# taz.de -- Süßlicher Hauch des Meeres: "Harpuniere einen Norweger!" | |
> Wo Wale und Robben abgeschlachtet werden, sind die Proteste der | |
> Tierschützer drastisch. Doch die Breitengrade unterm Polarkreis sind kein | |
> Schlaraffenland für Vegetarier: Wo keine Kartoffeln wachsen, steht | |
> Walschinken auf dem Menu | |
Bild: Norwegischer Walfänger in der Nordsee | |
Auf dem Vorspeisenteller im Restaurant Skarven in Tromsø passt das | |
Krabbenfleisch locker in ein Schälchen, man sieht ihm nicht an, welch | |
riesigem Meeresbewohner es entstammt: Die Kamtschatka-Krabbe hat eine | |
Spannweite von bis zu 1,80 Metern. Zwar ist sie kein Monster, aber doch der | |
Schrecken der Meere. Jedenfalls der Meere, in die sie nicht hineingehört. | |
Russen haben die Krabbe bei Murmansk ausgesetzt, vor Jahren schon, sie | |
stammt, wie ihr Name verrät, aus dem Ozean am ganz anderen, östlichen Ende | |
des Landes. In der Barentssee hat die Riesenkrabbe jedoch keine natürlichen | |
Feinde, sie vermehrt sich flott. Norwegens Fischer graust vor der | |
Vorstellung, sie könne sich bis in die Gewässer auf der Höhe der Finnmark | |
ausbreiten. Denn sie macht nicht nur die Netze kaputt, sondern frisst ihre | |
Umgebung ratzeputz leer. | |
"Wir bereiten sie auf verschiedenste Arten zu, man kann alles mit ihr | |
machen, was man auch mit Hummer macht, nur dass sie viel mehr Fleisch hat", | |
sagt Gunnar Andersen, Koch im Skarven, einem der exklusivsten Restaurants | |
des Nordens, das sich "arktischen Speisen und Spezialitäten" verschrieben | |
hat. Die Leckerbissen des Hauses, so verspricht die Speisekarte, werden aus | |
"Rohstoffen unserer unglaublichen arktischen Speisekammer" zubereitet. | |
Der Umgang der Norweger mit Meeresbewohnern erregt immer wieder Unmut. | |
Während die Norweger auf die Tradition des Walfangs und der Robbenjagd vor | |
allem an den nördlichen Küsten pochen, werfen ihnen Umweltorganisationen | |
einen rein kommerziellen Hintergrund dessen vor, was unisono "Schlächterei" | |
genannt wird. Das Thema ist komplex und mit Vorurteilen beladen. Unstrittig | |
ist jedoch, dass die Robbenbestände im Nordmeer so stark zugenommen haben, | |
dass sie dem Fischbestand zusetzen. | |
Im Polarmiljøsenteret, dem Polar-Umweltzentrum in Tromsø, werden solche | |
Dinge wissenschaftlich untersucht. Daneben steht das Polaria, ein dem | |
Zentrum angeschlossenes Besucherzentrum, dort gibt es einen Seehund-Pool, | |
zweimal täglich kann man bei der Bartrobben-Fütterung zusehen. Die | |
Meeressäuger zeigen Kunststückchen. | |
Walschinken ist im Skarven eine Delikatesse. "Die Japaner rennen uns die | |
Bude ein", sagt Andersen. Zuhause "zahlen die das 25fache für Walsteak". | |
Manche denken, Wal und Robbe schmeckten tranig, aber das dürfe eigentlich | |
nicht sein, so Andersen. "Wenn es riecht, ist es nicht frisch." Wer den | |
Geruch einmal in der Nase hatte, vergisst ihn nie wieder. Er liegt wie eine | |
Wolke über allen Wohnsiedlungen Grönlands. | |
Andersen ordert einen Teller mit Robbenröllchen und Walschinken, ich solle | |
das probieren. Es kommt hübsch angerichtet daher, mit viel mehr Grünzeug, | |
als es in den Küchen des Nordens sonst so üblich ist - und schmeckt noch | |
besser, als es aussieht. Der schwäbische Starkoch Vincent Klink beschreibt | |
es so: "Gebraten unterscheidet sich Wal kaum vom Ochsen-Pfeffersteak, bis | |
auf einen leichten, angenehm süßlichen Hauch Meeresduft. Der Geschmack | |
erinnert an Wildente." Das Grünzeug auf dem Teller schmeckt ebenfalls | |
ungewohnt. Es ist Tang. | |
Für manche Gäste sei Robbensteak "doch zu speziell". Sie probierten es, | |
sagten: "interessant", und bestellten etwas anderes zu essen. Doch in dem | |
Nobelrestaurant unweit der Anlegestelle der Hurtigruten verkehren ohnehin | |
hauptsächlich Einheimische. Hier treffen sich die Ärzte der Uniklinik mit | |
Wissenschaftlern. Den Touristen ist es hier zu teuer. | |
Hai sei eine weitere Spezialität des Nordens. "Schwierig zuzubereiten", | |
gesteht der Koch. Haie haben keine Nieren und lagern ihren | |
Stoffwechselabfall im Fleisch. Nur die Isländer haben eine traditionelle | |
Methode gefunden, Haifleisch annähernd essbar zu machen: Sie lassen es | |
verrotten. Nach Wochen und Monaten, in denen das Fleisch traditionell in | |
Holzkisten im Sand vergraben wurde, stinkt es gottserbärmlich nach scharfem | |
Fensterputzmittel. Der Ammoniak, der sich freigesetzt hat, kann nur mit | |
noch Schärferem bekämpft werden, was die Isländer "Schwarzer Tod" nennen. | |
Haben sie Häppchen von Hákarl, wie diese Hai-Delikatesse heißt, | |
heruntergewürgt, schütten sie mit diesem Branntwein nach. Andersen lacht, | |
er kennt diese Geschichten aus Island. Er gehe in seiner Küche den | |
entgegengesetzten Weg: "Bei uns kommt der Hai so frisch in die Pfanne, dass | |
er noch nicht stinkt." | |
Eine nicht ganz so absonderliche Spezialität der arktischen Küche ist der | |
Stockfisch, in Südeuropa geliebt als Bacalao. Ursprünglich wurde er | |
hauptsächlich exportiert, nach Portugal und Italien. Im Skarven wird er, | |
wenn er erst mal so richtig dürr getrocknet ist, acht Tage in Wasser | |
eingeweicht. Das Wasser muss dreimal täglich gewechselt werden. Aber in | |
fließendes Wasser darf er auch nicht gelegt werden, das trage den Geschmack | |
davon. Auf der Speisekarte findet sich Stockfischsuppe mit Walchorizo. Im | |
Winter wird er zum Lieblingsgericht als gegrillter Stockfisch, da wird der | |
eingelegte, gewässerte Fisch kross geröstet, was als Hauptspeise 30 Euro | |
kostet. Doch dafür zahlt der Norweger gerne noch mehr als für Elch, den er | |
ohnehin zuhause in der Tiefkühltruhe lagert. "Bei uns gibt es nur Filet", | |
sagt der Chef. Ein robuster Elch wiegt 500 Kilogramm, 25 Kilo Filet sind da | |
zu erwarten. | |
Für Vegetarier ist die Arktis kein Schlaraffenland. Nördlich des | |
Polarkreises nimmt, was den Gemüse- und Fruchtanbau betrifft, nur eines zu: | |
die Bezeichnung "Verdens nordligste" - "der Welt nördlichste …" So wächst | |
in Tromsø der "weltnördlichste Weizen", aber in homöopathischen Mengen. | |
Schon für Äpfel reicht das Klima nicht mehr aus, auch Kartoffeln haben es | |
gern ein bisschen wärmer. Gelbe Rüben und Kohlrabi gedeihen immerhin. Und, | |
fürs Auge, die tapfersten Blumen des Erdballs, Geranien. Vom weit | |
entfernten Kap der Guten Hoffnung in Südafrika, wo die Urform der | |
Pelargonien herkommt, haben sie es nach der Geranisierung der Alpen | |
tatsächlich bis fast zum Nordkap geschafft. | |
Das Sammeln von Beeren, eine Sommerbeschäftigung der Norweger, ist bis | |
heute politisch korrekt geblieben, die Jagd hingegen nicht. Es ist die | |
leidige Geschichte: Viele denken bei Fleisch nicht an Tier, kennen nur das | |
panierte Stück auf dem Teller, wissen wenig vom Leben und Sterben der | |
Kreatur, von Zucht und Schlacht. Die Jagd ist aus dem Bewusstsein naturfern | |
lebender Städter verschwunden. Doch ein in freier Wildbahn geschossener | |
Elch hatte vermutlich ein besseres Leben als ein Schlachtschwein. Und ein | |
Wal dürfte auch glücklicher gelebt haben als ein in winzigen Meereskäfigen | |
schwimmender Zuchtlachs. | |
Das Stadtmuseum von Tromsø zeigt anschaulich die Problematik des Umfeldes | |
auf - und lässt auch die kritischen Stimmen nicht aus. Zwei bedruckte | |
T-Shirts hängen einträchtig nebeneinander. Auf dem einen steht: | |
"Intelligent people need intelligent food" - "Intelligente Menschen | |
brauchen intelligentes Essen", eine etwas dümmliche Pro-Stimme für die Jagd | |
auf Meeressäuger. Dafür lässt es die Contra-Stimme an Drastischem nicht | |
fehlen: "Save a whale - harpoon a Norwegian" - "Rette einen Wal - | |
harpuniere einen Norweger". | |
29 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schaefer | |
## TAGS | |
Reiseland Norwegen | |
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