# taz.de -- Debatte Bildung und Finanzbauten: Einladende Neubauten | |
> Die beste Antwort auf die Krise wäre, ins deutsche Bildungssystem zu | |
> investieren. Die Sanierung maroder Schulen, die Bildungsministerin | |
> Schavan anregt, ist ein Anfang. | |
Erinnert sich noch jemand an den Bildungsgipfel im Oktober? Inzwischen | |
gipfelt es fast täglich - nur ein Berg ist im Nebel verschwunden, die | |
Bildung. Dabei sagt inzwischen ja fast jeder, sie sollte das Thema Nummer | |
eins sein. Ist sie aber bei den meisten Politikern nur bei Schönwetter. | |
Warum Bildung so wichtig ist, wird an einer McKinsey-Studie deutlich: Jeder | |
Euro für die frühkindliche Bildung wird demnach mit 12 Prozent für den | |
Einzelnen und die Volkswirtschaft verzinst. Das arbeitgebernahe Institut | |
der deutschen Wirtschaft wollte das nicht glauben und rechnete nach - und | |
kam auf 13 Prozent. Nehmen wir an, eine Bank würde diese Rendite anbieten: | |
ein Dummkopf, wer sein Geld nicht dorthin brächte. | |
Warum also legt die Gesellschaft, vertreten durch die Politik, das Geld | |
nicht dort an, wo es am meisten bringt? Weil unsere Politiker - und auch | |
die meisten anderen Leute - nicht wirklich an diesen Gewinn glauben! Das | |
wird schon an der Sprache deutlich, wenn von Kosten und nicht von | |
Investitionen die Rede ist. An Kosten spart man. Investieren kann man gar | |
nicht genug, wenn dabei etwas herauskommt. | |
Was blüht diesem Land, wenn es weiter an der Bildung knausert? Auch das | |
haben die McKinsey-Leute, die ja nun wirklich keine romantischen Pädagogen | |
sind, im Auftrag der Robert Bosch Stiftung durchgerechnet: Deutschland | |
fehlen jährlich 50 Milliarden für Schulen, Kitas und Unis, und aus dieser | |
Unterlassung folgt ein Verlust von atemberaubenden 1,2 Billionen Euro für | |
die Wirtschaft und den Staat in den nächsten zwölf Jahren! Doch Bildung | |
zahlt sich erst in einer Generation aus. Der Horizont der meisten Politiker | |
reicht aber nur bis zur Abrechnung bei der nächsten Wahl. | |
Hinzu kommt, dass Bildung bei uns irgendwie nicht sexy ist. Viele haben die | |
Schule als demütigend und die Hochschule als verwahrlost in Erinnerung. | |
Aber nun haben wir die Chance, diese deutsche Lernbehinderung zu | |
korrigieren. Geld muss in der Krise ja ausgegeben werden, vom Sparen | |
spricht derzeit niemand. Wäre das nicht die Stunde, über sinnvolle und | |
wirklich nachhaltig wirksame Investitionen nachzudenken? | |
Das renommierte Deutsche Institut für Urbanistik hat vor einigen Monaten | |
ausgerechnet, dass allein der dringendste Sanierungsbedarf für Schulgebäude | |
inzwischen auf 73 Milliarden angewachsen ist. Die sind nötig, allein um zu | |
verhindern, dass es nicht reinregnet und dass mancherorts bereits | |
einstürzende Neubauten gerettet werden. Für "Innovationen" wäre da noch | |
kein Euro dabei. Krippen und Kitas aber fehlen im ganzen Land. Und viele | |
Ganztagsschulen sind bislang nicht viel mehr als in den Nachmittag | |
verlängerte Vormittagsschulen mit angegliedertem Kiosk. Erst nach | |
Erweiterungen und Umbauten würden sie ihren Namen verdienen. | |
Aus Wirtschaftskrise und Bildungsmisere könnten, zusammen gedacht, neue | |
Lösungen erwachsen. Die belebende Wirkung für Arbeit und Kapital wäre mit | |
einem Konjunkturprogramm für die bauliche Hardware garantiert. Anders als | |
beim Anreiz, umso mehr Kfz-Steuern zu sparen, je größer das Auto ist, wäre | |
es ökonomisch sogar zielgerichtet. Obszöne Stadtgeländewagen als die | |
Meistbegünstigten der Krise? Auf diesen Witz wäre man nicht gekommen. | |
Stattliche Investitionen in die Bildung aber würden nicht nur fürs | |
Überleben von Betrieben und Arbeitsplätzen sorgen. Sie kämen der | |
Kultivierung des öffentlichen Bereichs, also der gemeinsamen Welt zugute. | |
An dieser gemeinsamen Welt fehlt es. | |
Nun hat auch Bildungsministerin Annette Schavan die Sanierung von Schulen | |
und Hochschulen ins Gespräch gebracht: 100.000 für jede Schule, 500.000 für | |
jede Hochschule. Ein Schnellschuss sei das, kritisieren die einen. Viel zu | |
wenig, meint hingegen der Verband der Städte und Gemeinden. Allein zur | |
Sanierung der Ruhr-Uni Bochum sei 1 Milliarde Euro nötig, erklärt ein | |
Ministerium in NRW. Immerhin wären Schavans 20 Milliarden viel mehr als | |
nichts. Nach der ersten Stufe für den dringendsten Sanierungsbedarf sollte | |
dann aber gleich eine zweite ins Auge gefasst werden. | |
Worin besteht diese zweite Stufe? Kürzlich sagte Annette Schavan, jede | |
Schule müsse "so schön sein wie die Filiale einer Bank!" Ja, möchte man da | |
nur zustimmen! Denn man könnte sich manche Evaluation der Schulen sparen, | |
wenn dieser eigentlich ganz simple Maßstab zur Maxime würde. Es geht ja | |
hier nicht um eine Variante von Schöner Wohnen. Es geht darum, Räume zu | |
schaffen, die schon Kindern und Jugendlichen eine Einladung in eine | |
lohnende Welt versprechen, statt mit dem altbekannten Ernst des Lebens zu | |
drohen oder gar - wie heute immer häufiger - Verwahrlosung in Aussicht zu | |
stellen. | |
Was Bauten erzählen und bewirken können, zeigte sich einer deutschen | |
Delegation, die überwiegend aus Pädagogen bestand, bei ihrem Besuch in | |
Dänemark. In einer Berufsschule fanden wir Designerlampen, schöne | |
Türklinken, sogar Kunst an den Wänden vor - lauter Originale. Die Schule | |
bekommt Geld von der Kommune, damit sie Bilder von Künstlern aus der Region | |
kaufen kann. So werden Künstler unterstützt und Schulen kultiviert. Wir | |
fragen unseren dänischen Führer, ob all die schönen Dinge nicht von den | |
Schülern zerstört würden? Nein, sagte der Herr und wunderte sich. Schon | |
komisch, dass die erste Fantasie der deutschen Pädagogen die gleiche ist | |
wie die ihrer Schüler - oder die, die ihren Schülern unterstellt wird. | |
Unser dänischer Führer stellte sich übrigens als Umweltbeauftragter vor und | |
fügte hinzu, Umwelt bedeute in Dänemark etwas anderes als hier. "In | |
Deutschland ist Umwelt, wenn irgendwo Öl ausläuft. Wir verstehen darunter | |
ein gutes Milieu". Als wir davon hörten, dass am Wochenende in der Schule | |
ein großes Fest sei, fragte jemand: "Beim Fest hängen sie die Kunst doch | |
ab?" - "Nein", antwortet unserer Führer, "wenn wir die Kunst abhängen | |
müssten, wenn wir Feste feiern, dann würden wir lieber keine Feste feiern." | |
"Der Raum ist der dritte Pädagoge", sagte einst der verstorbene | |
italienische Vorschulpapst Loris Malaguzzi. Inzwischen ist dieser Satz in | |
den skandinavischen Ländern eine stehende Redewendung. Gute Schulen und | |
Kindergärten erweisen den Kleinen bereits mit ihrem Interieur ihre | |
Wertschätzung. Dort weiß man auch, dass die Gesellschaft vor allem den Raum | |
und die Gelegenheiten zum Lernen schaffen muss. Lernen können die Schüler | |
nur selbst. Die Zeit, in denen Schüler als bloße, mit Wissen abzufüllende | |
Container betrachtet wurden, ist vorbei. | |
Ein bauliches Konjunkturprogramm für Schulen, Kitas und Hochschulen könnte | |
auch ökologische Impulse setzen. Und wie wäre es, die Schüler beim Bau und | |
Umbau mit einzubeziehen? Ihnen zu signalisieren, dass sie gebraucht werden? | |
Schulen als Häuser der Zukunft - das wäre dann endlich keine bloße Metapher | |
mehr. Sie könnten in Zeiten der Depression sogar zum Ort der Leidenschaft | |
für eine Welt werden, in der man leben will. Ungewöhnliche Mischungen von | |
Pragmatismus, Vision und Inspiration - genau das wäre Politik. | |
11 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Kahl | |
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