist, der er ist, nicht das Notierte nur verschieden | |
interpretieren, ihm kommt es darauf an, die Welt zu verändern. | |
Denken und Schreiben soll Eingreifen sein und als Denken des Politischen | |
beitragen zur Abschaffung der Verhältnisse, in denen die einen herrschen | |
und die anderen nicht. Die Gegenwart muss als Gesamt, nicht nur punktuell | |
in den Blick. Dieser Gesamtperspektive wegen schreibt Dath keine Blogs, | |
sondern Romane, mit denen nicht zu spaßen ist. Als SF- und Horrorfan | |
schafft er in diesen Roman neben und in der realen fremde und finstere | |
Welten, er will in Parallelaktion zu dem, was wir für die Wirklichkeit | |
halten, das Große und Ganze eines eigenen Kosmos als Form. | |
Mit dem neuen Roman geht Dath nun weiter denn je weg vom Heute und Hier, | |
von unserer Gegenwart, die im Roman die Epoche der "Langeweile" heißt. Die | |
größten Teile der Handlung spielen weit in der Zukunft. Auf der Erde erst, | |
dann auf Venus und Mars. Abgeschafft sind die Arten von Anbeginn des | |
Romans. Das Kommando auf Erden übernommen haben die Gente, die zwar | |
einzelnen Tierspezies zugeordnet sind, aber nicht qua Geburt und | |
natürlicher Evolution, sondern aus Lust und aus Laune dank der gelungenen | |
Überführung von Evolution in planbar gemachte Geschichte. | |
"Contra Naturam" lautet die Überschrift des ersten Teils des Romans und das | |
Widernatürliche ist im Buch Programm, nicht zuletzt in der | |
polymorph-perversen Sexualität aller Arten und auch der eher pro forma noch | |
existierenden Geschlechter. Der Löwe Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, | |
der Wolf Dmitri Stepanowitsch Sebassus, die Luchsin Lasara, ein Fuchs | |
namens Ryuneke, ein nervtötender Esel, eine kaum überschaubare Menge andrer | |
Figuren, dazu eine Frau wie ein Baum und ein Schmelzwesen namens | |
Katahomenleandraleal bevölkern die Erde mit ihren drei ökotektonisch | |
entworfenen, bei Dath nicht zum ersten Mal auftauchenden Städten Kapseits, | |
Landers und Borbruck. Kommuniziert wird telepathisch über Gerüche, das Geld | |
ist ganz, die Menschen sind beinahe abgeschafft. | |
Eine biopolitische Utopie, einerseits. Keine Utopie, andererseits, sondern | |
ein Zustand des fortgeschrittenen, aber längst nicht vollendeten | |
Sozialismus. Aber auch eine vom Untergang bedrohte, dann tatsächlich | |
untergehende Gesellschaft. In erratischen Sprüngen eilt die Handlung | |
apokalyptisch voran, wenn sie nicht gerade seitenlang auf der Stelle tritt. | |
In Dialogen werden viele von Daths Lieblingsmotiven und -themen | |
durchdekliniert: die Evolution und die Gesellschaft, der Krieg, die Musik, | |
die Politik und die Literatur und sehr vieles mehr. Auch die in Daths | |
Büchern seit dem Debüt "Cordula killt dich!" verlässlich wiederkehrende | |
Komponistin Cordula Späth darf nicht fehlen. | |
Wenn das so klingt, als sei dieser Roman nicht viel mehr als eine zum | |
Fantasy-Epos aufgebrezelte Umwälzmaschine für mehr oder weniger gare | |
Gedanken, dann muss man sagen: Er ist das umso mehr, je weniger er es | |
eigentlich sein will. Daths Stärke ist nicht das klassisch Romanhafte, | |
sondern das Oszillieren zwischen Nähe und Ferne zur Wirklichkeit, das | |
Springen zwischen Fiktion und Dissertation und Pamphlet. Seine Stärke ist | |
eine ganze eigene Form von geschickt unscharf gehaltener Frontalität, mit | |
der er die Gegenwart im einen und selben Zug am Kragen packt, mythisiert, | |
attackiert und mit Dath konfrontiert. Es ist deshalb gerade der Wille zum | |
Roman, auch zum Literarischen im emphatischen Sinn, der der "Abschaffung | |
der Arten" gar nicht bekommt. Die mit viel Mühe und wenig Geschick | |
hingestellte Fantasy-Welt erwacht nie, obwohl sie es soll, zum eigenen | |
Leben. | |
Ein faderes Buch als "Die Abschaffung der Arten" hat er noch nicht | |
geschrieben. Nicht dass seine Romane je das reine Vergnügen waren. Nur gab | |
es bisher oft genug gute Gründe, diese Material- und Denkschlachten | |
durchzustehen. Von den guten Gründen ist diesmal recht wenig übrig. Die | |
Befreiung aus der Langeweile, die der Roman propagiert, ist aufgeschoben - | |
und seis auch nur bis zum nächsten, literarisch hoffentlich weniger | |
ambitionierten Dath. | |
Weitere 19 Seiten anlässlich der Buchmesse in der Literataz-Beilage | |
14 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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