# taz.de -- Schauspieler Manfred Krug: "Charme hatte die DDR ja" | |
> Manfred Krug, ehemals bekannter Musiker und Schauspieler, hat sein | |
> drittes Buch veröffentlicht: "Erzählungen." Ein Gespräch über | |
> Kugelfische, Spitzel und Mordszenarien. | |
Bild: "Ich kann über Weißpunktkugelfische lachen": Manfred Krug | |
taz: Herr Krug, Ihr neues Buch erinnert mich teilweise an Roald Dahl, aber | |
auch an Steven King und Vladimir Nabokov und natürlich an Edgar Allen Poe. | |
Haben Sie einen Lieblingsschriftsteller? | |
Manfred Krug: Na ja, Lieblingsschriftsteller. Ich muss ja die Wahrheit | |
sagen, oder? Es gibt ein paar Lieblingsschriftsteller, aber ich lese nicht | |
mehr sehr gerne. Ich bin abends immer so müde. Den Spiegel lese ich, | |
manchmal auch die taz und noch diese und jene andere Zeitung, und dann bin | |
ich k. o. Ich lese sehr gerne alte Bücher, so zwei-, drei- oder vierhundert | |
Jahre alte Bücher. Über Geschichte zum Beispiel, auch über Physik. Das | |
macht mir mehr Spaß. | |
In Ihrem neuen Buch finden sich sehr viele verschiedene Formen, Genres und | |
Stile, aber es gibt dort auch einen ganz besonders eigenen Humor. An einer | |
Stelle beschreiben Sie beispielsweise einen jungen Mann, und da heißt es: | |
"Mir schräg gegenüber steht ein blonder Mann, der mir wegen seiner | |
hellblauen Augen schon aufgefallen ist, denn die sehen aus, als wenn sie | |
gleich rauskullern würden. So ähnlich, wie es auch Fische mit solchen Augen | |
gibt, zum Beispiel den Weißpunktkugelfisch." | |
Darüber musste ich lachen. Kugelfische kennt jeder, aber mit dem speziellen | |
Fachbegriff Weißpunktkugelfisch kommen Sie mit einer unangebrachten | |
Selbstverständlichkeit daher, so dass es einfach lustig ist. | |
Worüber können Sie lachen, was finden Sie lustig? | |
Ich kann über Weißpunktkugelfische lachen, na ja, vielleicht nicht lachen, | |
aber lächeln. Ich finde es schön, dass denen die Augen wirklich so sehr | |
abstehen, dass die damit ständig gegen die Aquariumswand donnern. Als ich | |
diese Geschichte schrieb, habe ich zwischendurch eine Zigarre geraucht und | |
etwas ferngesehen. Eine Sendung für Aquarienfreunde. Da erfuhr ich, dass | |
dieser chinesische oder japanische Weißpunktkugelfisch ständig Verletzungen | |
erleiden muss, weil der halt mit seinen Augen überall gegendängelt. Das | |
habe ich in die Geschichte einfließen lassen und fand das sehr komisch. Ich | |
mag die etwas umständliche Art, so etwas auszuführen. Es ist dezenter | |
Humor. Man kann darüber lachen, aber, wenn man nicht will, dann muss man | |
auch nicht und es geht trotzdem weiter - mir ist das sehr angenehm. | |
Ihr Buch vermittelt eine unaufgeregte und unhysterische DDR-Stimmung. Sonst | |
wird die DDR meist verteufelt oder ins Lächerliche gezogen. Ihre | |
Beschreibung hingegen ist sehr liebevoll und bezaubernd, weil die DDR so | |
charmant dargestellt wird. | |
Ja, sicher, die DDR hatte ja auch charmante Seiten. Aber ich sehne mich | |
nicht danach zurück, das muss ich leider sagen - obwohl ich durchaus einen | |
Hang zur Melancholie habe und auch eine Art melancholisches Zurücksehnen | |
durchaus mag, aber eher nach Menschen, nicht nach Staatsformen. Die DDR war | |
ja leider unangenehm durch ihre Staatsform. Nicht in Bausch und Bogen, aber | |
ein System, das Freundschaften auseinanderbringen kann, einfach dadurch, | |
dass der eine ein Spitzel ist und der andere nicht - das nervt. | |
Ihre Geschichten nehmen immer sehr überraschende Wendungen, mit denen man | |
nicht rechnet. So auch die Geschichte über die beiden Schriftsteller Hippel | |
und Strack, die übers Land reisen, um bei einfachen Bauern kostbare | |
Antiquitäten billig zu erstehen, dann aber selbst eine Lehre bekommen. | |
Kannten Sie solche Leute wirklich, oder ist alles frei erfunden? | |
Ach, ich war selbst jemand, der, wenn er auf die Dörfer kam und dort | |
gedreht hat, sich mal umgesehen hat. Kam ich bei solchen Gelegenheiten zum | |
Beispiel auf irgendeinen Dachboden oder in eine Scheune, wo ich etwas | |
Interessantes gesehen habe, dann habe ich die Leute auch schon mal gern | |
gefragt: "Was haben Sie damit vor, oder was machen sie damit?" Zum Beispiel | |
fand ich mal eine schöne kleine Jagdkutsche - da hat mir der Bauer gesagt: | |
"Wenn sie die nur mitnehmen, dann kriegen Sie noch einen Zehner dazu." Der | |
wollte die Scheune leer haben, um seinen frischen Trabant da reinzustellen. | |
Also, so was gab es alles auch im richtigen Leben. Da brauchte ich nicht | |
viel zu erfinden. | |
Eine Geschichte erinnert an den Roman "Lolita" von Vladimir Nabokov: Der | |
Protagonist verliebt oder verguckt sich in das niedliche Kätzchen der | |
Nachbarin. Letztendlich heiratet er die unattraktive Frau, um der Katze nah | |
sein zu können. Haben sie sich etwas an "Lolita" orientiert? | |
Nein, nein, das war gar nicht als Lolita-Geschichte gemeint. Als ich rüber | |
kam, vom Osten in den Westen, da waren gerade volle Pulle Emma und | |
Konsorten angesagt. Und ich war zum ersten Mal konfrontiert mit der Idee, | |
Männer und Frauen sollten gar nicht zusammenpassen. Wo ich doch aber immer | |
Frauen sehr aufregend fand - und heute noch finde. Also fand ich diese | |
Welle große Scheiße. Da dachte ich mir, ich müsste eines Tages, wenn ich | |
nicht mehr so viele Filme drehen muss, also dann müsste ich mal eine | |
Geschichte schreiben, in der die Männerfeindseligkeit mancher verwilderter | |
Frauen richtig veräppelt wird. Als Institution. Als "das andere | |
Geschlecht", das wir doch so - ich glaube, ich gehöre zu einer großen | |
Gruppe von Menschen, wenn ich wir sage -, das wir doch so zu schätzen | |
wissen. Allerdings auch als Objekt der Ausbeutung, darüber brauchen wir gar | |
nicht zu reden, das wissen wir. | |
In genau dieser Geschichte klagt der Ich-Erzähler, die Menschen würden | |
keine Niedlichkeit und keine Nettigkeit dulden. Ist das Ihre persönliche | |
Meinung? | |
Ja. | |
Wie kommen Sie denn darauf? Ich glaube nicht, dass das stimmt. | |
Wenn ich jetzt sagen würde: "Sie sind niedlich …" Oder: "Sie kommen mir | |
niedlich vor …" Oder, ich sage Ihnen: "Sie sind einfach niedlich … So | |
niedlich, wie sie so sind …" Oder: "Sie haben so einen niedlichen Blick und | |
überhaupt ist alles an Ihnen niedlich …", dann hätte ich großes Glück, we… | |
Sie nicht eines schönen Tages sagen würden: "Pass mal auf: Jetzt ist es | |
aber genug mit niedlich!" Die meisten Leute wollen besser sein als | |
niedlich. Sie wollen ernsthafter sein als niedlich. Aber auch wenn es nicht | |
um Niedlichkeit geht, sondern um den Begriff "nett" - das ist ganz ähnlich. | |
Nett will plötzlich auch keiner mehr sein: "Was bin ich? Nett?" | |
Haben Sie auch ein Problem damit? | |
Nein, ich kann es gut ertragen, nett zu sein. Aber ganz viele Leute haben | |
Angst vor mir, weil ich so eine tiefe Stimme habe oder weil ich so groß | |
bin. Die finden mich dann nicht nett und haben eine große Sehnsucht, | |
Abstand zu mir zu wahren. Aber wissen Sie, ich habe als kleiner Junge immer | |
die Hausmeister am meisten geliebt, die so polterig waren und eine tiefe | |
Stimme hatten, die dann so laut schimpften: "Ey, du, wenn du das noch mal | |
machst, dann kannst du was erleben!" Da wusste ich immer schon nach einer | |
Minute: keine Gefahr. Aber so der sanfte Typ, der freundlich fragte: "Sag | |
mal, wer ist eigentlich dein Lehrer, ich würde mit dem gern mal sprechen | |
…", der war mir widerlich. Aber zu dem polternden Hausmeister hätte ich | |
immer gesagt: "Du bist sehr nett, Hausmeister." Als Kind kriegt man das | |
schon mit. | |
In Ihrem Buch kommen wunderbar blutrünstige Mordszenen vor. Haben Sie | |
selbst in ihrer Fantasie schon mal jemanden Bestimmtes genüsslich ermordet? | |
Nein, genüsslich nicht. Aber ich hatte schon so Situationen. Also, wenn ich | |
da ein Messer gehabt hätte … - dann hätte ich jemanden gebeten, das | |
wegzulegen. Wenn ein Mensch etwas tut, wodurch in einem selbst plötzlich so | |
ein heißer Wutstrom aufsteigt, den man gar nicht steuern kann und man zu | |
sich sagt: Bringst du den jetzt um? Bring den doch um, den Idioten! - also | |
so ein reiner Wutstau -, ja, doch, das kann mir schon passieren. Aber | |
genüsslich? Nein, das ist mir zu dicht an Lustmord dran. Nein, ich würde | |
nur in äußerster Wut morden können. Deshalb könnte ich auch keine | |
Vorkehrungen treffen, das müsste dann ganz schnell gehen, sonst lass ich es | |
lieber. Also, ein geplanter Mord wäre nichts. Ich verzeihe zu schnell. | |
In einer weiteren Geschichte beschreiben Sie Stasi-Spitzel sehr liebevoll. | |
Ist das Zynismus? | |
Nein, gar nicht, die waren ja oftmals wirklich entzückend. Zum Beispiel | |
der, den ich in der Geschichte "Schweinchen Schlau" nenne, der war ja eine | |
konkrete Person, der hat mich bespitzelt. Wir waren zwar keine Laboranten | |
in irgendeinem Betrieb - der war Bildhauer und Künstler. Und er hat eines | |
späten Abends bei mir geklingelt, mit diesem beschriebenen | |
Errötungsmechanismus, und sagte: "Lieber Herr Nachbar, ich wohne jetzt auch | |
hier und ich habe erfahren, dass Sie, wenn sie es irgendwo bekommen können, | |
gerne mal einen Säbel oder einen Dolch oder sonst eine alte Waffe kaufen | |
würden. Mein Name ist Sowieso und bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie | |
einfach so belästige." Ich bat ihn herein und so freundete er sich mit mir | |
an. Er hatte viele Kontakte zu Menschen, die immer mal wieder eine kleine | |
Antiquität oder ein Meissner Porzellanfigürchen zu verkaufen hatten und | |
etwas damit handelten. Und alle Leute, die in der DDR mit Antiquitäten zu | |
tun hatten oder damit handelten, die waren bei "Horch und Guck" auf dem | |
Kieker - dafür war mein neuer Nachbar zuständig. | |
Haben Sie irgendwelche unerfüllten Träume? | |
Nein, eigentlich nicht. Alles was ich mir vielleicht noch erträumen wollte, | |
das würde ich mir selbst erfüllen können. Dazu müsste ich aber den Arsch | |
mal ein bisschen früher aus dem Bett kriegen und aufstehen und arbeiten. | |
Wenn ich unbedingt einen Roman schreiben wollte, dann würde ich das | |
glattweg machen. Dazu müsste ich aber mein Familienleben zurückschrauben, | |
mich zurückziehen. Und das fällt mir schwer. Je weniger Jahre bleiben, | |
desto schwerer. | |
INTERVIEW: CORINNA STEGEMANN | |
3 Nov 2008 | |
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