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# taz.de -- Film über Brasiliens Indianer: Heute Reservat, morgen Showbiz
> Marco Bechis Spielfilm "Birdwatchers" erzählt von den Kaiowá-Indianern
> und ihrem Überlebenskampf. Für das Filmfestival in Manaus verließen die
> "Schauspieler" ihr Reservat.
Bild: Sieger in Manaus: Der austroiranische Regisseur Arash Riahi feiert zusamm…
Dutzende Mitglieder einer Sambaschule paradieren am Rande eines
Swimmingpools vorbei. Die Partygäste halten Caipirinha-Gläser in den Händen
und bestaunen ein prächtiges Feuerwerk. Neben den knapp bekleideten
Sambatänzerinnen wirft sich ein Indianer mit wallendem Haupthaar in Pose
für ein Erinnerungsfoto.
Es handelt sich aber nicht um die Eröffnung des Karnevals in Rio. Das
rauschende Fest in einem Luxushotel beschließt das Amazonas Film Festival
im brasilianischen Manaus. Der würdevoll dreinblickende Indígena ist
Ambrósio Vilhalva, Schauspieler in "Birdwatchers", dem der Jurypräsident
Alan Parker Stunden zuvor den Spezialpreis der Jury verliehen hat.
In Brasilien trägt der Spielfilm des Italochilenen Marco Bechis, der
nächste Woche in den Kinos anläuft, den Titel "Terra Vermelha" ("Rote
Erde"). Denn der Landnahme durch weiße Farmer im Bundesstaat Mato Grosso do
Sul sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur Tausende Ureinwohner vom Volk
der Guarani-Kaiowá zum Opfer gefallen, sondern auch 98 Prozent des "dichten
Waldes" (mato grosso).
"Birdwatchers" behandelt den blutigen Landkonflikt ohne moralisierenden
Zeigefinger, die wirtschaftlichen Hintergründe werden diskret angedeutet.
Der Großgrundbesitzer, seine Frau, die europäische Touristen durch die
Restwildnis führt, die mit einem Indígena kokettierende Tochter, der
hilflose paraguayische Aufpasser - sie wirken erschreckend normal. Im
brasilianischen Mittelwesten sind sie die sichtbaren Vorposten des
milliardenschweren Agrobusiness: Das dort produzierte Rindfleisch, das
Gensoja und das aus Zuckerrohr gewonnene Ethanol sind für die
Ballungsgebiete im brasilianischen Küstenstreifen oder für den Export
bestimmt.
Die Protagonisten jedoch sind die Kaiowá, eine Untergruppe der über mehrere
Länder verstreuten Guaranivölker. Die Darsteller von fünf indianischen
Filmfiguren sind nach Manaus gekommen, wo sie den Festivalzirkus zwischen
Oper und Luxushotels, Empfängen und Bootstouren mal staunend, mal
begeistert verfolgen. In Amazonien sind sie allesamt zum ersten Mal, der
Kontrast zu ihrem Alltag ist immens. "Ist das ein Fluss oder ein See?",
fragt Alicélia Cabreira, 28, auf dem Amazonasnebenarm Rio Negro. "Der
Dourados, der im Film vorkommt, ist so weit weg von unseren Reservaten." -
"Einen Teil des Geldes, das hier ausgegeben wird, könnte man gut in
Sozialprojekte stecken", findet der 19-jährige Abrísio da Silva Pedro nach
der Übernachtung in einer kitschigen Jungle Lodge. Der erfahrene Vilhalva
sieht das pragmatischer: "Sie sollen das ruhig ausgeben, das ist auch ein
Weg, um unsere Sache voranzubringen".
Die Sache, das ist der Kampf der Kaiowá ums sprichwörtliche Überleben.
Marco Bechis wurde vor fünf Jahren auf das Thema aufmerksam, nachdem er
zwei Filme über die argentinische Militärdiktatur gedreht hatte. "Marco
lebte in Mailand im selben Haus, in dem die Hilfsorganisation Survival
International ihr Büro hatte", erzählt Nereu Schneider, dessen Engagement
für die Kaiowá bis in die Achtzigerjahre zurückgeht. Der Anwalt, der den
chilenischen Filmemacher mit den Indígenas zusammenbrachte, stammt aus
einer armen weißen Siedlerfamilie aus Südbrasilien. "Ich erinnere mich
noch, wie mir mein Vater gestanden hat, wie er und seine Leute in den
Fünfzigerjahren die Indianerhütten im Hinterland in Brand gesteckt haben,
um dann Soja anzupflanzen", sagt der Mittvierziger.
Der Kolonisierung Südbrasiliens durch meist deutsch- oder
italienischstämmige Kleinbauern folgte die des wilden Mittelwestens. Die
Kaiowá wurden in acht Reservate gepfercht, während auf ihrem angestammten
Land die Monokulturen boomten. Zwölf Ethanolfabriken gibt es bereits in
Mato Grosso do Sul, 30 weitere sind geplant. "Viele unserer Jungs verfallen
auf den Zuckerrohrfeldern dem Alkohol", sagt Ambrósio Vilhalva, "immer
seltener verstehen sich Eltern und Kinder." Seit 20 Jahren leiden die
Kaiowá unter einer hohen Selbstmordrate. Über 500 Jugendliche wählten den
Freitod, unter ihnen auch ein Bruder von Abrísio.
Um kulturelle Entfremdung und die Selbstmorde geht es in "Birdwatchers",
aber auch um das neue Selbstbewusstsein der Kaiowá, die Bewegung der
"retomadas", wie sie die zähe Zurückgewinnung ihres Landes nennen.
"Brasilien wird jetzt ein Stück unserer Geschichte kennenlernen", sagt
Eliane Juca da Silva. Die 20-Jährige träumt von einer Karriere als
Schauspielerin - wie ihre Freunde Abrísio und Ademilson "Kiki" Verga, mit
16 der Jüngste der Runde. In Manaus überwanden sie ihre Schüchternheit,
stellten sich neben die Telenovelastars und knipsten sich dabei gegenseitig
mit dem Handy. Vilhalva hat bereits eine Filmidee: "Ich würde gerne zeigen,
wie uns die Justizbehörden die Kinder wegnehmen, weil wir angeblich nicht
mehr für sie sorgen können."
Matheus Nachtergaele stellte in Manaus seinen ersten Film als Regisseur
vor; in "Birdwatchers" spielt er einen zwielichtigen Händler, der die
Kaiowá mit seinem Laster auch schon mal zum unterbezahlten Ernteeinsatz
befördert. "Es war eine verrückte Geschichte", erzählt er, "ich wollte
einen Film über diese Selbstmorde machen, als ich erfahren habe, dass
Bechis schon dran war." Obwohl er zunächst irritiert war, dass ein
Ausländer das Projekt leitete, übernahm Nachtergaele gerne die angebotene
Nebenrolle. "Die Kaiowá sind sehr liebenswürdig, doch in den Reservaten zu
sein, das war hart und traurig. Sie sind die echten Brasilianer, und wir
haben unser Land auf ihrem aufgebaut. Das ist eine ewige Schuld, und unsere
Antwort steht noch aus."
In Manaus zeigte sich, wie schwer das fällt. Die lokalen Medien
interessierten sich viel mehr für die Prominenz aus nah und fern als für
die Neulinge aus Mato Grosso do Sul. Und die international besetzte
Spielfilmjury zog Bechis komplexerem Werk das Flüchtlingsmelodram "Einen
Augenblick Freiheit" des Austroiraners Arash Riahi vor. "Brasilien hat
seine Beziehung zu den Schwarzen gut verstanden", sagte Gustavo Dahl,
Regisseur und Ehrenvorsitzender des Festivals, "doch seine Beziehung zur
indigenen Kultur muss es erst noch entdecken."
19 Nov 2008
## AUTOREN
Gerhard Dilger
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