| # taz.de -- Streetball im Jugendknast: Die wollen nur spielen | |
| > Sechs Basketballer, ein Korb und überall Gitter: Im Jugendgefängnis | |
| > Berlin-Plötzensee spielen Gefangene und Jugendliche von draußen | |
| > Streetball. Das Ergebnis ist eindeutig. | |
| Bild: Egal ob innerhalb oder außerhalb der Gefängnismauern: der Blick nach ob… | |
| Für den 16. Januar 2009 hat Khaled* einen Plan: Am Tag seiner Entlassung | |
| will er laufen, so weit ihn seine Beine tragen. Hinaus aus Haus 6 der | |
| Jugendstrafanstalt Berlin-Plötzensee, dann vielleicht nach Norden, am | |
| Flughafen vorbei. Vielleicht läuft Khaled auch Richtung Südosten, nach | |
| Neukölln, dort lebt er - lebte. Denn seit fast drei Jahren sitzt der | |
| 23-Jährige in der Enge des Jugendknasts. | |
| Am vergangenen Samstag kommt dort die weite Welt zu Besuch. Sie kommt in | |
| Gestalt von elf Streetball-Spielern, die alle noch etwas verschlafen | |
| aussehen. Um ihre Hüften baumeln Sporttaschen. Einige haben Basketbälle | |
| dabei. Die elf Jugendlichen und Studenten kommen regelmäßig Freitagnacht | |
| zur "Streetball Night" in die Berliner Max-Schmeling-Halle. Hierbei fragte | |
| Sportpädagoge Frank Paschek sie, ob sie bereit sind für ein Turnier auf | |
| Berlins ungewöhnlichstem Court. In den Jugendknast darf sonst niemand | |
| hinein, keine Familie, keine Freundin. Die Jugendlichen waren bereit, und | |
| so heißt es in der abgeschabten Knastturnhalle an diesem Tag zum vierten | |
| Mal drinnen gegen draußen, jede Seite stellt drei Teams. Gespielt wird | |
| immer drei gegen drei. | |
| Gemeinsam machen sich Insassen und Auswärtige warm. Khaled macht eine gute | |
| Figur. Später wird er von einem Internetvideo erzählen, das ihn zeigt, wie | |
| er Salti schlägt und über Berlins Häuserdächer springt. Das ist lange her. | |
| "Ich bin dick geworden hier im Knast", sagt er. Bälle prallen gegen die | |
| Korbbretter, rollen durch die kleine Halle. Die Oberlichter sind | |
| vergittert. Am Halleneingang baut der durchtrainierte Sportbeamte die | |
| Musikanlage auf, es läuft US-HipHop. "Stay in the game", heißt die CD - im | |
| Spiel bleiben. Einer der Gefangenen hat sie ihm gegeben. | |
| Das Streetballturnier bringt Abwechslung in den deprimierenden Knastalltag. | |
| Die Jugendlichen haben einen Anspruch auf mickrige zwei Stunden Sport pro | |
| Woche, und auch das erst seit kurzem. Klar, sagt der Sportbeamte, jeden Tag | |
| wäre besser. Aber ohne Aufsicht von ihm oder einem seiner drei | |
| Sportkollegen gehe es nicht, von den mehr als 400 Jungs an diesem Standort | |
| sitzen mehr als die Hälfte wegen Gewaltdelikten ein. | |
| Khaled ist einer von ihnen. Er ist Palästinenser aus Neukölln, | |
| Rütli-Schule, kein gesicherter Aufenthalt, keine Arbeitserlaubnis, sagt er. | |
| Über seine Tat möchte er nicht sprechen, "komplizierte Sache". Die Richter | |
| haben es versuchten Totschlag genannt, und so wird Khaled sein drittes | |
| Weihnachten hinter Gittern erleben, bevor er im Januar nach drei Jahren | |
| loslaufen kann. Jetzt besprechen er und seine Mannschaftskameraden mit dem | |
| martialischen Namen "Soldier Boys", wie sie gegen das Team "Zwei Große und | |
| zwei Kleine" antreten sollen. Sie brauchen sich nicht zu verstecken, auch | |
| Teamkamerad Gabriel* macht einen athletischen Eindruck. Der dunkelhäutige | |
| Jugendliche ist schon "zwei sieben" hier, zwei Jahre und sieben Monate. | |
| Insgesamt muss er "vier neun" absitzen, versuchter Mord. "Ich habe einen | |
| abgestochen", sagt Gabriel. | |
| Das Spiel ist wenige Minuten alt, da zeigt sich, dass Khaled und die | |
| Soldier Boys keine Chance haben. Die von draußen haben einen Mittzwanziger | |
| mit Dreitagebart in ihren Reihen, der einen Korb nach dem anderen macht. | |
| "Dem habe ich schon vor zehn Jahren gesagt, er soll mal bei Alba Berlin | |
| vorspielen", grummelt Sportpädagoge Frank Paschek am Spielfeldrand. Die | |
| Soldier Boys verlieren das Spiel 5:12 - beim Streetball zählt jeder Korb | |
| einen Punkt, jeder Distanzwurf zwei. Der bärtige Korbjäger trägt ein | |
| T-Shirt mit dem Aufdruck "MVP", das heißt most valuable player - | |
| wertvollster Spieler. Die Insassen tragen Uniform, seit dem Herbst müssen | |
| sie das. Beigefarbene Fleecejacke, bordeauxfarbenes T-Shirt, graue | |
| Jogginghose oder kurze schwarze Hose, dazu Sportschuhe. | |
| Auf den zwei Courts in der kleinen Halle wird pausenlos gespielt. 15 Spiele | |
| à 10 Minuten werden ausgetragen, dann müssen die Gefangenen zum | |
| Mittagessen. | |
| Turnschuhe quietschen, Spieler klatschen sich ab. Streetball ist der | |
| Lieblingssport der Sozialpädagogen, weil er nicht uncool ist, aber trotzdem | |
| gut geeignet, um Fairness zu vermitteln. Die Spieler zeigen selbst an, wenn | |
| sie foul gespielt haben. Schiedsrichter gibt es nicht. Hier redet niemand | |
| groß von Abschreckung oder der Vermittlung von Werten, wie es sonst oft bei | |
| Sportveranstaltungen mit pädagogischem Auftrag der Fall ist. Die | |
| Jugendlichen spielen einfach. Verwunderlich nur, dass niemand auf die Idee | |
| gekommen ist, gemischte Teams zu bilden. | |
| Ihr drittes Spiel gewinnen Khaled und die Soldier Boys, es geht gegen | |
| Witali* und seine Mitspieler. Witali hat schon "zwei eins" hinter sich, er | |
| muss insgesamt "vier neun" wegen versuchten Mordes. Als die Polizei ihn | |
| verhaftete, war er ein 16-jähriger Zehntklässler in Berlin-Friedrichshain. | |
| Jetzt ist er 18, und weil er das erste Mal im Leben einen Basketball in der | |
| Hand hat, haben die Soldier Boys leichtes Spiel. | |
| Die Siegerehrung steht an. Khaled und Gabriel schlagen abwechselnd Salti, | |
| bis es so weit ist. Sie haben mit zwei Siegen und drei Niederlagen den | |
| vierten von sechs Plätzen belegt, bestes Knastteam. Alle von draußen waren | |
| besser. "Wir haben ja kaum Training", sagt Khaled. Beim letzten Mal machte | |
| er noch den zweiten Platz, aber sein weißrussischer Mitspieler von damals | |
| ist schon entlassen, genau wie die vier Sieger. Das nächste Turnier im März | |
| ist das erste, das ohne ihn stattfinden wird. | |
| "Haltet die Ohren steif, bleibt sauber", sagt einer der Insassen zum | |
| Abschied. Einige der Gäste lachen. Dann gehen sie durch die | |
| Sicherheitsschleuse, an den Wärtern vorbei, und laufen durchs kalte, freie | |
| Berlin. | |
| * Namen v. d. Red. geändert | |
| 2 Dec 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Hendrik Heinze | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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