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# taz.de -- Das Buchmessen-Wochenende: Cosplayer und Prosumenten
> Wenn die Publikumstage in Frankfurt anbrechen, verdrängen plötzlich Elfen
> und japanische Schulmädchen die in schwarz, weiß, grau und braun
> gekleidete Verlagsbranche.
Bild: Bei der Cosplay-Meisterschaft auf der Frankfurter Buchmesse verkleiden si…
Die letzten beiden Tage der Buchmesse gehören von jeher den Fans. An diesen
Publikumstagen sind neben interessierten Literaturfreunden und den
Taschen-Menschen (das sind die, die sich mit riesigen Tüten und Taschen
durch die Gänge schieben und an den Ständen raffen, was sie können) auch
jede Menge Fabelwesen zwischen 12 und 22 Jahren auf dem Messe-Gelände
unterwegs. Die tragen Korsetts oder Fellstulpen, Elfenkostüme und
Elfenohren, Umhänge oder japanische Schuluniformen, blaue oder weiße Farbe
auf der Haut und gefärbte Kontaktlinsen. Sie sind Fantasy-Spielen oder
Mangas entsprungen und sind hier, um die Schöpfer ihrer Welten einmal
persönlich zu sehen, sich ein Comic signieren zu lassen oder, vor allem,
weil hier auf der Frankfurter Buchmesse seit dem vergangenen Jahr die
Cosplay-Meisterschaft stattfindet.
Der Cosplay-Trend ist aus Japan nach Europa geschwappt und ist die Kurzform
des englischen Begriffs Costume Play, also Kostümspiel. Dessen Inhalt ist
es, eine Figur, einen Charakter aus einem Manga, Videospiel oder Anime
möglichst originalgetreu in Kleidung und Verhalten darzustellen. Und so
werden ab Samstag auf dem Messegelände die understatement-like in Anzug,
weißes Hemd und Pollunder und schicke Stiefel gekeideten Verlagsmitarbeiter
in ihre Stände zurückgedrängt, wärend die Taschen-Menschen und die
Cosplayer das Ruder in die Hand nehmen.
Während sich die Kulturschaffenden in ihren oder fremden Ständen sich von
Azubis oder vom Messe-Serviceteam Kaffee oder Sekt bringen lassen und mit
immer neuer Fassungslosigkeit die Menschenmengen in den Gängen der großen
Publikumsverlage betrachten, kämpfen sich ihre prominentesten Autoren
tapfer von Signierstunde zu Interview-Termin.
Am wildesten geht es zwischen den Comic-Ständen zu. Die Verlage bieten den
Fans aber auch was. Ralf König malt mit unverminderter Freundlichkeit in
der Signierstunde Schwule am laufenden Band, Simpsons-Zeichner Bill
Morrison und Regisseur David Silverman stehen ihren Fans Rede und Antwort
und die Comic-Künstlerin Isabel Kreitz signiert ihren neuen Wälzer "Die
Sache mit Sorge" und kommentiert die um sie herum marodierenden Cosplayer
trocken mit "Solange man nicht von einem Gummi-Schwert erschlagen wird...",
bevor sie am Spiegel-Stand mit Jason Lutes über Zeitgeschichte als Comic
diskutiert. Damit hat sie schon reichlich Erfahrung, schließlich hat sie
bereits den gerade im Kino laufenden Uwe Timm Roman "Die Entdeckung der
Currywurst" und Erich Kästners "Der 35. Mai" erfolgreich als Comic
herausgebracht.
Charlotte Roche springt auch noch durch die Hallen. Bushido gibt irgendwo
seinen Senf ab, Dieter Bohlen marschiert mit Entourage von Termin zu
Termin, Ulrich Wickert lässt sich im Café Galore interviewen und Holm
Friebe und Thomas Ramge präsentieren ihr Buch "Marke Eigenbau - Der
Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion" (vgl. Rezension in der
Literataz) so unterhaltsam und informativ, dass jeder stehen bleibt, der an
dem Forum-Stand vorbeikommt. Sie zeigen erfolgreiche Projekte einer
entstandenen Gegenökonomie zur Massenproduktion, wie die US-Website Etsy,
die mit dem Verkauf von Selbstgemachtem inzwischen dreistellige
Millionenbeträge umsetzt und andere Phänomene, wo Menschen vom Konsumenten
zum "Prosumenten" werden.
Wie auch im Falle der OpenSource-Bewegung mit dem Betriebssystem Linux, den
Hackern von iPhones, Fun-Sportarten oder Unternehmens-Ideen wie
[1][MyMuesli.com] oder [2][Freebeer], die über die Oberflächenkosmetik
einer Firma wie Nike hinausgehen, die den Kunden bestenfalls die Farben
seines Schuhs wählen lässt. Wer mehr auf das Geschäftsmodell "Marke
Eigenbau" und Empfehlungen setzt, so die Autoren, setzt gleichzeitig auch
ein politisches Zeichen, so wie die Erfinder des Blackspotsneakers oder die
Stromrebellen von Schönau. Friebe und Ramge sehen die Zukunft in eigenen
Labels, in My Logo, statt No Logo - Ideen können auf ihrer Website
[3][marke-eigenbau.org] gesammelt werden.
Solche unterhaltsamen und informativen Vorträge hätte man auf der
diesjährigen Buchmesse gerne mehr gehört. Leider wurde viel und nicht
sonderlich effektiv über die, so die Quintessenz der Aussagen der
Verlagsbranche, erst in ein paar Jahren für die Leser interessant werdenden
elektronischen Lesegeräte gesprochen und diskutiert, allerdings ohne den
unmittelbaren Bezug zum Geschehen.
Per Börsenblatt-Newsletter lies sich einer der zwei Stände, die ein Kindle
dabei hatten, ausmachen. Ein kleiner Softwarestand mit zwei stolzen
Männern: "Na, wollen se mal sehen?" Und was sieht man, ein unscheinbares
Gerät, dem der Leser gut und gerne noch ein paar Jahre Weiterentwicklung
wünscht, bevor er dafür an die 300 Euro bezahlen will. Ein Hype, vom
Messe-Chef verkündet und von Journalisten herbei geschrieben, "Leute die es
wissen müssen" wurden 100fach befragt - und das alles letztendlich auf
Kosten von Autoren und Titeln, die sonst gewiss mehr Aufmerksamkeit
erhalten und verdient hätten.
19 Oct 2008
## LINKS
[1] http://www.mymuesli.com/
[2] http://www.freebeer.org/blog/
[3] http://marke-eigenbau.org/
## AUTOREN
Julia Niemann
Julia Niemann
## TAGS
Graphic Novel
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