# taz.de -- Neues Album von Ryan Adams: Das Leben nach der Droge | |
> Ryan Adams war berüchtigt für seine drogengestützte Produktivität. Er | |
> brachte eine Platte nach der nächsten heraus. Nun ist er clean, ließ sich | |
> etwas Zeit und hat "Cardinology" eingespielt. | |
Bild: Ryan Adams und seine Band. | |
Die Auswirkungen des Missbrauchs von Rauschgiften sind traditionell ein | |
zentrales Thema der Rockmusik. Weniger gut dokumentiert sind bis heute | |
dagegen die Implikationen eines weitgehend gesunden Lebenswandels auf die | |
Herstellung von Rockmusik. Dass Exjunkies eine erstaunliche Produktivität | |
an den Tag legen können, war bekannt. Diesem Problemkreis der Popgeschichte | |
fügt Ryan Adams nun mit "Cardinology" ein ganz neues Kapitel hinzu. | |
Dass Adams eine unglaubliche Frequenz bei der Fabrikation von Songs | |
vorlegte, das war schon immer bekannt. Dann gestand der New Yorker ein, | |
dass seine legendäre Arbeitsgeschwindigkeit nicht zuletzt befeuert wurde | |
von Morphium, Schmerzmitteln, Alkohol und vor allem Speedballs, einer | |
Mischung aus Heroin und Kokain. Diese Drogenvergangenheit und den Entzug | |
verarbeitete er in den Songs von "Easy Tiger", das im vergangenen Jahr | |
erschien. Doch nachdem er vorher mehrere Platten pro Jahr veröffentlicht | |
hatte (und das, was das Licht der Öffentlichkeit erblickte, nur ein Teil | |
von dem war, was bei der Plattenfirma landete), präsentiert sich Adams | |
nüchtern mit einem deutlich niedrigerem Arbeitstempo: Ein Jahr brauchte | |
Adams für "Cardinology". Es zeigt einen runderneuerten, sauberen Künstler. | |
Die unüberhörbare Folge ist, dass Adams seine Begleitband, die Cardinals, | |
nun eine Americana spielen lässt, die man auch als soliden Countryrock | |
bezeichnen könnte. Die unfertigen Songs, die Brüche und Ungereimtheiten, | |
die sein bislang in manischem Tempo an die Öffentlichkeit befördertes Werk | |
auszeichneten, sucht man auf "Cardinology" vergeblich. Stattdessen klingt | |
das Album so staatstragend und mehrheitsfähig, dass Adams demnächst den | |
verstaubten Thron von Bruce Springsteen erobern sollte. | |
Natürlich bietet auch diese, seine zehnte reguläre Albumveröffentlichung | |
neben diversen EPs, mehreren von Plattenfirmen im Giftschrank versenkten | |
Alben und dutzenden von zum kostenlosen Download bereit gestellten | |
Experimenten, die Möglichkeit zu einer sorgsamen Verästelung der | |
Adams-Exegese. Man kann feststellen, dass die Cardinals seinen Songs einen | |
so satten, runden, konzentrierten Sound wie noch nie verschaffen, dass sie | |
geschickt Spurenelemente aus Gospel und Folk integrieren. Man kann | |
erwähnen, dass diese Songs versiert konstruiert sind, aber halt kaum einmal | |
die üblichen Singer/Songwriter-Schemata zu sprengen versuchen. | |
Auch die Haltung, die Adams einnimmt, entwickelt zunehmend einen gewissen | |
altväterlichen Habitus. Meistens ist es die zurückgelehnte des Beobachters. | |
Der sitzt mal am Pier und beobachtet die Boote beim Vorbeischwimmen, ein | |
andermal blickt er in einen alt gewordenen Abend und sieht die Sonne müde | |
werden. Es geht viel um Einsamkeit auf "Cardinology", um gescheiterte | |
Beziehungen, aber Adams kreist lange nicht mehr so dringlich um seinen | |
Bauchnabel wie noch vor seinem Entzug. | |
Erst am Ende von "Cardinology" kehrt Adams noch einmal zu seinem | |
Drogenproblem zurück. In "Stop" singt er mit brüchiger Stimme von dem | |
Honig, der krank macht. Es ist intensiv und intim, bedrückend persönlich | |
und berückend gesungen. Es ist der beste Song des Albums. | |
Adams aber steuert die Cardinals in eine andere Richtung. Man sei, ließ er | |
verlauten, momentan schwer begeistert von Oasis, denen man schon öfter die | |
Vorgruppe gegeben hat, oder den Foo Fighters. Fürs kommende Jahr hat der | |
mittlerweile 34-Jährige schon mal eine erste Retrospektive auf sein | |
Schaffen geplant: "Anthology". | |
Aber Sorgen um einen ob der Enthaltsamkeit womöglich drohenden Kreativstau | |
muss man sich bei Adams nicht machen. Der Mann kann auch ohne chemische | |
Unterstützung vor allem eines nicht: das Wasser halten. Reichlich neue | |
Songs sollen auch auf "Anthology" wieder drauf sein. Außerdem erscheint | |
sein erstes Buch, "Infinity Blues", und bloggen tut er natürlich auch. | |
14 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
Thomas Winkler | |
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Schwerpunkt #metoo | |
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