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# taz.de -- Die Wirtschaftskrise wächst: Für Leiharbeiter läuft die Zeit ab
> Zeitarbeit war die Boombranche Berlins. Doch mit stark sinkender
> Auftragslage in der Industrie sind Leiharbeiter auch die Ersten, die auf
> der Straße stehen. Die Entlassungswelle hat schon begonnen
Bild: Fünf vor zwölf für Zeitarbeiter
Karl Boßmann sitzt auf gepackten Kisten. Seine Zeitarbeitsfirma Aida im
Friedrichshain muss er zum 1. Januar schließen. Seit einem halben Jahr
seien die Aufträge zurückgegangen, sagt er, "aber jetzt ist Schluss". Zu
Spitzenzeiten vermittelte Aida 34 Leiharbeiter, doch die musste Boßmann
alle entlassen. Für seine Handwerker, Gas- und Elektroinstallateure gibt es
einfach keine Arbeit mehr.
Für viele der 25.000 Leiharbeiter in Berlin brechen harte Zeiten an. Sie
sind die Ersten auf dem Arbeitsmarkt, die in den Unternehmen von
Entlassungen bedroht sind. Till Moor, Sprecher des Leuchtmittelherstellers
Osram, nennt es "Flexibilisierung der Maßnahmen", zu denen Leiharbeiter bei
erhöhter Auftragslage in den Betrieben hinzugezogen - und eben bei Flaute
wieder abgezogen werden.
Nun herrscht Flaute: Das Berliner Osram-Werk trennt sich zum Jahresende von
allen Leiharbeitern. Die 37 Mitarbeiter werden laut Moor seit September
nach und nach abgemeldet. Um der derzeit zurückgehenden Zahl an Aufträgen
gerecht zu werden, muss aber auch die Stammbelegschaft bluten: 160 der
einst 2.000 Angestellten sollen künftig in Kurzarbeit gehen.
Auch die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit sieht im kommenden
Jahr auf Berlin eine Entlassungswelle zukommen. "Zuerst wird es natürlich
die treffen, die gering qualifiziert sind", sagt Sprecher Erik Benkendorf.
"Unsere Arbeitsvermittler sind darauf eingestellt." Über
Qualifizierungsmaßnahmen will die Agentur versuchen, die entlassenen
Zeitarbeiter wieder einzugliedern. "Es ist nicht so, dass die gar keine
Chance haben." Schließlich gebe es in den Berliner Betrieben derzeit
insgesamt 9.682 offene Stellen.
Zuletzt haben die Zeitarbeiter die Arbeitslosenstatistik immer eher positiv
beeinflusst: In den vergangenen Jahren war die Leiharbeit eine der am
stärksten wachsenden Branchen in Berlin - und mit dafür verantwortlich,
dass weniger Arbeitslose in Berlin zu vermelden waren. In fünf Jahren,
zwischen 2003 und 2007, hat sich die Zahl der Leiharbeiter verdoppelt. Doch
dieses oft zitierte Jobwunder steht, wie sich jetzt in der Krise zeigt, auf
wackeligen Beinen.
"Es ist ein bisschen ruhiger geworden," sagt Sigrun Schulz von der
Zeitarbeit und Personalleasing GmbH IK Hofmann über die aktuelle
Vermittlungslage. Auch sie hätten die ersten "Abmeldungen" erhalten, unter
anderem Siemens melde Leiharbeiter ab, da die Aufträge zurückgingen. "Wir
sind aber bestrebt, dass die Leute weiter unterkommen." Schulz und ihre
Mitarbeiter vermitteln vor allem Industriemechaniker, Metall- und
Elektroarbeiter. Derzeit könnten noch Überstunden abgebummelt werden. Doch
wie es im Januar weitergehe, wisse keiner. "Dann müssen vielleicht auch wir
entlassen", sagt Schulz. Dabei gilt für Zeitarbeiter die gesetzliche
Kündigungsfrist von zwei Wochen in der Probezeit und vier bis sechs Wochen
zum Monatsende im regulären Beschäftigungsverhältnis.
Selbst die Bundesregierung versucht inzwischen, die Auswirkungen der
Wirtschaftskrise auf die Zeitarbeitsfirmen abzufedern. Seit Oktober dieses
Jahres sei "erstmalig das Instrument der Kurzarbeit auf Zeitarbeiter
anwendbar", berichtet Erik Benkendorf von der Arbeitsagentur. Bisher trugen
die Firmen selbst das Risiko in den sogenannten verleihfreien Zeiten. Jetzt
aber könnten auch Leiharbeitsfirmen auf Kurzarbeit umstellen und
"konjunkturell bedingtes Kurzarbeitergeld" beantragen - und das für
insgesamt 18 statt wie bisher 12 Monate.
Als letzten Rettungsanker vor der Entlassung wollen anscheinend auch
verstärkt Berliner Firmen, nicht nur in der Zeitarbeitsbranche, Gebrauch
von der neuen Regelung machen. Benkendorf registriert denn auch "vermehrt
Anfragen von Unternehmen aus der Region." Noch hätte er keine Zahlen, die
eine Entwicklung hin zur Kurzarbeit belegen würden. Aber das dürfte nur
noch eine Frage der Zeit sein.
18 Dec 2008
## AUTOREN
Grit Weirauch
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