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# taz.de -- Wintersport in Oberhof: Filz am Ende des Tunnels
> Oberhof am Rennsteig: In die Kaderschmiede des Wintersports werden
> Millionen gesteckt, ungeachtet von Mauscheleien und der Tatsache, dass
> der Tourismus krankt.
Bild: An Schnee mangelt es dieses Jahr mal nicht in Oberhof.
Das Wintersportörtchen Oberhof mit seinen 1.650 Einwohnern, tief im
Thüringer Wald gelegen, rüstet sich für die kommenden Tage. Von Mittwoch
bis Sonntag findet der Weltcup der Biathleten bereits zum 18. Mal statt.
Über 100.000 Zuschauer, darunter zahlreiche trinkfeste, werden erwartet.
Fast alle Wettbewerbe finden erstmals unter Flutlicht statt, geschuldet den
TV-Übertragungszeiten. 144 spezielle Zusatzscheinwerfer sind für das ZDF
extra installiert worden. Die Heizaggregate für die VIP-Zelte am Grenzadler
laufen bei derzeit annähernd minus 15 Grad auf Hochtouren.
1984 gab es den ersten Weltcup der Skijäger in Oberhof, damals noch
Kaderschmiede des DDR-Sports. Einst war alles überschaubar, selbst für die
Stasi, die wenig Mühe hatte, einigen sportaffinen DDR-Bürgern selbstgemalte
Spruchbänder zum Gruße der bundesdeutschen Athleten zu entreißen.
Schnee gibt es nach zwei mageren Wintern diesmal zuhauf. Um die siebzig
Zentimeter haben Oberhof malerisch verzaubert. Vor zwei Jahren mussten noch
siebzig 40-Tonner-Fuhren mit Kunstschnee aus einer Fisch-Kühleisproduktion
in Bremerhaven geordert werden, um die Loipen zu legen. Der Sportpolitiker
der Bundestags-Grünen, Winfried Hermann, hatte das Szenario damals als
"pervers und ohne ökologische Vernunft" bezeichnet. Kühleis aus dem Norden
wird Oberhof künftig nicht mehr brauchen. Denn die Sportfunktionäre haben
gemeinsam mit Bund und Landespolitikern ein 16 Millionen Euro teures
Prestigeprojekt auf den Weg gebracht: den Bau der rund einen Kilometer
langen Skilanglaufhalle, mit acht Meter breiter Loipe und optional einer
zwölfprozentigen Steigung. Diese wird nach einer Wendeschleife zur rasanten
Kurzabfahrt.
Die Anlage, die sich zwischen Biathlon-Arena und Rennschlittenbahn
befindet, "wird die modernste der Welt sein", prahlen die Bauherren um den
Landrat von Schmalkalden-Meiningen, Ralf Luther (CDU). "Diese weltweit
größte Skilanglaufhalle ist ein neues Zugpferd", sagte Wirtschafts- und
Sportminister Reinholz (CDU) zum Spatenstich im Mai 2008. Die ganzjährig
nutzbare Trainingsstätte mache Oberhof endgültig zum Mekka des nordischen
Skisports, so Reinholz. Wettbewerbsvorteile und Goldmedaillen für die
Sportnation sind einfach überlebenswichtig, koste es, was es wolle. So
denken und handeln vor allem CDU-Spitzenpolitiker. So hat auch Oberhofs
einstiger großer Gönner, DDR-Staatschef Walter Ulbricht, in den
Sechzigerjahren gedacht, als er das verschlafene Nest zur
Wintersportzentrale hochrüstete.
Auf sechs Hektar Waldfläche wurden für die Skihalle zirka 600 Kubikmeter
abgeholzt. Darunter auch 100 Jahre alte Fichten. Ein kleiner Streifen soll
später immerhin wieder neu bepflanzt werden. Im Juli 2009 soll das Objekt
fertig sein, somit früh genug, damit sich die Oberhofer Olympioniken um
Langläufer Axel Teichmann, Biathletin Andrea Henkel, Kombinierer Ronny
Ackermann und Co. vor der Haustür auch bei 30 Grad plus im Sommer auf die
Winterspiele 2010 in Vancouver vorbereiten können. Dies spare zudem viele
Sprit- und Wegekosten zu den Alpengletschern oder den bereits vorhandenen
Skitunnelanlagen im finnischen Vuokatti und Torsby (Schweden).
Doch hinter vorgehaltener Hand sagen einige Topathleten, dass sie wenig
begeistert sind vom stupiden Tunneltraining. Da sei es auf dem 2.700 Meter
hoch gelegenen Dachsteingletscher in Österreich viel schöner und der bei
Ausdauersportlern beliebte Höheneffekt sei in Oberhof eh nicht zu haben.
Vom feinsten Pulver- bis zum Pappschnee sollen vier Aggregate in der
Skihalle ausreichend produzieren und damit selbst bei schneelosen Wintern
die Oberhofer Weltcuploipe versorgen. Auch Breitensportler und Touristen
dürfen dann nach den Trainingsrunden der Skistars die Anlage nutzen und
sich bei Kunstlicht in dem fensterlosen Betonschlauch bewegen. Schließlich
soll ja jemand die Betriebskostenkasse auffüllen.
Über ein Tor ist die Halle an die Zielgerade der Weltcupstrecke angebunden.
Selbst die Einbeziehung der Halle in die Wettkampfloipe ist bei
meteorologischen Eskapaden problemlos möglich. Was das Ganze an Energie und
Wasser kosten wird, lasse sich schwer schätzen, behauptete Landrat Luther.
Die ersten vier Jahre wird der Freistaat die von Experten vorausgesagten
Defizite übernehmen, danach will man weitersehen. Einen privaten Betreiber
hat man nicht gefunden. Deshalb ist der Landkreis Bauherr und Zahlmeister.
Im krassen Widerspruch zu den riesigen Millioneninvestitionen (über 60
Millionen Euro) nach dem Mauerfall in die Spitzensport-Infrastruktur geht
der Tourismus tendenziell den Bach runter. In den vergangenen zehn Jahren
sank die Zahl der Übernachtungen von 410.000 auf 310.000. Im Jahr 1996
wurde die Rennsteig-Therme, ein Spaßbad, eröffnet, geplant vom
Architekturbüro Deyle (Stuttgart). Doch die Therme ist geschlossen - noch
bis 2010. Nach zwölf Jahren muss das Bad, das bislang nicht mal eine
25-Meter-Sportbahn hatte, nun bereits generalsaniert werden. Die stark
angestiegenen Energiekosten hätten die Einnahmen regelrecht aufgefressen,
argumentiert das offenbar überforderte Management.
Der alpine Skilift am Fallbach wurde 1999 eingeweiht, da hatte die
gebraucht erworbene Anlage schon 25 Jahre auf dem Buckel. Im letzten Winter
blieb der reparaturanfällige Lift öfter stehen und sorgte somit für
frostige Hochgefühle bei den Skitouristen. Einheimische Pensionsbesitzer
schimpfen über den Dilettantismus der Stadtverwaltung und den alten SED-
und Stasi-Filz, besonders in den Oberhofer Sportstrukturen. Doch damit
nicht genug. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen
Wolfgang Filbrich, den Chef des Olympiastützpunktes in Oberhof, wegen des
Verdachts der Bestechlichkeit. Kriminalbeamte durchsuchten im Mai 2008
Privathaus und Büros.
Filbrich ist auch der Organisationschef des Biathlon-Weltcups. Der
ehemalige DDR-Biathlontrainer wird verdächtigt, Bestechungsgelder des
Architekturbüros Deyle im Zusammenhang mit der Bewerbung und dem Bau der
Skihalle angenommen zu haben. Beide Parteien bestreiten dies aufs
Heftigste. Gegen Filbrichs heutigen Dienstvorgesetzten, den seit Sommer
2006 amtierenden Bürgermeister von Oberhof, Thomas Schulz (Freie Wähler),
geht die Staatsanwaltschaft ebenfalls vor.
Es geht um den Vorwurf des Betrugs und der Beihilfe zur Untreue.
Elektrikermeister Schulz war mit seiner Firma am Neubau des
Biathlonstadions und der Sanierung der Rodelbahn beteiligt. Schulz soll
falsch abgerechnet haben. Das Landgericht Meiningen sprach ihn im Oktober
frei. Doch die Staatsanwaltschaft hält die Vorwürfe aufrecht, hat deshalb
Revision eingelegt und zieht nun vor den BGH.
7 Jan 2009
## AUTOREN
Thomas Purschke
## TAGS
Rennsteig
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