| # taz.de -- DHL baut über 10.000 Stellen ab: Aussortiert | |
| > 2004 kaufte die Deutsche Post das amerikanische Expressunternehmen DHL, | |
| > nun verabschiedet sie sich von ihrem defizitären US-Geschäft. Rund 10.000 | |
| > Arbeitsplätze sollen allein in Wilmington wegfallen. | |
| Bild: Der Wilmingtoner Bürgermeisters David L. Raizk - neben ihm auf dem Schre… | |
| In Wilmington, im Südwesten des Bundesstaates Ohio, weiß man, wie es sich | |
| anfühlt, verlassen zu werden. Hier rasten bis 1971 die Jets der US-Airforce | |
| gen Himmel - dann war plötzlich Stille. Es folgten zehn bleierne Jahre der | |
| Depression und ein mühsamer Genesungsprozess einer Stadt, die ansonsten | |
| nicht viel zu bieten hat. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. | |
| Erneut sind es Entscheidungen, die woanders getroffen werden, die die rund | |
| 13.000 Einwohner Wilmingtons in die Misere stürzen. | |
| An diesem Montag kam die Nachricht, die alle längst befürchtet haben. Die | |
| Deutsche Post kündigte im fernen Bonn an, bis Ende Januar 2009 einen | |
| Großteil ihres USA-Geschäfts aufgeben zu wollen. Dieses wickelt "The Post", | |
| wie es in Wilmington heißt, über ihr Express-Tochterunternehmen DHL ab, in | |
| deren Sortierzentrum und Frachtflughafen ganz Wilmington arbeitet. | |
| Insgesamt sind etwa 10.000 Menschen aus Wilmington und Umgebung bei DHL | |
| beschäftigt. | |
| Die Konzernleitung im fernen Deutschland wartete bis zum Montag nach der | |
| Präsidentschaftswahl, um ihre Hiobsbotschaft zu verkünden. Joe Teuchert und | |
| seine Mitstreiter von "Save the Jobs" waren vorgewarnt. Teuchert ist dick, | |
| 47 Jahre alt und "am Arsch", wie er sagt. Eigentlich hatte das Jahr prima | |
| für ihn begonnen. Seit 26 Jahren fliegt er große Transport-Boeings durch | |
| die USA, Luftfrachtzustellung ist sein Geschäft. Weil alles so gut lief und | |
| er seit 2004 einen bombensicheren Job bei der DHL zu haben glaubte, kauft | |
| er Anfang des Jahres ein Baugrundstück in Wilmington und zeugt ein Kind. | |
| Als Ende Mai die ersten unheilvollen Gerüchte aus Bonn nach Ohio dringen, | |
| sein Arbeitgeber werde sich möglicherweise aus dem nationalen | |
| Frachtgeschäft zurückziehen, bekommt Teuchert Panik. | |
| Zum einen hat sein Baugrundstück, in das er seine ganzen Ersparnisse | |
| gesteckt hatte, über Nacht jeglichen Wert verloren. Außerdem wird bei | |
| seiner Frau eine degenerative chronische Krankheit diagnostiziert, die ihm | |
| so viel Angst macht, dass er sie lieber nicht nennen möchte. "Wenn ich Ende | |
| Januar meinen Job verliere, stehen wir auch noch ohne Krankenversicherung | |
| da", sagt Joe und wirkt dafür ziemlich gefasst. | |
| Statt herumzusitzen und Däumchen zu drehen, hat er bereits im Sommer mit | |
| anderen Bürgern die Initiative "Save the Jobs" (Rettet die Arbeitsplätze) | |
| gegründet und fungiert nun als deren Sprecher. Die rund 20 Aktivisten haben | |
| in den letzten Monaten ihre Kongressabgeordneten herbeizitiert. Sie haben | |
| gemeinsam mit dem Bürgermeister und anderen Honoratioren den Gouverneur von | |
| Ohio eingeladen. Sie konnten sogar mit den beiden | |
| Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama sprechen - beide | |
| schauten im Sommer vorbei und beide setzten sich immerhin dafür ein, dass | |
| im Washingtoner Kongress zwei Anhörungen zu dem Thema stattfanden. | |
| Anlass war, dass viele vermuten, es könne zwischen DHL und seiner | |
| amerikanischen Konkurrentin UPS hinter verschlossenen Türen längst zu | |
| kartellrechtlich illegalen Absprachen gekommen sein. Offiziell ist bis | |
| heute nur, dass es einen Deal zwischen DHL und UPS gibt - über die Details | |
| wird geschwiegen. | |
| Joe Teuchert und andere Empörte sind persönlich nach Washington gereist, um | |
| vor der Deutschen Botschaft gegen den Arbeitsplatzabbau in Wilmington zu | |
| protestieren. Sie haben sogar einen offenen Brief an Angela Merkel | |
| geschrieben und darin um die Rücknahme der Entscheidung gebeten. | |
| Ohne Erfolg, wie man nun weiß. Schon vor Monaten machte sich in der | |
| Kleinstadt das Gefühl breit, von den Deutschen hintergangen worden zu sein. | |
| "Von den Managern haben sie hier erst mal genug", sagt an der Bar des | |
| gediegenen altenglischen Denver-Hotels Scott Perrish. Er arbeitet im | |
| Bürgermeisteramt und ist einer der wenigen nicht direkt Betroffenen. Aber | |
| um ihn herum sitzen seine Freunde und Bekannten auf riesigen | |
| Hypothekenschulden, haben Kinder in der Ausbildung und Autos, die nicht | |
| abgezahlt sind. Einer, den er gleich an die Journalistin vermitteln will, | |
| schnauzt ihn am Telefon an, ob er verrückt geworden sei. Er könne doch | |
| nicht mit der Presse reden, sonst sei er morgen arbeitslos. Kleinlaut | |
| entschuldigt sich Scott. Der Freund, sagt er dann entschuldigend, sei einer | |
| der Personalchefs am Frachtflughafen, der bereits seit Wochen Entlassungen | |
| aussprechen muss. "Es ist echt Scheiße und er fühlt sich total verarscht, | |
| weil er weiß, dass er selbst bald dran ist", versichert Scott. | |
| Scotts Chef, der Bürgermeister, hat schon dunkle Ringe unter den Augen. Es | |
| ist bereits Nacht und er sitzt immer noch in seinem Büro, einen Block | |
| hinter dem Denver-Hotel. Die US-Flagge im Rücken und das Foto seines | |
| Treffens mit Barack Obama im goldenen Bilderrahmen neben sich, wühlt David | |
| Raizk in seinen Papierstapeln. "Ich werde wütend, wenn die Leute so etwas | |
| sagen. Wilmington wird keine Geisterstadt, wenn DHL sich hier | |
| verabschiedet", sagt Raizk energisch. | |
| Offiziell hatte die DHL im Februar erstmals Verluste in Höhe von 1,2 | |
| Milliarden Dollar im US-Geschäft eingeräumt. Aber immer wieder hatte das | |
| Management ihm versichert, dass nach einer notwendigen Restrukturierung | |
| alles wieder gut werde. "Die meisten hier kapieren nicht, wie man ein | |
| Unternehmen so schlecht führen kann", schnaubt Raizk. "Keiner, den ich | |
| kenne, würde seine eigene Firma so herunterwirtschaften, wie es die | |
| DHL-Manager hier getan haben." Ihn und viele Wilmingtoner ärgert, dass | |
| ihrer Meinung nach Manager zu Gange waren, die vom US-Geschäft mit der | |
| Luftfracht wenig verstanden. Und: "Dass sie nicht auf Ratschläge hören | |
| wollten." | |
| Nicht hören, nicht sehen, nicht reden. Die Konzernleitung ruft die | |
| Reporterin trotz mehrfacher Anfrage nicht zurück. Der Bürgermeister fühlt | |
| sich persönlich düpiert, wie die Firma die Krise gehandhabt hat. Denn noch | |
| Ende Mai hatte ihn die Deutsche Post als Wilmingtoner Repräsentanten zur | |
| feierlichen Eröffnung des neuen DHL-Drehkreuzes nach Leipzig-Halle | |
| eingeladen. In Bonn muss er mit anhören, wie ein Konzernchef bei der | |
| Pressekonferenz ankündigt, dass man das Wilmingtoner Fluggeschäft in großen | |
| Teilen der Konkurrentin UPS überlassen wolle. Raizk fällt fast das Häppchen | |
| aus der Hand. Das ist eine ganz schlechte Nachricht - so viel war klar: Die | |
| Deutsche Post hatte sich mit ihrem Kauf der amerikanischen DHL über Nacht | |
| zu einem der großen drei Player im globalen und lukrativen | |
| Luftfrachtgeschäft gemacht, hatte das Geschäft offensichtlich versiebt - | |
| und wollte nun freiwillig den Platz der Konkurrenz räumen. | |
| Der Bürgermeister alarmiert noch aus Bonn die Ohioer Kongressabgeordneten | |
| und Gouverneure per Handy. Ausnahmsweise ziehen alle trotz des erbitterten | |
| Wahlkampfes an einem Strang, egal ob Republikaner oder Demokrat. Der | |
| Kongress bewilligte, noch bevor ein einziger DHL-Job gestrichen worden war, | |
| ein Notprogramm. Das war vorausschauend, davon können nun bald arbeitslos | |
| werdende Familien in Wilmington profitieren. Fürs Erste jedenfalls. | |
| An den rund 10.000 großzügig bezahlten, mit guten Kranken- und | |
| Rentenversicherungen einhergehenden DHL-Arbeitsplätzen hängen, wie in einem | |
| Spinnennetz, weitere 20.000. Denn von DHL leben nicht nur die Piloten und | |
| Sortierer, sondern auch der lokale Buchladen, die Restaurants der Region, | |
| die Arztpraxen, die Bars und all die sozialen Einrichtungen der | |
| benachbarten Landkreise, die bislang zu großen Teilen mit Spenden der gut | |
| Verdienenden finanziert wurden. | |
| "Hier geht alles den Bach runter", ist sich Mary Houghtaling, die selbst | |
| ein Hospiz leitet, sicher. Sie hatte im Sommer die Initiative ergriffen und | |
| sich ins Auto gesetzt, um dem Präsidentschaftskandidaten John McCain bei | |
| einer Wahlkampfveranstaltung von dem drohenden Debakel zu berichten. Das | |
| brachte Wilmington Aufmerksamkeit und etwas später sogar den Besuch Barack | |
| Obamas. Doch "die und Washington werden nicht viel für uns tun können", | |
| glaubt die Buchhändlerin Marla Stewart. Auch sie ist Mitglied der "Save the | |
| jobs"-Initiative. Wenn ihr Buchladen schließen müsste, das könnte sie noch | |
| verkraften. Sie bekommt als ehemalige Lehrerin eine Rente. Aber ihre | |
| Tochter hat sich nebenan gerade mit einer Sandwicheria selbstständig | |
| gemacht. "Sie würde alles verlieren und ist noch jung", sagt Marla Stewart | |
| traurig. | |
| Die Wilmingtoner verstehen nicht, wie eine ganze Firmenleitung so | |
| verantwortungslos mit ihrem Leben umgehen kann. Sie sind auch verärgert, | |
| weil DHL zu seiner Ansiedelung im Jahr 2004 Steuererleichterungen und | |
| Investitionshilfen in Höhe von 422 Millionen Dollar bekommen hatte. "Wir | |
| haben alle so viel für DHL getan. Und würden noch mehr tun. Aber dann reden | |
| sie nicht einmal mit uns", erklären sie immer wieder. "Bei euch in | |
| Deutschland gab es doch erst vor kurzem auch so einen Fall. Da wollte sich | |
| Nokia vorzeitig wieder verabschieden, da ward ihr doch auch ganz sauer, | |
| oder?", fragt Joe Teuchert. Er will nicht akzeptieren, dass es einfach ein | |
| globalisiertes Zahlenspiel sein könnte, dass Wilmington auf die | |
| Abschussliste gesetzt hat. "Eure Kanzlerin muss sich doch fragen, was es | |
| für das deutsch-amerikanische Verhältnis bedeutet, wenn der Eindruck | |
| entsteht, dass die Deutsche Post das Leben vieler Menschen im Herzen | |
| Amerikas zerstört? | |
| 11 Nov 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Adrienne Woltersdorf | |
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