# taz.de -- Giacometti im Alten Museum Berlin: In Würde der Ewigkeit entgegen | |
> Annette neben Nofretete, Djego neben Maja: Auf der Museumsinsel treffen | |
> Alberto Giacomettis Skulpturen auf ägyptische Vorbilder. | |
Bild: Misst sich mit Nofretete: Giacomettis Annette | |
Annette hat sich gegen Nofretete zu behaupten. Die trotz ihres hohen Alters | |
angeblich schönste Frau Berlins muss sich neuerdings Konkurrenz an ihrer | |
linken Seite gefallen lassen. Annette, deutlich jünger, etwa um 3.300 | |
Jahre, sieht zwar ziemlich zerfurcht aus, steht an Haltung und Würde der | |
Ägypterin aber nicht nach. Die ungewöhnliche Paarung geht auf. Keine der | |
beiden Frauen muss sich zurückgesetzt oder beleidigt fühlen. Trotz der | |
Jahrtausende scheint zwischen den beiden Bildnissen eine Art von innerer | |
Verwandtschaft zu bestehen. | |
Direktor Dietrich Wildung hat Giacomettis 1962 entstandene Plastik von | |
dessen Frau "Annette" in seinem Ägyptischen Museum nicht von ungefähr neben | |
die Nofretete gestellt. Denn Alberto Giacometti hat sich zeit seines Lebens | |
mit der ägyptischen Kunst auseinandergesetzt. Zwölf Plastiken des | |
schweizerischen Bildhauers stehen jetzt wie selbstverständlich in der | |
Dauerausstellung zur ägyptischen Skulptur im Alten Museum auf der Berliner | |
Museumsinsel. Die modernen Zugaben stammen aus der | |
Alberto-Giacometti-Stiftung in Zürich. Um sie unterzubringen, hat Wildung | |
einfach ein paar der antiken Stücke weggenommen. | |
Gleich hinter dem Eingang zur Ausstellung kann man in einer Vitrine zwei | |
Bücher zur ägyptischen Kunst entdecken, die Giacometti mit eigenen | |
Zeichnungen versehen hat. Durch diese aus den Zwanzigerjahren stammende | |
Literatur konnte Giacometti die großartigen Stücke der Berliner Sammlung | |
wenigstens im Foto studieren. Im Original hat er sie nie gesehen. Der | |
Pariser Louvre musste ihm das Anschauungsmaterial liefern. Giacometti lebte | |
von 1922 bis zu seinem Tod - mit Ausnahme der Kriegsjahre - in der | |
französischen Hauptstadt. | |
Der Effekt der ungewöhnlichen Paarung von Moderne und Antike ist | |
wechselseitig. Zwar dominieren die Ägypter zahlenmäßig, aber in der | |
Begegnung mit der Moderne offenbaren die Werke der frühen Hochkultur etwas, | |
das den zeitlichen Abstand aufhebt. Tatsächlich waren die ägyptischen | |
Figuren für die Ewigkeit bestimmt. Und so sehr Jean-Paul Sartre Giacomettis | |
Kunst als Ausdruck des existenzialistischen Lebensgefühls reklamierte, auch | |
die Plastiken des Schweizers gehen im bloßen Zeitkolorit der Jahrzehnte um | |
die Mitte des 20. Jahrhunderts nicht auf. | |
Etwas Zeitloses, was die Haltung anbelangt, zeigt sich etwa bei Giacomettis | |
Sitzfigur des Diego von 1964. Diese zwei Jahre vor Giacomettis Tod | |
geschaffene Gestalt ragt mit streng aufrechtem Oberkörper und erhobenen | |
Hauptes aus ihrem klumpigen Sockel heraus, der die überlangen Arme und den | |
Unterkörper in sich eingeschmolzen hat. Die beigegebene Sitzfigur des Maja | |
um 1450 vor Christus hält sich zwar in selbiger Haltung auf ihrem massiven | |
Kalksteinsockel, ihr fehlt aber die schrundig aufgerissene Oberfläche wie | |
bei Giacometti, die von einer existenziellen Zerrissenheit spricht. Trotz | |
der Gefangenschaft von Armen und Beinen wirkt die Giacometti-Figur, als | |
müsste sie zukünftige Geschlechter von der unbeugsamen Würde des Menschen | |
berichten. Und in dieser Haltung trifft sich Giacometti mit den aufs | |
Jenseits orientierten Ägyptern. | |
Formal hat er auf viele Momente in der ägyptischen Kunst zurückgegriffen. | |
Da wären zum Beispiel die mächtigen Sockel, auf denen seine bleistiftdünnen | |
Figuren emporwachsen. In der Gegenüberstellung mit der auf ihrem Holzklotz | |
stehenden "Gabenträgerin" (vermutlich aus Theben 1850 v. Chr.) wird | |
Giacomettis Paraphrase auf die Ägypter plötzlich ganz offenbar. Der | |
mächtige Sockel als raumgebendes Element scheint ebenso von den Ägyptern | |
inspiriert zu sein wie der 1950 entstandene "Käfig". Das Gestell, das die | |
aufgeständerte Bronzebüste umschließt, wiederholt - wie man jetzt sieht - | |
nur die Situation im Museum. Hier markieren die kantigen Glasstürze der | |
Vitrinen ebenjenen Raum, der sowohl als Käfig - im Sinne eines Gefängnisses | |
- als auch als Sphäre auratischer Entrückung fungieren kann. Gestell, | |
Vitrine und Sockel entheben die Skulpturen dem profanen Raum, als seien sie | |
Reliquien, doch in ihrem lebendigen Ausdruck bekommen sie wieder | |
unmittelbare Präsenz. | |
Die verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen Giacometti und den alten Ägyptern | |
verweisen nicht nur auf formale Einflüsse. Giacomettis Rekurs auf die | |
Archaik hat etwas zutiefst Modernes. Es ist eine Rückversicherung an eine | |
Zeit, die jene desillusionierenden und demoralisierenden Erschütterungen | |
des 20. Jahrhunderts nicht kannte, die zu einem ideologischen Rückzug auf | |
die bloße Existenz führten. Auf eine Conditio humana, wie sie Giacometti | |
durch die Ägypter vorbildlich verkörpert sah, wie sie in Hoheit und Würde | |
der Ewigkeit entgegenschreiten. | |
5 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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