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# taz.de -- Prozess im Mordfall Politkowskaja: Passabler Täter gesucht
> Vier Verdächtige müssen sich im Mordfall der Journalistin Politkowskaja
> verantworten. Der Prozess sagt auch etwas über das Rechtsverständnis von
> Russlands Präsident aus.
Bild: Blumen für die tote Journalistin: Der Eingang des Hauses, in dem Politko…
"Wir müssen alles dafür tun, dass das Gericht für den Bürger zu einem Ort
wird, wo er Schutz findet und ein gerechtes Urteil erwarten kann", meinte
Dmitri Medwedjew nach der Wahl zum Präsidenten im vergangenen Frühjahr. Die
Reform des Rechtswesens ist dem Juristen seither ein dringendes Anliegen.
Immer wieder beklagt der Kremlchef "Rechtsnihilismus" und grassierende
Korruption in seinem Land. Transparenz im Justizwesen und unabhängige
Richter seien vonnöten, um Russland in einen Rechtsstaat zu verwandeln und
das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.
Vor dem Moskauer Militärkreisgericht läuft seit drei Wochen der Prozess
gegen vier Verdächtige im spektakulären Fall des Mordes an der
oppositionellen Journalistin Anna Politkowskaja. Im Oktober 2006 war sie im
Hausflur vor ihrer Wohnung erschossen worden. Politkowskaja war wegen ihrer
kritischen Berichte aus dem Tschetschenienkrieg vielen ein Ärgernis. Das
Verfahren gilt als Test dafür, wie ernst es Medwedjew mit der Reform des
Rechtswesens tatsächlich meint. Besonders aufmerksam schaut das Ausland
hin.
An diesem verregneten Morgen treffen die Angeklagten mit einer Stunde
Verspätung im Kreismilitärgericht ein. Wieder einmal war der
Häftlingstransport im dichten Moskauer Stadtverkehr stecken geblieben. Die
Militärstrafkammer liegt an Moskaus Flaniermeile, dem Alten Arbat.
Als Erste werden die mutmaßlichen Handlanger, die Brüder Ibrahim und
Dschabrail Machmudow in den gelben Metallkäfig geführt. Die beiden
Tschetschenen sollen Politkowskaja am Tag der Tat beschattet haben, bis sie
dem Mörder in die Arme lief. Den Brüdern folgt der ehemalige Polizist
Sergei Chadschikurbanow. Die Staatsanwaltschaft vermutet in ihm den
Organisator des Mordes. Als Vierter schließlich kommt der Agent des
FSB-Inlandsgeheimdienstes Pawel Rjagusow. Seine Rolle in dem Mord ist
undurchsichtig. Dennoch findet seinetwegen der Prozess vor einem
Militärgericht statt, weil Rjagusow den Sicherheitsorganen angehört. Die
Wache nimmt ihm die Handschellen ab und verschließt damit den Zwinger.
Bis kurz vor Beginn des Prozesses behauptete die Staatsanwaltschaft, der
Oberst habe die Adresse der Journalistin ausfindig gemacht und an die Täter
weitergegeben. Inzwischen hat sie die Anklage wegen Mittäterschaft jedoch
fallen gelassen. Jetzt wird eine andere Begründung vorgegeben. Der
Geheimdienstmann muss sich nun wegen eines Erpressungs- und
Entführungsdeliktes verantworten. Dies soll er im Sommer 2002 wiederum
zusammen mit dem Polizisten Sergei Chadschikurbanow begangen haben. Eine
konstruierte Verbindung.
Aber dieser Fall wird am heutigen Prozesstag verhandelt. In dieser sechs
Jahre zurückliegenden Entführung sieht die Staatsanwaltschaft wegen der
Bekanntschaft der beiden mutmaßlichen Mittäter ein Bindeglied zum Fall
Politkowskaja.
Durch die Verknüpfung der Fälle sollen möglicherweise Spuren verschleiert
werden. Spuren, die zu den wirklichen Tätern im Geheimdienstmilieu führen,
wie es Beobachter und die Anwälte der Angeklagten vermuten. Rjagusow als
Sündenbock?
Viele Hinweise führen zu den russischen Geheimdienststrukturen, in deren
Dickicht sie sich dann aber verlieren. Dass die Geheimdienste bei dem Mord
eine Schlüsselrolle spielten, davon geht auch die Nowaja Gaseta aus, bei
der Politkowskaja arbeitete und die eine unabhängige Untersuchung
durchführt. Auch die staatlichen Ermittler stellten anhand von
Videoaufzeichnungen fest, dass den beiden tschetschenischen Brüdern über
einen längeren Zeitraum mehrere Männer folgten. Auffällig indes: Ibrahim
und Dschabrail waren auf verschiedenen Aufnahmen klar zu identifizieren.
Den Beschattern jedoch gelang es jedes Mal, ihre Identität zu verbergen.
Sie müssen über die Standorte der Überwachungskameras genauestens im Bilde
gewesen sein. Dieser Spur wird aber nicht weiter nachgegangen. Viele Fragen
bleiben daher ungeklärt. Auch der Mörder ist noch flüchtig. Die
Staatsanwaltschaft hält Rustam, einen dritten Bruder der Familie Machmudow,
für den Vollstrecker. Durch ein Leck im Geheimdienst oder bei der
Ermittlungsbehörde wurde Rustam rechtzeitig gewarnt und konnte sich ins
Ausland absetzen. Schon vor dem Mord wurde er in Russland steckbrieflich
gesucht. Noch brisanter indes: Die gefälschten Papiere besorgte ihm der
FSB. Das steht fest.
Alle Verteidiger der Angeklagten halten die Zusammenlegung der Verfahren
für ein Ablenkungsmanöver. Die Erzählungen des Zeugen, wie er 2002 entführt
und brutal gefoltert wurde, argwöhnt die Verteidigung, solle die 18
Geschworenen im Saal emotional gegen Rjagusow beeinflussen. Von dem
Entführungsopfer, das im Zeugenstand steht, wollen sie daher wissen, seit
wann sich die Staatsanwaltschaft für das ferne Delikt von 2002 wieder
interessiere. Warum der Fall in all den Jahren nicht zum Abschluss gebracht
wurde? Fällt das Interesse der Anklage womöglich mit der Aufnahme der
Ermittlungen in Sachen Politkowskaja zusammen, will der Anwalt der
Machmudow-Brüder, ein junger Tschetschene, wissen. Der Richter greift
sofort ein und weist die Frage ab. Auch die anderen Anwälte versuchen es
noch mal durch die Hintertür, bis Richter Jewgeni Sjubow rigoros
einschreitet und die Anwälte zurechtweist. Eine Antwort des Zeugen würde
sicher mehr Klarheit bringen. Der Richter handelt aber nach dem Gesetz, das
in Geschworenenprozessen prozessuale Nachforschungen untersagt. "Der
Richter hat sich korrekt verhalten", meint auch die Anwältin der Kinder
Anna Politkowskajas, die sie als Nebenkläger vertritt. "Er hätte sogar
häufiger eingreifen können", sagt sie nach der Verhandlung.
Richter Sjubow hatte im Vorfeld für einen Skandal gesorgt, weil er die
Verhandlung lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen wollte. So
gab er vor, die Laienrichter hätten sich gegen einen öffentlichen Prozess
ausgesprochen. Die Schöffen protestierten jedoch und gingen an die
Öffentlichkeit. Der Richter lenkte ein. Die Öffentlichkeit wird jetzt nur
dann ausgeschlossen, wenn geheime und staatliche Sicherheitsinteressen auf
der Tagesordnung stehen.
Sieben Stunden zieht sich der Verhandlungstag diesmal hin. In dem kleinen
niedrigen Raum im hinteren Teil des Militärgerichts ist es stickig. Mehr
als 40 Prozessteilnehmer und Besucher quetschen sich auf den 50
Quadratmetern. Für Besucher und Presse stehen anderthalb Holzbänke zur
Verfügung mit 15 Plätzen, zwei Stühle wurden noch in die Ecke geklemmt. Auf
der vorderen Bank sitzt gewöhnlich die Familie der angeklagten
Tschetschenen. Sie ist eigens wegen des Prozesses aus Atschkoi-Martan in
Tschetschenien angereist. Neben der Mutter, dem Vater, zwei weiteren
Brüdern ist noch eine andere Verwandte erschienen. Die Brüder sind
bedrückt, sie lächeln nie, auch wenn Dschabrail, der sehr kindlich wirkt,
sie aus dem Zwinger aufmunternd anspricht. Nur die Mutter lächelt zurück
und unterhält sich mit den Söhnen auf Tschetschenisch. Manchmal
fotografiert sie sie auch mit dem Handy hinter Gittern. Sie ist davon
überzeugt, ihre Kinder hätten mit dem Fall nichts zu tun. Der Vater
schweigt. Nur einmal sagte er: Seien sie schuldig, werde er nach
tschetschenischem Brauch mit ihnen verfahren. Auf den ersten Blick scheinen
die Machmudows eine ganz gewöhnliche tschetschenische Familie zu sein.
Der Mörder ist flüchtig, und auch bei den Drahtziehern tappt das staatliche
Ermittlungskomitee weiterhin im Dunkeln. Dies räumte zumindest der
Chefermittler jüngst ein. Lange hatte der Generalstaatsanwalt behauptet,
die Fährte führe zu "mächtigen und schrecklichen Kräften" im Ausland. Damit
war der flüchtige Oligarch und Putin-Gegner Boris Beresowski gemeint, der
seit Jahren im Londoner Exil lebt und den der Kreml eine Zeit lang für alle
Schandtaten in Russland verantwortlich machte. Um ihn ist es jetzt ruhig
geworden. Für Aufsehen sorgte bei Prozessauftakt der junge tschetschenische
Anwalt der Machmudows. Er sei in bislang unveröffentlichten Prozessakten
auf einen "russischen Politiker" gestoßen, der den Mord bestellt hätte.
Grund seien die Enthüllungen der Journalistin gewesen. Mehr verriet er aber
nicht.
Der Chefredakteur der Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, ist skeptisch:
"Solange Täter und Auftraggeber nicht vor Gericht stehen, ist der Fall
nicht gelöst", sagt er. "Wir verlangen schonungslose Aufklärung, eher
lassen wir nicht locker." Geschieht das nicht, will die Zeitung die eigenen
Recherchen endgültig veröffentlichen. Bislang zögerte sie, um den Gang der
offiziellen Ermittlungen nicht zu durchkreuzen. Vermutungen und Hinweise,
wo der Auftraggeber zu suchen sei, gäbe es zuhauf. Allein es fehlen die
wasserdichten Beweise, meint Muratow: "Ich bin mir aber sicher, nach und
nach finden wir sie alle."
Richter Sjubow möchte unterdessen das Verfahren so schnell wie möglich und
geräuschlos über die Bühne bringen. Seine Terminplanung ist ehrgeizig. Noch
im Januar will er den Fall zu den Akten legen.
18 Dec 2008
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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