# taz.de -- Rapper "Massiv" tourt durch Palästina: Wedding trifft Nablus | |
> Eine Tour führte den Berliner "Massiv" und zwei weitere Rapper durch | |
> Palästina, das Land ihrer Eltern. Hiphop spielt sich hier zwischen | |
> Flüchtlingscamp, Rechner und Hochzeitssaal ab. | |
Bild: Back to the Roots: Neuberliner "Massiv" mit Palästinenser-Accessoire. | |
"Kommste mit raus, paar Autoreifen verbrennen?", fragt Massiv, "wir könnten | |
auch Schafe züchten." Es ist kurz vor Mitternacht, wir stehen in einer | |
Hotellobby in Ramallah. Massiv, Rapper aus dem Berliner Problemkiez | |
Wedding, tourt durch die Westbank. Vier Gigs in vier Städten, darunter Orte | |
wie Nablus und Dschenin, in denen sich junge Palästinenser normalerweise | |
aus Ermangelung an Alternativen Konzerte in miserabler Auflösung auf | |
YouTube angucken. Jetzt bekommen sie Massiv zu sehen, der in Deutschland | |
Lehrern, Journalisten und Eltern zuverlässig Empörungspotenzial bietet. | |
Da sind die ungeschönt-brutalen Texte seines ersten Albums "Blut gegen | |
Blut", in denen er sich an Nutten und Aufschlitzereien abarbeitet und mit | |
breiter Brust Gettopoesie à la "Jeder weiß es - ich verticke Weißes" | |
vorträgt. Da ist seine Krawallvita, zu der Aufenthalte in der U-Haft | |
gehören. Und da ist der Vorwurf, dass er sich hat absichtlich in die | |
Schulter schießen lassen, um seine erste Single auf dem Majorlabel Sony BMG | |
zu promoten, das eine Viertel Million Euro in ihn investiert hat. Doch um | |
es vorwegzunehmen: An diesem Abend brennen in Ramallah keine Autoreifen, | |
zumindest keine, die Massiv angezündet hätte. Er lässt sich stattdessen von | |
einem älteren Hotelgast auf eine nächtliche Erkundungsfahrt durch die Stadt | |
einladen. | |
Massiv, der 26-jährige Sohn palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon, | |
aufgewachsen im pfälzischen Pirmasens, ist auf den ersten Blick einfach | |
nicht der Typ, den das Goethe-Institut auf Konzertreise in den Nahen Osten | |
schicken würde. Genau das hat es aber getan. "Wir sind uns bewusst, dass | |
Massiv grenzwertig ist", sagt Farid Madschari, Leiter des Instituts in | |
Ramallah. "Aber wenn wir jemanden wie Jasmin Wagner [alias Blümchen d. | |
Red.] hierher holen, können wir damit niemanden begeistern." Massiv knüpfe | |
an die Erlebniswelten der Jugendlichen vor Ort an, habe sich seit seinem | |
2006er "Blut gegen Blut"-Album gewandelt und werde nicht zur Gewalt | |
aufrufen. Seine Auftritte im Krisengebiet fördert das Institut mit etwa | |
8.500 Euro. Sie sind Teil der European Palestinian Hiphop Tour, an der auch | |
Hiphopper aus Dänemark und England teilnehmen, die wie Massiv | |
palästinensische Wurzeln haben. Gemeinsam stehen sie mit ihren Kollegen aus | |
Westjordanland auf der Bühne. Die NGO Sabreen veranstaltet die Tour, das | |
britische und dänische Vertretungsbüro finanzieren sie mit. | |
Hiphop erlebt in den Palästinensischen Autonomiegebieten unter Jugendlichen | |
enormen Zuspruch, in den Flüchtlingslagern trainieren Breakdance-Gruppen, | |
die Hiphop-Workshops, die Sabreen im Sommer im Westjordanland anbot, waren | |
ausgebucht. Diese Musikrichtung wird nicht zuletzt deswegen so gefeiert, | |
weil sich ein Hiphop-Track auch dann herstellen lässt, wenn das Geld knapp | |
ist. Die jungen Palästinenser laden sich Beats und Instrumentals aus dem | |
Internet, legen eigene Reime drüber und halten sich über Facebook und | |
MySpace über ihr musikalisches Schaffen auf dem Laufenden. Im Alltag können | |
sie wegen der israelischen Checkpoints und sonstigen Blockaden oft nicht | |
von einer Stadt in die andere fahren, Hiphop vergemeinschaftet sie. | |
Wenn der mit Tourpostern beklebte Bus der europäischen Rapper durch die | |
Städte des Westjordanlandes rollt und aus den offenen Fenstern schwere | |
Beats wummern, dann hupen die Autos im Gegenverkehr, Leute reißen am | |
Straßenrand die Arme in die Luft und schwenken ihre Palästinenserschals. | |
Vor den Checkpoints setzt die Musik regelmäßig aus, der CD-Player springt, | |
weil der Bus über holprige Gitter fährt. Falls jemand mit einer Bombe auf | |
den israelischen Kontrollpunkt zugerast kommt, soll sie durch das Geruckel | |
schon vorher detonieren. | |
Massiv sitzt im Bus stets in der ersten Reihe fernab vom Rummel, den die | |
restlichen Musiker auf der Rückbank veranstalten. Er scannt die fremde Welt | |
pausenlos durch die Frontscheibe. Wie die meisten Tourbeteiligten ist er | |
zum ersten Mal in den Palästinensischen Autonomiegebieten, die er nur aus | |
den Fernsehnachrichten kennt, die sein Vater ständig guckt. | |
Die Konzerte fangen mitunter schon um fünf Uhr nachmittags an und finden an | |
ungewöhnlichen Orten statt. In Nablus besteht die Bühne aus einem | |
gardinenbehangenen Baldachin im Keller eines Hotels. Sonst feiern | |
Brautpaare hier ihre Hochzeit. Der Gig in Dschenin wird von grimmigen | |
Sicherheitsleuten mit Maschinenpistolen bewacht. Der Bezirksgouverneur, | |
Mitglied der im Westjordanland dominanten Fatah-Partei, hält eine | |
Eröffnungsrede, seine Hand lässig in der Hosentasche versenkt. Er finde | |
Hiphop gut, sagt er, und er hat gut reden. Die heimischen Rapper machen ihm | |
und seiner Partei kaum Probleme, denn palästinensischer Hiphop handelt | |
vornehmlich von der israelischen Besatzung und nicht von der verkorksten | |
Innenpolitik in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Manchmal stellt | |
die Fatah Räume für Konzerte lokaler Acts zu Verfügung. | |
Der Großteil des Publikums bei der European Palestinian Hiphop Tour besteht | |
aus jungen Männern, und sie belohnen mit viel Tanz und Jubel, was sie zu | |
sehen bekommen: Rapper aus dem Ausland, die sich mit den Palästinensern und | |
ihren Problemen solidarisieren. Ob nun Massiv, der Däne Marwan oder die | |
Britin Shadia Mansour - jeder hat mindestens ein Lied im Programm, das die | |
Situation in den Palästinensischen Gebieten beklagt. Die deutschen und | |
dänischen Texte werden vom Publikum zwar nicht verstanden, die Gesten der | |
Rapper dagegen schon: Massiv reckt mit geballter Faust eine Kette in die | |
Luft, an der eine kleine Palästinaflagge baumelt, Marwan geht ohne seine | |
Kefije nicht auf die Bühne. In den Ansagen zwischen den Songs betonen alle | |
Rapper auf Arabisch ihre palästinensischen Wurzeln. Das gibt noch mehr Tanz | |
und Jubel. | |
"Es macht mich froh, dass wir gesehen werden", sagt Hassan, 22 Jahre, nach | |
dem Konzert in Dschenin, "und auch stolz, dass es Palästinenser im Ausland | |
zu Plattenverträgen mit Sony bringen können." Der Student ist mit einem | |
Pulk von Freunden vor allem wegen Massiv gekommen und besucht seit zwei | |
Wochen einen Deutschkurs, um die Texte seines Lieblingsrappers eines Tages | |
doch noch zu verstehen. Was Hassan an diesem Abend inhaltlich entgangen | |
ist, ist das wohl politisch korrekteste Set, das Massiv je gespielt hat. | |
Oder, wie Massiv es formuliert: "Was soll ich über das Getto rappen? Das | |
Leben hier ist doch schon krass genug." | |
Seine Show beginnt mit dem Weltfriedenssong "Wir sind alle gleich", in dem | |
die verfeindeten Parteien Hand in Hand von Jerusalem nach Tel Aviv wandern, | |
dann setzt es ein pathetisches Liebeslied. Das ist ein ganz anderes Bild, | |
als es zur gleichen Zeit in Deutschland von einem FDP-Abgeordneten und | |
einigen Zeitungen skizziert wird: Für sie hätte das Goethe-Institut einen | |
Rapper wie Massiv niemals unterstützen und durch Palästina schicken dürfen. | |
Massiv liest die vernichtenden Artikel über sich im Internet. Als er damit | |
fertig ist, entfährt ihm ein Laut irgendwo zwischen Schnauben und Seufzen, | |
und er verdrückt sich in den Tourbus. "So ist das. Ich bin in erster Linie | |
Rapper, und die sind halt immer böse", sagt er. Er kann die Vorwürfe, die | |
gegen ihn erhoben werden, nachvollziehen. Vielleicht auch, weil er sich | |
längst weiterentwickelt hat. | |
Eigentlich soll Massiv zum Abschluss eines jeden Konzertabends mit all den | |
anderen Rappern im Kollektiv freestylen. Doch er ist der Einzige, der dem | |
großen Finale fernbleibt, weil er nicht mit seiner britischen Kollegin | |
Shadia Mansour auf der Bühne stehen will. Die Positionen, die sie in ihren | |
Texten vertritt, sind ihm zu heftig. | |
Die 24-jährige Mansour konstruiert ihre komplette Künstleridentität um | |
Palästina herum beziehungsweise um das, was sie für Palästina hält. Ihre | |
Eltern verließen die Region im Kindesalter, und Mansour wuchs in einem | |
behüteten Elternhaus in London auf. Vor zehn Jahren war sie das letzte Mal | |
im Westjordanland zu Besuch. Doch nun, da sie wieder zurück ist, sieht sie | |
sich in einer Mission: "Ich bin das Sprachrohr der Palästinenser", sagt | |
sie, und: "Arabischer Rap ist die neue Intifada." Dabei ist sie viel | |
konservativer als ihr palästinensisches Publikum. Sowohl Männer als auch | |
Frauen laufen im astreinen Hiphop-Outfit bei den Konzerten auf und | |
präsentieren einander ihre weiten Hosen, weißen Turnschuhe und | |
Kapuzenpullover. Mansour kleidet sich in traditionelle Kleider mit | |
aufwändigen Stickereien, die man sonst nur noch an den alten Damen sieht, | |
die auf dem Markt Gemüse verkaufen. Auf die Frage, wie weit Widerstand | |
gehen darf, beschreibt sie Selbstmordattentate als "einen Teil des Krieges, | |
eine Waffe der Unterdrückten". Im Fall von Mansour sind alle Bedenken, | |
diese Hiphop-Tour könnte das Publikum radikalisieren, falsch - wenn sich | |
hier einer radikalisiert, ist sie das. | |
Was auch mit dem Rahmenprogramm zu tun hat, mit dem die NGO Sabreen den | |
Rappern, ihrer Entourage und den Journalisten Palästina erklären will. Fast | |
jeden Tag geht es vor den Konzerten in ein Flüchtlingslager. Dort hört man | |
von den Offiziellen, die einen durch die Camps führen, schlimme Geschichten | |
über das israelische Militär. Über den miserablen Status, den die | |
Flüchtlinge innerhalb der palästinensischen Gesellschaft haben, möchte | |
niemand reden. | |
Die Lager werden immer mehr zu Kulissen, vor denen jeder seine Geschichte | |
erzählen kann: Massiv spricht davon, dass er sein Leben in Deutschland | |
fortan mehr schätzen werde, und sagt, seine nächste Platte werde "positiv". | |
Mansour kauft neue Kleider und drückt ein paar Kinder. Am konsequentesten | |
ist der Däne Marwan: Im Bethlehemer Flüchtlingscamp Deheischeh streift er, | |
seine Lieder rappend, durch die engen Gassen. Für sein neues Musikvideo. | |
21 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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