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# taz.de -- Doku über weggebaggertes Dorf: Unterm Schaufelrad
> Bedächtig erzählt "Otzenrath 3° kälter" vom Ort, der dem
> Braunkohletagebau Garzweiler II widerwillig weichen musste - und der
> neuen Heimat, die für viele keine ist.
Bild: Otzenrath ist weggeschaufelt.
Der Blick geht weit übers Land. Wiesen und Felder, so weit das Auge reicht.
Die Kamera dreht sich, langsam, im Hintergrund trötet ein umgemünzter
Kreisler-Chanson, und plötzlich stehen sie da: Schlote, aus denen sich
dichter Qualm zum Himmel schleppt. Dann Schnitt. Eine Kraterlandschaft.
Bagger. Pfützen. Das ist der Braunkohletagebau Garzweiler II. Totes Land.
So beginnt er, der Dokumentarfilm "Otzenrath 3° kälter" von Jens Schanze.
Ein gefälliger, naheliegender Beginn vielleicht. Aber dennoch ein
eindrucksvoller, der den Zuschauer gleich hineinzieht in die Thematik, den
Kontrast: Kohlekraftwerke gegen Natur, Industrie gegen Mensch. Damit hat
sich Schanze schon einmal beschäftigt, sechs Jahre ist das jetzt her.
Damals bereiteten sich die Menschen in und um Otzenrath, einem kleinen Dorf
nahe Düsseldorf, gerade darauf vor, den Baggern und Förderbändern zu
weichen. Schanze machte eine Doku daraus mit dem Titel "Otzenrather
Sprung", einen Heimatfilm quasi, der vom Verschwinden der Heimat handelt,
von Abschied und Trennung.
Szenen aus dem mehrfach mit Preisen dekorierten Erstling tauchen nun im
neuen Film als Rückblenden wieder auf. Gegengeschnitten hat Schanze, was
aus den Menschen inzwischen geworden ist, wie sie sich eingefunden haben in
ihrer neuen Heimat, in Neu-Otzenrath, wo der Wind schärfer über die Felder
zieht als im alten Ort, wo es also kälter ist, etwa drei Grad.
Schanze lässt die Menschen ihre Geschichten selbst erzählen. Dabei hält er
sich erneut angenehm zurück, passt das Tempo jenem der monströsen
Kohlebagger an und erzählt ruhig, fast bedächtig, immerhin wird hier ein
Dorf zu Grabe getragen, eine Idylle weggeschaufelt. Kameramann Börres
Weiffenbach hat dazu melancholisch-meditative Bilder geliefert. Von einem
jungen Bauern etwa, der zusieht, wie der elterliche Hof eingestampft wird.
Oder von der Profanierung der örtlichen Kirche, 136 Jahre nach der
Erbauung. Eine Messe wird gefeiert, die letzte. Dann werden die Kerzen
gelöscht. Später stecken Baggerschaufeln im Gemäuer.
In Neu-Otzenrath haben die Menschen wieder eine Kirche, ein ziemlich
schniekes Ding, modern von außen, kühl von innen. Inmitten von
Einfamilienhäusern, verklinkert, mit Vorgarten. Doch wirklich anfreunden
können sich die Menschen mit ihrer neuen Umgebung nicht, vor allem wenn sie
alt sind. Jenes Ehepaar etwa, das früher eine brummende Kneipe in Otzenrath
bewirtschaftete, hat keine mehr eröffnet. Zu alt. Zu spät. Andere wiederum
fühlen sich ungerecht behandelt von RWE, dem Betreiber des Tagebaus. Und
wieder andere - sie haben das ganze Prozedere nicht überlebt. Einige,
erzählen die Menschen, seien kurz vor oder nach dem Umzug nach
Neu-Otzenrath gestorben. War es Zufall? Hat das eine das andere bewirkt?
Wer weiß.
Bis ins Jahr 2045 wird RWE noch Kohle am Niederrhein baggern. Dann ist
Schluss. Bis dahin werden 48 Quadratkilometer Fläche durchpflügt und
etliche Dörfer umgesiedelt worden sein. Schanze und Weiffenbach haben mit
ihren beiden Filmen historisches Material geschaffen, dass dereinst in
Schulen gezeigt werden wird. Auch 3sat hat bereits angekündigt, weitere
Filme über das Monsterprojekt drehen zu lassen. Das bleibt den Menschen
dann von ihrer ganzen Vergangenheit.
Und dem jungen Bauern, der neben seiner Heimat auch seinen Vater verloren
hat, bleibt noch ein alter Stein des Hofs seiner Familie. Er will ihn
wieder aufstellen. Und BWL studieren. Die Jungen verkraften den Umzug
besser als ihre Eltern.
Sonntag, 3sat, 21.45 Uhr
18 Oct 2008
## AUTOREN
Boris Rosenkranz
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