Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wie TV-Köche uns verhöhnen: Kulinarische Kapitalisten
> Schwatzhafte TV-Köche bereiten Wachtelhirnsoufflé mit Gebirgsenzian oder
> Feigen-Chutney zu. Leisten kann sich das kaum einer.
Bild: Nur mit einem süßen Sancere-Wein zu verkraften: TV-Koch Johann Lafer.
Im deutschen Fernsehen wird tranchiert, filetiert, blanchiert, pochiert,
sautiert und rotiert, bis die Gallensteine klimpern. Pro Woche gibt es um
die 90 Kochshows. Über 30 Köche laden zum Augenschmaus - vom fränkischen
Blondie bis zum englischen Punker - und wenige sind sogar erträglich. Etwa
Vincent Klink ("ARD-Buffet"), Alfons Schuhbeck ("Schuhbecks" auf BR) oder
das Brutzel-Paar Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer ("Servicezeit:
Essen & Trinken" in WDR und SDR).
Am menschlichsten geht es zu bei Vincent Klink und dem Duo Martina Meuth
und Bernd Neuner-Duttenhofer. Zumal sie aussehen, als würden sie selber
essen, was sie kochen. Sie sind die dienstältesten Köche im deutschen
Fernsehen und geben nicht nur brauchbare Tipps - die Gerichte sind sogar
bezahlbar.
Beim nuschelnden Rolf Zacherl (der mit dem Ziegenbart) oder der
norddeutschen Oberquatsche Reiner Sass (Hauptberuf Versicherungsvertreter)
wirds mühsam, aber längst nicht so quälend wie bei Johannes B. Kerner. Der
Dampfplauderer schob bis Mitte des Jahres im ZDF jede erdenkliche
Peinlichkeit in die Röhre. Jeweils in Tateinheit mit fünf Köchen der
gehobenen Art. Inzwischen ist er von Ex-RTL-Moderator Markus Lanz abgelöst
worden, dessen Vorteil vor allem darin besteht, dass er kleinere Ohren hat
als Kerner und angeblich besser aussieht.
Auch versteht er mehr von der Sache. Als Absolvent der Bayerischen Akademie
für Werbung weiß er, wie man Zutaten so verdeckt, dass der Zuschauer den
Hersteller trotzdem erkennt. Dass sein Vorzeigekoch Johann Lafer spricht
wie ein Rheumadeckenverkäufer, ist mit einem süßen Sancere-Wein gerade noch
zu verkraften. Selbst den zwanghaften Pausenclown Horst Lichter
(Zwirbelbart mit angeklebtem kleinen Mann) können sich die Zuschauer
passabel saufen. Die kredenzten Gerichte aber nicht.
Denn die Rehrückenmedaillons mit Feigen-Chutney oder das Sashimi und Tatar
vom Thunfisch mit Kokos-Wasabi-Creme verhöhnen den gemeinen Zuschauer. Im
Berliner Kaufhaus des Westens kostet das entsprechende Rehfleisch etwa 80
Euro pro Kilo (in Worten: achtzig). Allerdings in Dreisternequalität. Der
frische Sashimi-Thunfisch ist schon für um die 60 Euro pro Kilo zu haben.
Das können sich höchstens geschasste Bankvorstände leisten. Über 20 Prozent
der Bundesbürger leben unter der Armutsgrenze oder stehen dicht davor. Und
nun sollen sie mit ihren 140-160 Euro pro Monat fürs Essen die
kulinarischen Protzigkeiten nachkochen. Lanz kann das egal sein. Die
Zuschauer, besonders die mit Hartz IV, sollen sich die Rezepte gefälligst
auf ihre Bedürfnisse zuschneidern.
Wieso muss es für Leute, die dem Staat auf der Tasche liegen, unbedingt
frischer Thunfisch sein? Tuts nicht auch ein Aldi-Hering aus der Dose für
69 Cent? Der braucht auch kein Feigen-Chutney, weil er in öliger
Tomatensoße schwimmt. Wer sich den Luxus erlauben kann, nimmt als Beilage
eine Scheibe Brot, die er in die rote Pampe tunkt. Am ersten Weihnachtstag
aber darf auch das Prekariat in die Vollen gehen: gefrostete
Makrelenfilets. Vier Stücklein à 100 Gramm für 2,20 Euro, der Einfachheit
halber gebraten. Als Tatar wären sie etwas streng und würden die leicht
aufwendige Kokos-Wasabi-Creme erfordern (Kokoscreme, Crème fraîche,
Ruccola, Sesamöl, Reisessig, Wasabipaste).
Ansonsten aber alles wie bei Lafer: Packung aus dem Kühlfach nehmen und an
der vorgestanzten Stelle langsam von links nach rechts aufreißen. Niemals
umgekehrt, das beeinträchtigt den Geschmack der Kartons. Den Fisch einige
Stunden auftauen lassen, bis sich typischer Makrelengeruch entwickelt. Mit
wenigen Tropfen Essig beträufeln. (Eine Lafer-Zitrone mit unbehandelter
Schale kostet 40-60 Cent.) Salzen, pfeffern und sorgfältig in Mehl des Typs
405 wenden. Eine Pfanne punktgenau auf den Herd setzen und feines Rapsöl
aus der Biodieselproduktion hineingeben. Warten, bis es noch nicht qualmt.
Die Makrelenfilets anheben, vorsichtig zur Pfanne tragen und so
hineingleiten lassen, dass sie allseitig von Öl umgeben sind. Von beiden
Seiten kurz, aber streng anbraten. Herausnehmen und ins auf 120 Grad
vorgewärmte Bratrohr stellen.
Hartz-IV-Empfänger, die nur Herdplatten besitzen, können den Fisch
ersatzweise an ihr Fenster stellen und in der heißen Sonne durchgaren
lassen. Nun die Designerteller vom Trödelmarkt vorwärmen, auf einen
waagerechten Untergrund stellen und die Filets mittig platzieren. Eine
Dekoration mit den obligatorischen Basilikum- oder Minzeblättchen muss aus
Kostengründen entfallen, kann aber durch die Scheibchen einer Gewürzgurke
oder Paprikastreifen aus dem Glas ersetzt werden Als Beilage gibt es Nudeln
Bouillie, bereitet in reinem Leitungswasser, raffiniert verfeinert mit
Margarine. Kartoffeln wären auch möglich, sind aber für den
Hartz-IV-Empfänger als Frischware nicht mehr zu bezahlen. Trotzdem steht
dieses vereinfachte Thunfischgericht dem teuren Vorbild in nichts nach. Es
kommt nur auf die Betrachtungsweise an: In einer Sozialwohnung wirken
Makrelenfilets genauso attraktiv wie der Edelfisch in einem hochgefeinten
Restaurant oder einer Grunewald-Villa.
Auch die Rehrückenmedaillons lassen sich preisgünstig nachempfinden.
Aufgeschnittenes Würzfleisch aus der Dose ersetzt die Fleischscheiben und
Brühe vom Maggi-Würfel den Wildfond für die Soße. Kostspielige Kräuter
erübrigen sich. Die Dosenware ist ausreichend übersalzen. Einziger
Nachteil: Die aufgezeigten Alternativen entsprechen nicht den Vorstellungen
des ehemaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU). Der beklagte,
dass 51 Prozent aller Deutschen übergewichtig sind, obwohl er selbst recht
massiv ist. Zugleich verlangte Seehofer Aufklärung. Besonders nicht
studierte Bundesbürger meiden Obst und Gemüse, mageres Fleisch, frischen
Fisch und gesunde Kräuter. Im Prinzip alles, was bei den Lanz-Köchen auf
den Teller kommt.
Angeblich ist einseitige und dick machende Ernährung nichts als
Bequemlichkeit. Dem Hartz-IV-Empfänger ist es lästig, holländische
Wintertomaten für 2,98 pro Kilo auf dem Bio-Markt zu kaufen statt billige
Sommerware in der Dose. Er scheut auch den Weg zum Thunfisch ins
Fachgeschäft. Fischstäbchen gibt es beim Discounter um die Ecke für 9-15
Cent das Stück, sie sind schneller zubereitet und nicht so glitschig. Die
anderen feinen und gesunden Sachen, etwa das mundgepresste Walnussöl oder
die mit marokkanischer Volksmusik ausgewachsenen Feigen, gibt es ohnehin
nur in der Lanz-Kochshow.
Darum verlässt sich der Hobbykoch ohne Universitätsabschluss lieber auf
Probates. Etwa Königsberger Klopse von Kaisers, küchenfertig eingefroren
für 74,5 Cent pro Person. Wenn im TV schwatzhafte Köche das
Wachtelhirnsoufflé an Lerchenzungensülze auf Spitzen vom Gebirgsenzian
bereiten, lehnt er sich vor dem Fernseher zurück, versteht die Welt nicht
mehr und greift zu seinem Chateau Margeaux aus der Bierflasche. Er ist
damit in bester Gesellschaft. Die Zeitschrift Feinschmecker hat einmal
Sterneköche und Restaurantkritiker nach ihren geheimen Gelüsten befragt.
Die Antworten reichten von Currywurst über Ölsardinen (direkt aus der Dose)
bis hin zu Schweinskopfsülze mit Bratkartoffeln und fetter Remoulade.
Wer ist hier der Gourmet?
15 Nov 2008
## AUTOREN
Reinhard Siemes
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.