Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 16. Open Mike Wettbewerb in Berlin: "Ich stinke nach Großmutters T…
> Das 16. Open Mike, ein internationaler Wettbewerb für junge
> deutschsprachige Prosa und Lyrik in Berlin, war eher solide. Es fehlte
> der Mut zum Experiment.
Bild: Namenspatron des Open Mike: Mikrofon.
Das Bohei ist vorbei. Am späten Sonntagnachmittag wurden in der Wabe in
Berlin-Prenzlauer Berg die GewinnerInnen des 16. Open Mike, des Wettbewerbs
für junge angehende Literaten, gekürt. Es sind, in der von der Jury
bestimmten Reihenfolge: Sonia Petner, 1. Preis für ihre Geschichte
"Zitronen" (3.500 Euro), Svealena Kutschke, 2. Preis für die Geschichte
"Rückspiegel" (2.500 Euro), sowie Thien Tran, der für seine Gedichte den
mit 1.500 Euro dotierten 3. Preis erhielt. Der von einer von der taz
ermittelten Jury bestimmte Publikumspreis ging an Johanna Wack. Ihre
Geschichte "Punkte" wird in dieser Zeitung zu lesen sein.
Das Bohei ist vorbei: Zwei Tage lang hat ein stets sehr gut besuchter Saal
insgesamt 22 Autorinnen und Autoren zu sehen und hören bekommen, unterteilt
in 15 Prosa- und 7 Lyrikbeiträge. 22, so viel noch zu den Fakten, die aus
650 Einsendungen (120 davon Lyrik) von arrivierten Lektorinnen und Lektoren
für diese Endausscheidung ausgewählt worden sind.
Das große Bohei der letzten Jahre fand dieses Jahr nicht statt. Was auch
daran lag, dass der Wettbewerb sich in einer Konsolidierungsphase befindet.
Aber wo Konsolidierung sich breitmacht, da ist die Krise meist nicht mehr
weit: Nachdem in der Vergangenheit hippe Themen wie Popliteratur,
Fräuleinwunder und die Diskussionen um die Schreibschulen in Leipzig und
Hildesheim (auch 2008 waren wieder einige Schreibschulgestählte in der
Endrunde) in aller Munde waren, machte sich bis hin zur Jury diesmal
Ratlosigkeit breit. Tendenzen waren kaum auszumachen. Die Texte waren fast
durch die Bank solide, Ausfälle gab es so gut wie keine. Die Themenwahl war
breit gefächert, es gab Pop, es gab sensible Beziehungs- und Provinztexte
und solche, die sich mit dem Schicksal und der sozialen Realität
Behinderter auseinandersetzten.
Was fehlte, war die Spannung, was fehlte, waren eigene Stimmen, war
Waghalsiges, der Mut zum Experiment, auch der Mut zu politischen und
sozialen Auseinandersetzungen. Hartz IV, Finanzkrise, Klimawandel,
Kapitalismuskritik oder individueller Furor, Weltschmerz und Hass: Extreme
haben in den Schreibstuben jüngerer AutorInnen anscheinend keinen Platz.
Von der reinen Lust am Spiel mit Sprache ganz zu schweigen.
Was dazu führte, dass sich sogar die nicht unbedingt für Wagemut bekannten
LektorInnen zu dem Appell berufen fühlten, nicht immer nur Geradliniges,
Konventionelles, solide Durcherzähltes abzuliefern. Mehr Mut zum
Experiment! Oder, wie es Jurymitglied Monika Rinck treffend sagte: "Es ist
nicht einfach, aber wir sollten nicht vergessen, dass wir die Freiheit der
Wahl haben. Und wir sind nicht hier, weil es einfach ist."
Mut zum Experiment also. Die Jury, neben Rinck aus den Erfolgsautoren
Zaimoglu und Glavinic bestehend, fand angesichts durchgehend
konventioneller Texte für sich die Lösung darin, sprachlich nicht immer
konsequente, dafür genaue, in die Schmerzzonen von Dreiecks- und
Familienbeziehungen gehende Prosa auszuzeichnen. Petner, 1979 in Polen
geboren, erzählte vom Familienleben auf dem Land, von Alltag und Tod, von
Flüssen, Tee und elektrischen Sägen. Satzproben gefällig? "Ich stinke nach
Großmutters Tod. Sie war geschrumpft wie beim falschen Waschgang." Die aus
Lübeck stammende und in Hildesheim studierte Kutschke blickte in ihrem Text
auf zwei Männer zurück, auf Zusammenwohnen und Lieben. Vorgetragen hatte
sie ihn mit einer tiefen, sehr gut klingenden
Nachrichtensprecherinnenstimme. Ihr Nico-haftes Auftreten trug neben der
unabstreitbaren Textqualität dazu bei, dass man sich an Kutschke noch am
zweiten Wettbewerbstag erinnerte.
Erstaunlich ist aber schon, dass diese Schreibarten, meist von Frauen
verfasst, sich in Wettbewerben gegenüber männlichen Entwürfen wie
beispielsweise der soliden, leicht zynischen und sehr gut vorgetragenen
Provinzerzählung "Farzner" von Alexander Langer oder dem luftigen Text von
Oliver Kluck, der DDR-Geschichte aus jugendlicher Westsicht nacherzählt,
immer wieder durchsetzen können. Auch die durchaus witzige
Diskursbetrachtung "mein neues hobby" von Martin Fritz (Satzprobe: "jeder
geschlossene raum ist im grunde eine einbaumhöhle") über Eichhörnchen hätte
ebenfalls einen Preis verdient gehabt.
Der Lyrikpreis für den in Saigon geborenen Kölner Thien Tran hingegen war
nur logisch: Tran schaffte es von sieben LyrikerInnen als Einziger,
Gegenwärtigkeit, Diskurswissen und Sprachbetrachtung zu eigenständigen und
Kommunikation anbietenden Gedichten zusammenzufügen.
Der Wettbewerb hat daneben auch gezeigt, dass selbst die sich
unkonventionell gebenden Texte oft schon wieder konventionell erscheinen:
Denn Montagetexte, Zitattechniken etc. hat es allein beim Open Mike in den
letzten Jahren immer wieder gegeben, die Macharten unterscheiden sich kaum.
Das gilt auch für das Spiel mit Accessoires beim Vortrag - für den
insgesamt selbiges galt: Die Lesungen waren weitgehend einwandfrei, aber
auch unspektakulär, und die spektakulär gedachten Einlagen meist albern.
Beim Vortragen selbst herrschte der bei Lesungen mittlerweile übliche
Leierkastenton. Die Ausnahme hat zurecht den Publikumspreis bekommen.
18 Nov 2008
## AUTOREN
René Hamann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.