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# taz.de -- Eine Wanderung im Süden Tunesiens: Sieben Riesen, wenige Touristen
> Vom Berberort Chenini nach Douiret: Im zerklüfteten Bergplateau des
> Dahargebirges stehen alte Speicherburgen und verlassene Wohnhöhlen.
Bild: Verlassene Speicherburg Ksar Ouled Soltane im Süden
Eine in Serpentinen sich hoch windende Straße führt aus dem Tal hinauf nach
Chenini, einem alten Dorf im Süden Tunesiens. Im Straßenrestaurant am Fuß
des Dorfs fragen wir nach einer ortskundigen Person für eine Wanderung ins
10 km entfernte Douiret. Es wird kurz telefoniert, und während wir auf den
Wanderführer warten, spricht uns ein halbwüchsiger Junge an, woher wir
kämen. Auch sein Onkel arbeite als Zeitungsverkäufer in Tunis, erwidert er
auf unsere Antwort.
In der kargen Region, hier im Dahargebirge, fehlt es an Arbeit. Viele
Männer suchen ihr Auskommen in den Küstenstädten und in Tunis; unter den
Zeitungsverkäufern in der Hauptstadt, von denen etliche aus Chenini
stammen, hört man häufig Berberisch. Das zerklüftete Bergplateau des Dahar
erhebt sich schroff von der Küstenebene im Südosten Tunesiens.
Auf seinen Kämmen und an steilen Hängen reihen sich festungsartige Ksour
(Speicherburgen) wie Glieder einer Kette: Douiret, Chenini, Guermessa,
Ghomrassen, Ksar Haddada, Beni Khedache. Sie dienten der Lagerung von
Vorräten und Wertsachen der Dorfbewohner. Der gesamte Ksar (Singular von
Ksour) ist von Verteidigungsmauern umschlossen, durch die eines oder
mehrere, oft monumental gestaltete Tore nach außen führen. Unterhalb liegen
die terrassenförmig in den Berghang getriebenen Höhlenwohnungen, eine
Moschee und Ölmühle.
In unruhigen Zeiten boten die bis zu 600 Meter hoch liegenden Ksour den
Berberstämmen Schutz vor Überfällen rivalisierender arabischer Stämme. Ihre
ältesten Inschriften gehen bis ins 11. Jahrhundert zurück. Doch gab es in
dieser Gegend wohl schon lange vorher waagerecht in die Hänge gegrabene
Wohnhöhlen.
Der Junge führt uns in den ockerfarbenen verlassenen Ort. Er zeigt uns eine
jahrhundertealte Ölmühle, die noch genutzt wird. Herber Geruch von Oliven
hängt in dem niedrigen, dunklen Gewölbe. In der Mitte das aus dem Fels
gehauene Becken, wo die Oliven zerquetscht werden. Kaum vorstellbar, wie
ein leidgeprüftes Tier – Dromedar oder Esel – in dieser Enge um das Becken
herumläuft und die schwere Steinwalze über die Oliven zieht. Die
entstehende Olivenpaste wird auf übereinandergestapelten, runden
Filtermatten – Scourtins – aus Hanf deponiert. Ein Hebel aus Palmstamm, am
Ende beschwert durch einen mächtigen Steinblock, drückt die Matten
zusammen, das kalt gepresste Öl läuft in ein Auffangbecken. Die Rückstände
werden an Tiere verfüttert.
Wir besuchen die Höhlen. Sie sind aufgeteilt in Wohnbereich und eine
erhöhte Vorratsfläche. Davor ein ummauerter kleiner Hof mit überdachter
Kochstelle, Wasserbehälter, Platz für ein paar Schafe und Ziegen.
Zerbrochene Tongefäße liegen herum, beschädigte Alltagsgegenstände,
dazwischen die eine oder andere intakte Amphore. In Wände einzementierte
Spiegelscherben. Aus Palmstämmen grob gezimmerte Deckenbalken, die nichts
mehr stützen, Türen, die nichts verschließen. Der verlassene Ort macht uns
melancholisch. Oben auf dem Felssattel eine leuchtend weiße Moschee. Von
dort sehen wir die schroffe Bergwelt des südlichen Dahar, am Fuß des
östlichen Steilabfalls direkt unter uns öffnet sich in der Sonne flimmernd
die karge Djeffara-Ebene.
Seit den 1970er-Jahren sind die Jebali, wie man die berberischen
Bergbewohner nennt, in Talsiedlungen gezogen, wo es Strom und fließendes
Wasser gibt. Den hitze- und kältedämmenden Schutz der Höhlenwohnungen haben
sie bei diesem Wechsel eingebüßt. Unter den älteren Jebali ist der
berberische Dialekt lebendig, er wird neben Arabisch gesprochen.
Unser Wanderbegleiter trifft endlich ein und führt uns ein Stück bergab auf
eine befahrbare Piste, die sich um den Berg windet. Linker Hand der
Marabout Beni Barka. Schottersteine springen dumpf zur Seite, als Touristen
im Jeep an uns vorbeibrausen. Eine ummauerte Wasserstelle mit Quellwasser
liegt am Weg, Gelegenheit zur Erfrischung in der noch prallen
Novembersonne. Von der Talseite nähert sich, auf einem Esel reitend, eine
Frau in leuchtend rotem Berbergewand. Ein schriller Klingelton,
unvermittelt bleibt der Esel stehen, die Frau steigt ab, greift in einen
Beutel, hält ein Handy ans Ohr.
Nach etwa zwei Kilometern erreichen wir die weiß getünchte Moschee Jemaa
Kedima. Mit ihren neun Kuppeln und einem windschiefen Minarett ist sie von
Weitem erkennbar. Diese älteste Glaubensstätte von Chenini ist ebenfalls in
den Fels getrieben. Mächtige Stützpfeiler tragen das ockerfarbene
Gewölbeinnere, hie und da Verzierungen, in denen die Dreiecksform
bestimmend ist, sowie berberische Schriftzeichen. Auf dem angrenzenden
Friedhof stechen übergroße, weiß gekalkte Gräber ins Auge. Sieben Riesen
sollen hier liegen. Verfolgte Christen hätten sich in den Berghöhlen
versteckt, seien dort in Tiefschlaf gefallen und zu Riesen herangewachsen.
Jahrhunderte später wachten sie auf und bekannten sich zum Islam. Nun
konnten sie friedlich sterben, so die Legende. Der sagenumrankten Erzählung
verdankt das Gebetshaus seinen Namen: Moschee der Sieben Schläfer.
Den Rat des ortskundigen Begleiters missachtend, klettern wir hinter der
Moschee schnurstracks den steilen Felshang hoch. Nur etwas für
Schwindelfreie. Wir erreichen einen schmalen Pfad, der am oberen Hang bis
Douiret führt. Die Aussicht lohnt alle Mühen! Die öde Dahar-Hochebene,
aufgerissen durch tiefe Schluchten und Canyons, aus denen unerwartet grüne
Flecken leuchten; trotz anhaltender Trockenheit, jährlichen Niederschlägen
um 100 mm, die oft wolkenbruchartig herunter prasseln und das wertvolle
Erdreich mitreißen. Um dies zu verhindern, haben die Bergbewohner kleine
Dämme – Djessour – in den Schluchten und Wadis angelegt: So sind
terrassenförmige winzige Felder entstanden, bepflanzt mit einem knorrigen
Olivenbaum, ein paar Feigenbäumen und Palmen.
Wie grüne Inseln durchziehen die Djessourfelder die Gebirgswüste. Sie
bieten schattige Rastplätze auch für ermattete Wanderer. Irgendwann
erblicken wir das weiße Minarett der Moschee von Douiret. Ein letztes Mal
klettern wir über schroff abfallende Felsen, dann sind wir in dem
erdfarbenen Ort, der sich über mehrere Gebirgsstöcke erstreckt. Douiret ist
jünger als Chenini und wurde von einem Marabout aus Marokko gegründet. Als
Markt- und Umschlagplatz an der Karawanenroute vom libyschen Gadames nach
Gabes erlangte der Ort beachtlichen Wohlstand.
Das auf der Bergspitze thronende Ksar zählte einstmals zu den größten im
Süden, und die von den Frauen gewebten farbenprächtigen Umschlagtücher
machten weithin von sich reden. Längst vergangene Zeiten: Die
mauerumschlossenen Gorfas sind heute stark verfallen, der Ort ist
menschenleer; ein paar Ölmühlen sollen noch in Betrieb sein. Doch es gibt
sichtbare Restaurierungsbestrebungen. In der Nähe der Moschee wurden Bauten
wiederhergestellt, anscheinend für einen Film. Ein pittoreskes
Café-Restaurant ist auch da; man sitzt draußen auf ausgebreiteten Teppichen
und blickt ins Tal. Pause bei Rosmarintee und eiskaltemWasser, wofür ein
mit Gas betriebener Kühlschrank sorgt.
Auf der breiten Plattform unterhalb der Moschee endet die Zufahrtstraße aus
dem Tal. Hier errichtete die französische Kolonialmacht Ende des 19.
Jahrhunderts ihr Hauptquartier, um die auf Unabhängigkeit bedachten
Bergstämme im Auge zu behalten. Wir entdecken ein kleines Höhlenhotel, das
der Verein zum Schutz des kulturellen Erbes von Douiret (Asnaped) betreibt.
Zwei Mitarbeiterinnen zeigen uns die restaurierten Räumlichkeiten;
unerwartet geräumige neun Zimmer in Form von zwei zusammengesetzten
Rechtecken mit Waschmöglichkeit und Toilette.
Am Ende des Nachmittag erleben wir, wie die Sonne hinter den Bergen rot
funkelnd versinkt – und bedauern, dass wir uns nicht hier oben einquartiert
haben.
6 Nov 2008
## AUTOREN
Renate Fisseler
## TAGS
Reiseland Tunesien
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