# taz.de -- Friedliche Revolutionäre: Kubas Kunstszene im Aufbruch | |
> Die Enkel der Revolution drängen auf den kulturellen Wandel. Viele | |
> Künstler kehren aus dem Ausland zurück und setzen auf Dialog - wie im | |
> Teatro Karl Marx in Havanna. | |
Bild: Kubas Künstler wollen lieber tanzen und reden als kämpfen. | |
"Schluss mit den Lügen, Schluss mit der falschen Versprechen, Schluss mit | |
Gesetzen, die unterdrücken und nicht schützen", singen die beiden MCs der | |
kubanischen Rap-Band Los Aldeanos. Und inbrünstig singen etliche | |
Jugendliche im Publikum die Strophen mit. Textsicher scheinen viele der | |
rund zweihundert Besucher, die sich zur wöchentlichen Peña rapera, dem | |
Rapevent, im Bardarán einfinden. Jeden Montag tagt in der unscheinbaren Bar | |
in Havannas Stadtteil Nuevo Vedado die "Comisión de Puradora", die | |
Reinigungskommission. Die nimmt ihre Arbeit sehr ernst. Mit fetten Vibes | |
und deftigen Texten wird der Rap-Community Havannas auch der letzte Rest | |
der eintönigen Revolutionsparolen aus Hirn und Gehörgängen geblasen. | |
Aber längst kommen die MCs auch aus anderen Städten der Insel. Das fördert | |
den Austausch und der ist den Aldeanos genauso wichtig wie ihre | |
ungeschminkten Texte über die kubanische Realität. Die beiden MCs rappen | |
über die sozialen Verhältnisse in den marginalisierten Vorstädten und | |
Stadtteilen, heikle Themen in Havanna. Dort gibt es zwar weniger Gewalt als | |
in anderen lateinamerikanischen Metropolen, aber vor den sozialen Problemen | |
verschließt auch das offizielle Kuba gerne die Augen. Harte | |
Verteilungskämpfe passen kaum zum Hochglanzbild einer Gesellschaft, die | |
sich gern eines kostenloses Gesundheits- und Bildungssystems brüstet. | |
Bei der Jugend sind knallharte Beschreibungen der Realität allerdings | |
beliebt, und die Popularität hat die Aldeanos sogar ins Studio von "Radio | |
Progreso" geführt. | |
Doch so ganz frei über den Äther sollten die pikanten Songs dann doch nicht | |
gehen und so haben sich Los Aldeanos dafür entschieden, ihren eigenen Weg | |
zu gehen - abseits des offiziellen Kulturbetriebs. | |
Kein Einzelfall in Kubas brodelnder Kulturszene, wie auch das Beispiel von | |
Omni Zona Franca zeigt. Das Kunstkollektiv aus dem von Plattenbauten | |
geprägten Alamar, einem Vorort von Havanna, agiert mit provokanten | |
Performances, Dichterlesungen, Ausstellungen und Konzerten. Als die Gruppe, | |
der ein knappes Dutzend feste und gut drei Dutzend befreundete Künstler | |
angehören, ihre ersten Performances in der Öffentlichkeit Alamars | |
durchzogen, landete man auf der Polizeiwache, so Amaury Pacheco del Monte. | |
Das war 1997, als man begann mit dem Müll zu spielen, der sich in den | |
Straßen türmte, weil die Müllabfuhr nicht funktionierte. Das wiederholte | |
sich ein Jahr später, als Amaury und Co. begannen Gedichte an | |
Bushaltestellen und in den scheppernden Stadtbussen Havannas, den Camellos, | |
vorzutragen. Die Autodidakten aus Alamar haben dem kubanischen Kunstbetrieb | |
damit neue Facetten verliehen. "De facto haben wir einen Teil des | |
Kulturzentrums von Alamar besetzt und einfach angefangen", sagt Luís | |
Eligio. Kunst hatte bislang von den Hochschulen des Landes und nicht aus | |
den heruntergekommenen Plattenbauten zu kommen, so lautete das Credo im | |
Kulturministerium. Heute gilt das auf seine Unabhängigkeit bedachte | |
Künstlerkollektiv offiziell als anerkannt, obwohl es eigenständig agiert | |
und sich für den Dialog einsetzt. | |
Auch der Austausch über die Landesgrenzen hinweg und die Sozialisierung der | |
Information übers Internet haben vor Kuba nicht haltgemacht und | |
hinterlassen ihre Spuren. Kontakte ins Ausland sind deutlich vielfältiger | |
geworden. Zudem haben eine ganze Reihe von Künstlern, die aus dem Ausland | |
zurückkamen oder zwischen der Insel und Übersee pendeln, für neue Töne in | |
Kubas Kulturszene gesorgt. | |
Javier Guerra ist einer dieser Pendler. Der Maler, der zwischenzeitlich in | |
Spanien Erfahrung sammelte, ist ein Unruhestifter und spielt gerne mit den | |
alten Symbolen der Revolution. | |
Früher, bis weit in die Neunzigerjahre, war es in Kuba kaum denkbar, Fidel | |
Castro zu malen oder sein Gesicht in eine Collage zu integrieren. Javier | |
Guerra hat es trotzdem gemacht, wurde zwischenzeitlich kaltgestellt und hat | |
weitergemacht. | |
"Wer, wenn nicht wir Künstler? Wir müssen Tabus brechen, Debatten anzetteln | |
und den Wandel in Kuba mitgestalten und vorantreiben. Das ist eine | |
originäre Aufgabe der Künstler und Intellektuellen in diesem Land", erklärt | |
Guerra im Brustton der Überzeugung. In seinem Atelier in Havanna hängt eine | |
der kubanischen Banknoten mit typischen Szenen aus dem revolutionären | |
Kampf. Doch dort wo normalerweise das Konterfei eines verblichenen | |
Revolutionshelden prangt, ist ein Jugendfoto von Raúl Castro zu sehen. | |
Daneben hängt eine weiterer überdimensionierter Geldschein, auf dem ein | |
Lockenkopf mit gefalteten Händen zu sehen ist - der Musiker Raúl Paz. | |
Paz ist, nachdem er vor fünfzehn Jahren dem engstirnigen | |
Kulturestablishment und der Insel den Rücken kehrte, zurückgekehrt. Nicht | |
still und leise wie viele andere Künstler, sondern mit offizieller | |
Einladung aus dem Kulturministerium. Für drei Konzerte in Havanna und in | |
seiner Heimatstadt Pinar del Río wurde der 39-jährige Sänger nach Kuba | |
geladen, und jedes seiner Stücke, die allesamt noch vor zwei Jahren in Kuba | |
verboten waren, konnte er spielen. Für Paz war das Grund genug zur | |
Rückkehr, und ähnlich wie sein Freund Guerra will er nun den Wandel in Kuba | |
mitgestalten. | |
Der hat in der Kunst längst begonnen. Zum einen gehen viele Künstler ihre | |
eigenen Wege, realisieren und finanzieren ihre eigenen Projekte, zum | |
anderen sind Konzerte und Ausstellungen möglich, die früher nicht hätten | |
stattfinden können. Die Galerie Servando zeigt gerade eine Ausstellung des | |
jungen Fotografen Alejandro González, der Trans- und Homosexuelle vor die | |
Kamera bekommen hat. Das Tabuthema Homosexualität wurde erst in den letzten | |
Jahren von Raúl Castros Tochter Mariela, einer Sexualwissenschaftlerin, | |
geknackt. Heute boomt die Auseinandersetzung mit der eigenen Gesellschaft | |
und Identität, den Veränderungen, die die letzten fünfzehn Jahre der | |
Mangelwirtschaft in Kuba mit sich brachten. | |
Bildende Künstler wie Kcho, der die Auswanderung thematisiert, gehören | |
genauso dazu wie die Werke der Dichterin Wendy Guerra. | |
Die streitbare Frau, die gerade mit einem Stipendium für einige Monate in | |
Madrid lebt, tritt für den Dialog innerhalb der kubanischen Gesellschaft | |
ein. "Ein Leben nach Fidel ist möglich" ist einer ihrer Kernsätze, mit | |
denen sie Kollegen und Freunde aufgefordert hat nach Kuba zurückzukommen. | |
Die Voraussetzungen für einen Wandel sind laut Guerra nicht schlecht. | |
"Viele der mit der Revolution verbundenen politischen Illusionen sind | |
zerstoben" - für Wendy Guerra, aber auch für viele andere Künstler wie Raúl | |
Paz, eine günstige Bedingung für einen Neuanfang auf der Insel. | |
Dabei erwarten die beiden nichts von den USA. "Die sollen sich am besten | |
heraushalten, denn die Initiativen müssen von innen, aus der kubanischen | |
Gesellschaft, kommen", wünscht sich Raúl Paz. Dabei wird das Exil in Miami, | |
Madrid und sonst wo durchaus mitgedacht, und längst sind Künstler und | |
Intellektuelle untereinander recht gut vernetzt. Einige, so die Musiker | |
Kelvis Ochoa oder Raúl Torres, sind wie Paz in den letzten Monaten | |
zurückgekehrt. | |
Doch lange nicht alle sind erwünscht und der Rahmen der neuen Freiheiten | |
scheint abgesteckt. So musste Sandra Ceballos Ende Oktober eine Ausstellung | |
in ihrer unabhängigen Galerie "Espacio Aglutinador" verlegen, weil die | |
Staatsgewalt den Tipp erhalten hatte, dass namhafte politische Dissidenten | |
und die hyperkritische Punkband "Porno para Ricardo" zugegen sein sollten. | |
Derartige Störungen haben Raúl Paz und Javier Guerra nicht zu erwarten. Sie | |
werden am 5. Dezember gemeinsam im Teatro Karl Marx auftreten. Dort, wo | |
Fidel Castro so manche seiner Reden hielt, wollen Guerra und Paz mit | |
Bildern und Songs für ein anderes, besseres Kuba werben. | |
27 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Bieberitz | |
## TAGS | |
Kcho | |
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